Steinmeier attackiert Kiew und keinen interessiert es – 1. Update
Es irritiert schon sehr, wie die großen Zeitungen aus Deutschland über die Ereignisse der vergangenen Tage in der Ukraine berichten. Man gewinnt den Eindruck, die Kollegen seien förmlich verliebt in diese Führung in Kiew. Kein einziges Wort der Kritik. Die FAZ macht ihr Blatt am Samstag mit der Schlagzeile auf: „Russland will den Dritten Weltkrieg anzetteln“ und zitiert damit Übergangsministerpräsidenten Arsenij Janzenjuk. Erst etwas versteckt auf Seite 2 folgt der Hinweis auf den Brief Steinmeiers, in dem der Außenminister runde Tische in der Ostukraine vorschlägt. „Hintergrund ist offenbar eine Unzufriedenheit in Berlin über die rhetorische Eskalation nicht nur in Moskau und Kiew, sondern auch in Washington“, schiebt die FAZ noch lapidar hinterher.
Eine eigenartige Themensetzung, könnte man meinen. Und das in einer Zeitung, die doch eigentlich bekannt dafür ist, sich so sehr für deutsche Interessen einzusetzen. Hier im Blog habe ich bereits den wachsenden Unmut Steinmeiers dokumentiert (hier und hier), der in dieser Nachosterwoche immer lauter zu hören war. Die Süddeutsche Zeitung ist nicht viel besser. Schreibt sei doch auf Seite 1 auch nur vage, dass die Bundesregierung in „ungekannt scharfer Form den Konflikt um die Ukraine kritisiert.“ Sie zitiert Steinmeier, der in Tunis sagte: „Viel Zeit bleibt nicht, um diesen Irrsinn dort zu beenden“. Dabei brüllt er doch endlich der Löwe. Doch auch die SZ versteckt es erst auf den hinteren Seiten, was Steinmeier eigentlich noch so gesagt hat, irgendwo weit weg im Auslandsteil.
Wie deutlich Steinmeier am Freitag aber tatsächlich wurde, das können wir zumindest diesen beiden Zeitungen nicht entnehmen. Nachzulesen ist es dagegen in der Pressemitteilung des Außenministers, in der so Sätze stehen wie dieser hier: „Alle Seiten müssen jetzt zur Vernunft kommen!“. Und darin heißt es auch:
„Bevor es weiteres Blutvergießen und weitere Todesopfer gibt, sind Kiew und Moskau in der Verantwortung, den Weg einzuleiten, zu dem sie sich in Genf verpflichtet haben:
1. Verzicht auf Gewalt
2. Entwaffnung illegaler Gruppen
3. Rückgabe besetzter Gebäude
4. Amnestie“
Das sind klare Worte besonders an Kiew, wo die Regierung vergangene Woche die „Anti-Terror-Operation“ mit Rückdeckung Washingtons wieder aufgenommen hat: VERZICHT AUF GEWALT! Dagegen wirkt es nur noch lächerlich, wie die US-Regierung versucht, Kiew reinzuwaschen und wie sie gleichzeitig den Konflikt weiter eskalieren lässt.
Es stimmt natürlich: Russland hat bisher nicht viel dazu beigetragen, die Genfer Beschlüsse umzusetzen, was die G7-Staaten auf Initiative der USA beklagen. Aber wer hier zuletzt eskaliert hat, das sind vor allem Kiew und Washington, nicht Moskau. Seit Genf sind im Großen und Ganzen keine eskalierende Schritte Moskaus (oder der Milizen) im Osten der Ukraine zu beobachten gewesen – bis vergangenen Donnerstag. Der Truppenaufmarsch an der Grenze erfolgte nach den Toten in Slawjansk und das war am Donnerstag. Wenn jemand Sanktionen verdient hat, dann ist es zumindest auch die ukrainische Regierung!
