Anatomie einer angekündigten Katastrophe (Teil 1): Alles läuft in die falsche Richtung
Die Minierholung in Europa steht auf der Kippe. Für Heiner Flassbeck ist klar, die jüngsten Konjunkturdaten sind, „ohne jede Übertreibung, eine Katastrophe“. Liest man dagegen die neuesten Reports der Bankvolkswirte, herrscht ein anderer Tenor vor. Ja, es schwächt sich gerade ab, heißt es da (auch wenn man alle Sondereinflüsse beachtet, die nur vorübergehend die Industrie nach unten ziehen). Schon bald soll es aber weitergehen mit dem angeblichen Aufschwung. So sagen sie: Die USA, China und die EZB werden Europa schon wieder etwas nach oben pushen.
Vielleicht wollen die Ökonomen bei ihren Kunden nur keine Panik schüren, wenn doch irgendwo Hoffnung besteht, dass die Euro-Wirtschaft noch den Dreh finden kann und weiter so dahin dümpeln darf wie bisher. Wie wir aber gleich sehen werden, sind die Hoffnungen doch sehr vage und könnten, wenn sie sich erfüllen sollten, früher oder später ebenfalls in eine Katastrophe münden. Schier unbegreiflich bleibt nur, warum den Kollegen in der deutschen Wirtschaftspresse das weitgehend alles nur als Randnotiz wahrnehmen, was sich da gerade zusammenbraut – allerdings überrascht das auch nicht weiter. Die Österreicher reagieren da schon etwas nervöser:
Österreichs Medien schlagen Alarm: „Europas Aufschwung auf der Kippe“ (hier versteckt sich auch Eigenwerbung): http://t.co/d5MgewD5sD
— André Kühnlenz (@KeineWunder) 14. Juli 2014
Bevor wir uns konkreter mit dem Zustand der europäischen Industrie und damit beschäftigen wollen, was Europa jetzt noch retten kann, schauen wir uns zunächst im ersten Teil dieser Serie an, was die Austeritätspolitik der vergangenen Jahre angerichtet hat. Und nein, sie ist immer noch nicht vorüber, auch wenn sich der harsche Sparkurs zuletzt etwas abgeschwächt hat. Zusehen ist dies in folgender Grafik:
(In einer früheren Version dieser Grafik fehlte der Hinweis, dass es sich bei der schwarzen Kurve um die privaten Abschreibungen handelt und nicht einfach um Abschreibungen, wie es vorher dort stand. Auch waren die privaten Abschreibungen zunächst falsch eingezeichnet, das habe ich am 20. Juli korrigiert. Sorry dafür.)
Die mickrige Erholung (hier die letzten verfügbaren Quartalsraten für Euroland ohne Deutschland: 0,1%, 0,0%, 0,2%, 0,0%) war allein davon getragen, dass wir mehr und mehr im Exportgeschäft einnehmen – aber dafür immer weniger von unserem Einkommen für den Import ausgeben. Stattdessen legen wir diese Einnahmen lieber im Ausland an, wo keiner mehr kontrollieren kann, was damit am Ende eigentlich finanziert wird. Dabei spielt es keine Rolle, wie sehr sich auch jeder einzeln abmühen mag, nur solide Wertpapiere zu kaufen. Wir exportieren unseren Exportüberschuss als Erspartes und die Ausländer kaufen damit unsere überschüssigen Produkte aus dem Euroland.
Wodurch kam dieses „Exportwunder“ zustande? Weil die Regierungen unter dem angeblichen Druck der Märkte vor drei Jahren meinten, sie müssten ihre Ausgaben radikal zusammenstreichen. Ein paar ganz schlaue Fachleute und Politiker in Berlin, Frankfurt und Brüssel freute das sogar. Einerseits weil sie – ideologisch verblendet – glauben, wir müssten die in der Krise gewachsene Rolle des Staates (sprich seine Ausgaben im Vergleich zum Gesamteinkommen der Volkswirtschaft) so schnell wie möglich zurückfahren. Wir leben ja schließlich in einer Marktwirtschaft.
Klug und pragmatisch geht anders, nämlich in dem man die Staatsausgaben im Vergleich zum Einkommen konstant hält bis die Krise vorübergeht. Erst wenn der Motor der Marktwirtschaft wieder anspringt, kann und sollte sich der Staat wieder stärker zurückziehen. (Nur damit das klar wird: Hier redet niemand davon mit Ausgabenprogrammen die Wirtschaft anzuschieben, wie es die Marktdogmatiker ja immer wieder so gerne unterstellen. Obwohl man vielleicht auch daran denken könnte.) Aber natürlich wissen auch diese Fachleute, was eine kapitalistische Marktwirtschaft im Kern antreibt: Dass die Privatwirtschaft ihre Kapazitäten erweitert, denn nur dann entstehen ausreichend neue Arbeitsplätze und die Wirtschaftsleistung – das Bruttoinlandsprodukt – wächst endlich.
