Bockenheimer Ampelmännchen springen im Quadrat oder Gott ist eine Regel – Streit ums OMT-Programm (Teil V)
Eigentlich kommt der Vergleich schon ziemlich abgedroschen daher. Nicht wenige wichtige Deutsche glauben, mit Regeln die Währungsunion retten zu können – das wurde öfter damit verglichen, wie unsere Regierung am liebsten überall in Europa Ampeln aufstellen würde. In Kolumnen des Chefökonomen einer verflossenen Wirtschaftszeitung, in Kommentaren oder in Blogs – da war der Vergleich auch schon einmal originell.
Allerdings so vor gefühlten 100 Jahren. Irgendwo in Frankfurt-Bockenheim glauben sie immer noch daran und sie lieben auch diesen Vergleich. Daher bleiben wir zunächst im Bild: Ein wichtiger Deutscher, Bundesbankchef Jens Weidmann, lehnt bekanntlich das OMT-Programm ab. Wie bereits im ersten, zweiten, dritten und vierten Teil dieser Serie beschrieben, läuft dieser Widerstand aber auf nichts anderes hinaus als das hier:
Angenommen eine Oma wird auf einer Kreuzung von einem Auto angefahren und bleibt blutüberströmt auf der Straße liegen. Sie bräuchte dringend Hilfe, sonst stirbt sie vielleicht sogar – man weiß es nicht so genau. Aber dann das: Die Ampel an der Kreuzung zeigt Rot und Herr Weidmann weigert sich, auf die Kreuzung zu sprinten. Und das obwohl weit und breit kein Auto zu sehen ist. „Es könnte ja in den nächsten fünf Minuten ein Auto angerast kommen“, warnt uns lieber Herr Weidmann.
Der Bundesbankchef steht lieber am Straßenrand und wird nicht müde, schlaue Predigten zu halten: Das könnte ja alles noch sehr gefährlich werden. Und überhaupt, soll die Oma nur nicht so rumjammern, sie habe ja schon früher solche Unfälle überlebt und hat sich ganz ohne fremde Hilfe selbst ins Krankenhaus eingeliefert. Die angeblich tödlichen Verletztungen sind auch nur wieder so ein vorgeschobener Grund, um unsere heiligen Verkehrsregeln außer Kraft zu setzen. Niemand wird doch ernsthaft beweisen können, dass Oma tatsächlich in Lebensgefahr schwebt.
Willkommen in der Traumwelt des Notenbankponyhofs der Bundesbank: Stellen wir uns vor, dass die Oma nicht Oma heißt, sondern Spanien und Italien. Dann denken wir auch daran, dass in einem Notfall wohl kein Polizist dieser Welt es uns verbieten würde, bei Rot über die Straße zu gehen. (Ja, man kann darüber lange streiten, wann die EZB Anleihen kaufen darf und wann nicht – aber verboten ist es ihr nicht).
Jeder verantwortungsvolle Polizist sperrt bei einem Unfall die Straße ab, bis die Oma geborgen und ins Krankhaus gebracht wurde. Ampeln, für gewöhnlich ja sehr sinnvoll, hätten vorübergehend nichts mehr zu melden. Nur Wachtmeister Weidmann steht am Rande und lamentiert und lamentiert und lamentiert, wie schlimm es doch sei, bei Rot über die Straße zu gehen und überhaupt die Straßenverkehrsordnung sei doch in Gefahr. (Nur unter größten Bauschmerzen würde er sich dann am Ende doch noch zur Rettung Omas einspannen lassen, aber nur weil er muss, der preußische Beamte.)
Gott ist eine Regel
Und ohne politische Union sei das nun mal das Grundübel für den Euro überhaupt, dass es Regierungen tatsächlich wagen, Regeln zu missachten. Oder in den eigenen verträumten Worten von Wachtmeister Weidmann von dieser Woche:
„Leider haben die Mitgliedstaaten den Verschuldungsregeln des Maastrichter Vertrages und des Stabilitäts- und Wachstumspaktes so viel Respekt entgegengebracht wie moderne Großstadtbewohner roten Fußgängerampeln entgegenbringen. Auch in Berlin, Paris und Rom hat man die roten Ampeln missachtet und sich sogar erfolgreich dafür eingesetzt, dass dieses Verhalten nicht sanktioniert wird. Die Regeln haben dadurch zunehmend an Glaubwürdigkeit verloren.“
Bei jeder Gelegenheit preist Weidmann nun aber auch die neuen Regeln und Ampeln an, mit denen Europa nun wirklich die Ursachen der Krise angehen werde. Wie die zur Verschuldung des Privatsektors oder auch gegen übermäßige Leistungsbilanzsalden. Denn Weidmann so:
„Die Fehlentwicklungen in den heutigen Krisenländern bestanden grob gesagt darin, dass sie über Jahre hinweg kreditfinanziert „über ihre Verhältnisse gelebt“ haben. (…) Durch kräftige Lohnerhöhungen und mageres Produktivitätswachstum haben diese Länder immer mehr an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt, was sie – anders als vor der Währungsunion – nicht mehr durch nominale Abwertungen kompensieren konnten.“
Natürlich weiß Herr Weidmann auch, dass Länder wie Deutschland über längere Zeit „unter ihren Verhältnisse gelebt“ haben. Dass wir damit überhaupt erst die Kredite (und auch die Lohnerhöhungen) der anderen finanzieren haben. Nur redet er darüber nicht so gerne, der so gewissenhafte Herr Weidmann. Auch nicht darüber, dass Deutschland schon wieder gegen Regeln verstößt, die das verhindern sollen. Wenn es darum geht, dass auch die Deutschen ihre Regeln einhalten müssen, drückt der Bundesbankchef komischerweise doch lieber alle Augen zu.