Golineh Atai, eine der besten Reporterin aus Deutschland, die sich derzeit in der Ukraine tummeln, hat so recht, als sie es am Donnerstag in den ARD Tagesthemen ansprach: „Man muss aber auch sagen, diese Operation kommt grundsätzlich zu spät. Um gezielt und unblutig zu verlaufen, dafür hätte es taktisch gewiefter Verhandlungsführer bedurft, die mit den bewaffneten Separatisten vor Ort gesprochen hätten. Und zwar schon viel früher. Und nicht irgendwelche Oligarchenpolitiker, die hier auf Wahlkampftour sind in der Ostukraine.“
Für viele „einfache“ Ukrainer war es in den Jahren nach der „Orangenen Revolution“ ja ohnehin ziemlich schnell klar geworden, wie ihre Ideale verraten wurden: Hier habe doch nur eine Verbrecherbande, die um Timoschenko, eine andere Oligarchenbande abgelöst, so eine weitverbreitete Ansicht, die man von den Leuten zu hören bekam. Nicht umsonst liegt Timoschenko derzeit im Umfragen gerade einmal bei rund 15 Prozent. Doch ihre Leute bestimmen die Politik dieser Regierung in Kiew, die durch keine Wahlen legitimiert ist.
Hier mögen so mache Rachegefühle im Spiel sein, keine Frage, nach all den Jahren der Demütigung und ausufernden Korruption unter Janukowitsch sowie der Knastzeit von Timoschenko – doch diese unbesonne Politik wird das Land niemals einen. Es ist ein Weiter wie bisher – nur das jetzt zufällig wieder die anderen am Ruder sind. So wird das Land nie zur Ruhe kommen.
Kiew will gar nicht reden
Diese Führung will zum Beispiel immer noch nicht zulassen, dass Russisch als zweite Amts- oder Staatssprache in der Verfassung aufgenommen wird. Man redet dagegen von einem Sonderstatus – wie lächerlich und zugleich provozierend ist das denn. Auch ein Dialog über eine neue Verfassung kommt nicht wirklich in Gang, wie Moskau wohl zu Recht beklagt.
Wie schon erwähnt, die Kiewer Regierung würde Putin so viel Wind aus den Segeln nehmen, wenn sie über die Föderalisierung abstimmen lassen würde – dazu müsste man natürlich mit den Leuten reden, die das auch wollen. Dazu müsste man allerdings auch ein bißchen Größe beweisen und zulassen, dass sich die anderen Seite politisch wieder sammeln kann. Man kann dieses Land doch nicht übernacht komplett umkrempeln. Auch weil das Land so sehr von Russland abhängt, wird hier Moskau immer Unterstützer finden – so wie die letzten 20 oder 25 Jahre. Auch deswegen wäre eine Föderalisierung nicht das Schlechteste.
Doch alle theoretischen Zugeständnisse (wie Dezentralisierung der Regionen), die Kiew bisher macht, zeigen in Wahrheit nur, dass sie dort eigentlich keinen Dialog wollen. Es grenzt schon an Sturrheit und Blindheit – wie die Timoschenko-Leute auftreten – sehr blutige Sturrheit und Blindheit.
Aber an Verhandlungen und Dialog ist auch Washington nicht wirklich interessiert, jedenfalls hat man nichts von dort gehört, was in die Richtung gehen würde. Im Gegenteil: Erst reist der CIA-Chef nach Kiew, zugleich beginnt die „Anti-Terror-Operation“ und eine Woche später bei einem Besuch von Vizepräsident Joe Biden wird diese Operation nach der Osterruhe wieder aufgenommen. Man muss ja gar nicht an irgendwelche Verschwörungen glauben, um zumindest den politischen Rückhalt der Amerikaner dafür zu erkennen.
Einzige Chance auf Frieden
Jetzt versucht Steinmeier, die Scherben einzusammeln, wenn er die OSZE mit runden Tischen stärker ins Spiel bringen will. Irritierend ist natürlich derzeit die Rolle der deutschen Militärbeobachter, die von der Leyen auf Einladung Kiews dorthin geschickt hat – diese Frau handelt aber ohnehin mit wenig Weitsicht. Es scheint Berlin immerhin ein wenig peinlich zu sein. Verhandlungen mit den „Separatisten“ und den politischen Kräften wie den Resten der Partei der Regionen – das bleibt jedoch die einzige Chance auf Frieden.