Oder anders ausgedrückt: Die Kapitalbesitzer müssten mehr für neue Maschinen und Ausrüstungen ausgeben (Nettoinvestitionen) und nicht nur abgenutzte Gerätschaften ersetzen (Abschreibungen). Wenn aber die Nettoinvestitionen einbrechen, weil jeder (auch die Regierungen) nur daran denkt, infolge der Krise seine Verschuldung abzubauen, dann bleibt der Motor der Marktwirtschaft einfach stehen und die Arbeitslosigkeit schnellt nach oben: So stieg die Arbeitslosenquote im Währungsraum von 9,9 Prozent Anfang 2011 auf 12 Prozent im Spätsommer vergangenen Jahres – allein als Folge der Austeritätspolitik. Ein Blick auf den Einbruch der Nettoinvestitionen lässt nur vermuten, wie lange es dauern wird, die Arbeitslosigkeit wieder merklich zu senken.
Gar nicht daran zu denken, wenn die EZB schon viel früher ihre Garantie für die Staatsanleihemärkte ausgesprochen hätte – und nicht erst im Sommer 2012. Dies hätte es den Regierungen immerhin erlaubt, insgesamt die Ausgaben konstant zu halten oder viel sanfter zu kürzen, einige wie Deutschland hätten mehr ausgeben können und einige wie Italien oder Spanien weniger.
Warum sind die Staatsausgaben (als Anteil des jährlichen Bruttoinlandsprodukts) nicht konstant gehalten oder weniger harsch gesenkt worden? Dies lag wiederum traurigerweise an einem weiteren Irrglauben der erwähnten Fachleute in Berlin, Frankfurt und Brüssel. Die glauben nämlich daran, dass sinkende Arbeitskosten die Krisenländer wieder „wettbewerbsfähiger“ machen und die Länder so für ein paar Jahre schön günstig ihre Produkte in der weiten Welt verkaufen können. Und Arbeitskosten fallen eben um so leichter, wenn die Binnenwirtschaft infolge rapide sinkender Staatsausgaben drastisch einbricht.
In der Tat ist das auch passiert. Die Beschäftigten kaufen weniger im Inland und Ausland, weil sie weniger verdienen und die Banken ihnen kaum noch Kredit geben bzw. weil sie sich eben gar nicht mehr verschulden wollen. In den großteils noch vorhandenen Betrieben wurden dann die anschwellenden Bestellungen aus dem Ausland bedient, die Unternehmen gaben zugleich immer weniger für Löhne aus, in neue Betriebstätten zu investieren lohnt sich bislang unter dem Strich immer noch nicht.
Das ist die Folge: Die Kapitalbesitzer legen ihre Ersparnisse im Ausland an, wo sollen sie auch sonst damit hin, wenn der Wirtschaftsmotor, also die Nettoinvestitionen – in weiten Teilen des Euro-Raums noch stillsteht? Einige Schwellenländer versprachen ja auch bis vor kurzem noch ganz ordentliche Renditen. Am Ende kauften aber die Ausländer mit den Schulden, die sie bei uns Europäern aufgenommen haben, wiederum die günstigeren Produkte aus dem Euro-Raum – und sie tun es wohl noch heute…
Exkurs: Wer sich über die wachsende Verschuldung auf der Welt beschwert, wie neulich die BIZ, und deswegen bereits neue Krisen heraufziehen sieht, der darf das nicht allein der Zinspolitik der Notenbanken in die Schuhe schieben. Wer diese Warnung tatsächlich ernst nimmt, so wie Mark Dittli im NMTM-Blog neulich, der sollte auch die Quelle dieser wachsenden Verschuldung genauer ausmachen. Es sind aktuell allein die Euro-Regierungen mit ihrer absurden Austeritätspolitik. Ich wage sogar zu behaupten, dass die Geldpolitik fast keine Schuld trifft – aber das ist wohl eher eine hypothetische Frage. Wie wir in folgender Grafik sehen, hat die Sparpolitik der Europäer die globalen Schulden innerhalb von nur drei Jahren um rund 500 Mrd. Euro zusätzlich erhöht: Das sind 500 Mrd. Euro mehr als zu erwarten gewesen wäre, wenn die Europäer behutsamer mit ihren Staatsausgaben umgegangen wären und die Nettokreditvergabe an das Ausland mit dem Trend der Jahre 2002 bis 2010 gewachsen wäre. Exkursende
Hat die von Deutschland durchgesetzte Strategie geklappt? Nicht wirklich, die Arbeitslosenquote sank gerade einmal von 12 auf 11,7 Prozent – immer noch viel zu hoch. Ein bisschen Wachstum hatten wir zwar, aber nicht ausreichend, um den Motor der Volkswirtschaft wieder anspringen zu lassen – siehe schrumpfende Nettoinvestitionen im obigen Beispiel: Die Kapitalbesitzer geben immer noch jedes Jahr weniger unseres volkswirtschaftlichen Einkommens für neue Investitionsprojekte aus. Und dann spüren wir ausgerechnet jetzt, dass in den Schwellenländern die Währung vergangenes Jahr plötzlich anfingen, kräftig abzuwerten. Im Frühjahr 2013 hatte die internationale Investorengemeinde auf einmal kalte Füße bekommen und ihr Kapital aus den aufstrebenden Ländern abgezogen und auch weil sie irgendwie auf steigende Renditen für Dollar-Wertpapiere und -Finanzprodukte hoffte.