Wie keifende Opas am Straßenrand
Noch schlimmer: Weidmann stänkert viele lieber gegen den Mindestlohn, der ja gerade dazu gedacht ist, dass wir nicht mehr unter unseren Verhältnissen leben, wie Andrew Watt in einem Leserbrief an die FT schön beschrieben hat. Praktisch will ausgerechnet Weidmann nichts anderes, als dass wir weiterhin die Euro-Regeln zum Leistungsbilanzüberschuss nicht einhalten (weniger als 6 Prozent des BIP). Welch absurde Ironie der Gegenwart.
Wer sich aber als Wachtmeister für den Euro-Raum aufspielt und dabei so selektiv vorgeht wie ein geschmierter Dorfpolizist in Italien oder Russland (ökonomisch ausgedrückt: Wer sich nur für Partikularinteressen der Exportwirtschaft einsetzt und alle Unternehmen ignoriert, die Güter und Dienstleistungen für den heimischen Verbrauch herstellen, wem also die Gesamtwirtschaft dermaßen egal ist), der lebt nicht nur in der Traumwelt eines Notenbankponyhofs.
Nein, der träumt wohl eher vom Ableben im Notenbankaltersheim. Nur sollte sich dann bitte auch niemand mehr in der Bundesbank wundern, wenn man sie dort nicht mehr so richtig ernst nimmt, die keifenden Opas am Straßenrand. Nicht einmal die Ampelmännchen und -frauchen in Bockenheim.
Was ich mich schon seit geraumer Zeit frage: Haben die Unternehmen, die Güter und Dienstleistungen für den heimischen Verbrauch herstellen, wirklich nicht genügend Macht, um den Polizisten Weidmann endlich dazu zu zwingen, der Oma zu helfen?
Ein sehr guter, weil passender und die Situation erklärender Vergleich.
Traurig dabei ist, dass jemand mit einem so beschränkten ökonomischen Horizont Bundesbankpräsident sein kann und von den Medien auch noch als Hohepriester der Geldwertstabilität gefeiert wird.
Lieber André Kühnlenz,
vielen Dank für diese exzellenten Beiträge sowie Ihr Bemühen, gegen den gängigen Mainstream anzukämpfen. Wir stecken in einem tragischen Dilemma, dessen Tragweite uns allen noch garnicht richtig bewusst ist. Aber auch Ihr (Teil-)Lösungsvorschlag zur Einführung eines Mindestlohns adressiert die Problematik meines Erachtens nicht adäquat. Die tatsächliche Problematik stellt sich aus meiner Sicht wie folgt dar:
Bis heute gibt es keine stringente systemtheoretische Begründung für diese Krise. Warum? Die Modelle der Mainstream-Ökonomen berücksichtigen das Geld entweder garnicht oder aber fehlerhaft. Fangen wir also bei uns selber an, die Irrlehren der Mainstream-Ökonomen und Journalisten zu hinterfragen. Geistige Anregung dazu findet sich in dem Beitrag, den ich vor zwei Tagen veröffentlicht habe: http://zinsfehler.wordpress.com/
In großer Sorge um Europa
Michael Stöcker
Mit der Einführung des EURO braucht man bei der Bundesbank keinen Fachmann.mit Ökonomischen Verstand .Dieser soll nur nachbeten was die EZB ihnen eintrichtert.Wenn man sich mit der Privatisierung des Weltgeldsystems beschäftigt kann man diese Krise ansatzweise verstehen auch wenn man nicht zu dem Zirkel der Ökonomen gehört. Dem Beitrag von André Kühnlenz braucht man eigentlich nichts hinzufügen.
Eben erst entdeckt – exzellent aufbereiteter Arikel – danke, Hr. Kühlenz!