Doch langsam kommt das Gefühl auf, dass Kiew – angestachelt durch Washington – gar kein Interesse an einer friedlichen Lösung hat. Russland soll um jeden Preis von seinem Einfluss in der Ukraine befreit werden – das kann aber nicht gut gehen! Genau wie das Machtgehabe der Amerikaner. Den Preis dafür aber zahlen vor allem die Ukrainer und der Rest Europas.
Frau Merkel macht den G7-Unsinn zwar noch immer mit. Doch die Risse in der Allianz gegen Russland sind nicht mehr zu übersehen. Und das ist auch gut so! Etwas beunruhigend ist nur, dass die Kollegen in FAZ und SZ das nicht erkennen wollen!
Update #1 (27.04.2014 – 11:30)
Noch zwei Anmerkungen zum aktuellen „Spiegel“, also den von morgen.
Das Titelstück „Vier Tage in Slowjansk“ bietet eigentlich eine gute Übersicht über die Ereignisse der letzten Woche. Doch auch hier fällt auf, wie zurückhaltend die Kritik an Kiew ausfällt. So können wir dort lesen: „Die Ereignisse von Slowjansk führten zu einem dramatischen Appell des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier am Freitag, zu Telefonkonferenzen westlicher Regierungschefs und der Androhung neuer Sanktionen.“ Doch was in dem Appell von Steinmeier zu hören oder lesen war, das verschweigen die Kollegen auch – ähnlich wie schon in der SZ zu beobachten war.
Und über noch eine Passage bin ich in dem „Spiegel“-Artikel gestolpert:
„Am Freitagmittag scheint sich die Lage rund um Slowjansk wieder beruhigt zu haben. Aber es ist nur eine Atempause. Um 13 Uhr erklärt die Kiewer Regierung, die zweite Etappe der „Anti-Terror-Operation“ werde nun beginnen, die totale Abriegelung der Stadt. Denn die „Terroristen“ hätten jetzt sogar Stützpunkte in Kindergärten und Krankenhäusern bezogen, versteckten sich hinter Frauen und Kindern.“
Immerhin schreiben die Kollegen im Konjunktiv. Sie hätten es aber vielleicht schon am Freitag (Produktionstag beim „Spiegel“) wissen können: Es war wohl eine dreiste Lüge, dass sich die pro-russischen Aktivisten hinter Frauen und Kindern verstecken würden. Die Falschmeldung wurde nämlich schon am Donnerstagabend vom ukrainischen Verteidigungsministerium ungeprüft auf Facebook und Twitter verbreitet.
#Slovyansk terrorists capture kindergartens and schools https://t.co/6i3QlfA0KW |DefenceUA #UnitedForUkraine pic.twitter.com/Osh7ZmAzdm
— Defence Ministry UA (@DefenceUA) 24. April 2014
Nicht nur, dass das Foto alt ist, wie sofort einige Twitter-Follower anmerkten. (Komischerweise tauchen darauf die selben beiden Typen auf, die immer wieder als angebliche Beweise für die „grünen Männchen“ mit modernen russischen Waffen herhalten müssen.) Entscheidender ist jedoch, dass die ukrainische Maidan-Gruppe „Information Resistance Group“ von Dmitry Tymchuk der Meldung nachgegangen ist und sie auf den Wahrheitsgehalt überpürft hat. Auf Facebook schreibt Tymchuk:
„Nach den operativen Daten der Gruppe „Information Resistance“ befinden sich momentan in allen Kindergärten der Stadt Slawjansk keine Kinder und Mitarbeiter.
Einer der Kindergärten wird tatsächlich von Kämpfern besetzt. Sie haben sich hier ein „Erholungspunkt“ eingerichtet.
Aber auch hier befinden sich keine Kinder und Mitarbeiter.“
Dies sollte doch eigentlich Beweis und Mahnung genug sein, dass wir keiner Seite mehr trauen dürfen. Moskau, Kiew und Washington – sie lügen alle.