Durch diese Abwertung schwindet aber der mühsam erzielte Kostenvorteil der Europäer wieder dahin, an den unsere Fachleute in Berlin, Frankfurt und Brüssel so lange geglaubt hatten und noch immer glauben. Die Konkurrenzprodukte in weiten Teilen der Welten wurden dadurch ja auch günstiger. Flassbeck und andere (auch hier im Blog) haben immer wieder davor gewarnt, dass es genau so kommen muss.
Und jetzt dreht eben der Trend in der Industrie Europas, wie wir vorige Woche hier am Beispiel Deutschlands gesehen haben. Andere Länder sind bereits mitten drin im Schlamassel so wie Frankreich oder Italien – bei den Franzosen schrumpft das Verarbeitende Gewerbe bereits im Vergleich zum Vorjahr und Italien steht kurz davor, auch ins Minus zu rutschen (dazu mehr im nächsten Teil).
Ausgerechnet in dem Moment, wo die Nettoinvestitionen des Privatsektors im Euro-Raum endlich wieder anziehen sollten, brechen die Aufträge aus dem Ausland weg. Das ist die Tragik der deutschen Euro-„Rettungs“-Politik, die allerdings zu erwarten war.
Natürlich können wir weiter hoffen, dass das „Exportwunder“ Eurolands endlich dazu führt, dass der Motor unserer Marktwirtschaft (die Nettoinvestitionen) wieder anspringt. Nur dazu müsste es noch ein Weilchen so weiter gehen mit den Exporten wie bisher und dann die Unternehmen auch endlich anfangen, neue Kapazitäten aufzubauen. Nur wie soll sich nur der Trend in der Industrie wieder drehen? Wenn die Schwellenländer keine Schulden mehr bei uns machen wollen, wenn China wohl auch eher ausfallen dürfte. Was bleibt dann noch, um das Exportgeschäft am Laufen zu halten? Richtig, die Amerikaner sind die einzigen, die noch unsere überschüssigen Exporte abnehmen könnten – auf Pump versteht sich.
Das Problem ist nur, dass die Amerikaner – anders als die lustigen Fachleute in Berlin, Frankfurt und Brüssel – mittlerweile recht gut verstanden haben, was eben auch zur globalen Finanzkrise im Jahr 2007/2008 geführt hat. Die übermäßige Verschuldung im Ausland (auch globale Ungleichgewichte genannt). Sollte also das Kreditgeschäft in den USA einmal richtig anspringen, könnten wir da nicht erwarten, dass die US-Notenbanker diesmal genauer hinschauen werden? Nehmen die Amerikaner aber wieder übermäßig Kredit für ihren Konsum auf (weil die Notenbanker doch nicht so genau hinschauen oder die Banken neue Tricks finden und obskure Produkte erfinden), dann kommt die Katastrophe eben auch nur später. Aber sie wird kommen, da brauchen wir nicht einmal darauf wetten.
Was wäre die Alternative: Europa bringt den Motor unserer Marktwirtschaft endlich von sich aus wieder in Gang. Wir müssen uns nicht von den Amerikanern und anderen Ausländern abhängig machen. Der Euro-Raum ist doch groß genug. Wie das geht? Mit vorübergehend höheren Staatsausgaben und stärker steigenden Löhnen in Ländern wie Deutschland, die sich das eben gerade sehr gut leisten können. Dazu mehr im nächsten Teil.
(Teil 1): Alles läuft in die falsche Richtung
(Teil 2): Die nächste Krise kommt immer!
(Teil 3): Amerika ist reif für die nächste Rezession