Wann brüllt unser Löwe Steinmeier endlich und wann reagiert Frau Merkel?
Waren die Aussagen von Steinmeier am Ostersonntag bemerkenswert, wurde der Außenminister gestern etwas konkreter. Bei seinem Besuch in der moldauischen Hauptstadt Chisinau sagte er nach einem Reuters-Bericht, jeden Tag, an dem die Vereinbarungen der „Genfer Erklärung“ nicht umgesetzt würden, werde eine Lösung für die Ukraine schwieriger. Und: „Deshalb müssen wir Moskau und Kiew gleichermaßen aufrufen, die mühsam erkämpften Chancen nicht nutzlos verstreichen zu lassen.“ Sieh an, wieder richtet er sich an beide Seiten, die USA nur an Russland.
Doch warum noch diese Zurückhaltung? Die eigenartigen Vorfälle häufen sich, die jederzeit einen Bürgerkrieg auslösen können. Wer jetzt den Erklärungen und angeblichen Beweisen nur noch einer Seite traut, ist entweder ein Dummkopf oder ein Lügner. Das ist mal klar. Die USA und Russland beschuldigen sich gegenseitig: Die einen sollen Kiew eskalierend beeinflussen, die anderen die Föderalisten. Gemessen an den öffentlichen Aussagen (und nur denen dürfen und können wir bislang wirklich trauen), haben beide Seite recht.
Unterstellt, dass Russland den Osten der Ukraine seit zwei Wochen destabilisiert, passiert seit dem Genfer Gipfel – trotz der traurigen Vorfälle – erstaunlich wenig. Auch die sogenannte „Anti-Terror-Aktion“ Kiews bleibt eher im Sand stecken. Die Frage ist nur, wie lange diese Ruhe noch anhält. Nach dem Treffen von Lawrow und Kerry in Paris dauerte es genau eine Woche bis die Föderalisten die ersten Gebäude besetzten. Es mag verständlich klingen, wenn unser Außenminister sich jetzt auf die OSZE-Beobachter verlassen will, wenn es um die Umsetzung der Genfer Beschlüsse geht.
Denn dazu hat Berlin zulange die Augen verschlossen vor den Machenschaften des rechtsradikalen „Rechten Sektor“. Zudem hat die Bundesregierung und die EU die Übergangsregierung im Kiew zu schnell hofiert: zum Beispiel mit der Unterzeichnung des politischen Teils des Assoziierungsabkommens. Mit einer Regierung in Kiew, die nach dem Februar-Umsturz eigentlich vom Wahlvolk hätte bestätigt werden müssen – so sehr sich auch viele Janukowitsch und sein korruptes Regime zum Teufel gewünscht hatten.
Doch die Gefahr wächst, dass aus Steinmeiers vager Friedenshoffnung nichts wird. Der „Rechte Sektor“ stellt mittlerweile ein Bataillon „Donbass“ auf, wie russische und ukrainische Agenturen berichten. In Dnjepropetrowsk entsteht gerade so eine Art Schaltzentrale der rechten Terrortrupps, die Stadt liegt näher am Osten als Kiew, heißt es. Der Führer des „Rechten Sektors“ sagte offen:
„Wir stimmen unsere Handlungen mit der Führung des Rates für nationale Sicherheit und Verteidigung, mit dem Innenministerium und mit dem Inlandsgeheimdienst SBU ab. Wir sehen keine Gefahr, dass die Teilnahme des Rechten Sektors an einer Sonderoperation des Innenministeriums und des SBU im Osten Zusammenstöße mit der Bevölkerung der Donbass-Region provozieren wird.“
Ähnlich äußerte sch Jarosch auch im Interview mit SpiegelOnline. Das Portal zitiert wohl frühere Aussagen Jaroschs: „Wir haben keine Waffen mehr.“ Man habe den „bewaffneten Flügel legalisiert“, als Teil der neuen Nationalgarde der „Territorialverteidigung“ der Ukraine. Nun ist unklar, wie stark so eine Truppe tatsächlich werden kann.
Es gibt aber russische Fernsehberichte, wonach Depots mit Waffen aus der US-Produktion gefunden wurden. Russlands Außenminister zitiert Gerüchte, wonach sich bereits hunderte Angehörige US-amerikanischer privater Militär- und Sicherheitsfirmen wie Greystone in der Ukraine aufhalten. Wie auch immer diese Berichte und Gerüchte zu bewerten sind: Es kann alles sehr schnell gehen und dann knallt es.
Deswegen muss Berlin endlich aufwachen und seine vorsichtigen diplomatischen Floskeln sofort in der Mottenkiste verstauen. Folgendes ist zu tun:
- Gleichzeitige Entwaffnung der Föderalisten und des „Rechten Sektors“ – samt der Nationalgarde.
- Vorbereitung eines Verfassungsreferendums, das auch über eine Föderalisierung abstimmen lässt.
- Deutschland und die EU müssen unverzüglich mit der Ukraine und Russland Verhandlungen über den Handelsteil des Assoziierungsabkommens beginnen.
Letzter Punkt ist wichtig, weil sich wohl keine Mehrheit für die Föderalisten abzeichnet. Die Gespräche über den Gaspreis, den die Ukraine an Gazprom zahlen muss, wäre eine erste vertrauensbildende Gelegenheit. Nur müssen dazu auch Punkt 1 und Punkt 2 auf den Weg gebracht werden. Das sollte allen klar sein.
Doch wer bremst hier? Washington toleriert (oder unterstützt sogar) noch immer den „Rechten Sektor“. Und Brüssel bleibt noch immer stur und will nicht über den Handelsteil reden, weil er angeblich keine Interessen Russlands berührt. Es war allerdings die Politik Berlins, über diese Handelsfragen noch einmal zu reden. Die geplanten Gespräche wurden jedoch durch die gewaltigen Ereignisse auf dem Maidan (die noch immer ungeklärt sind) und dem folgenden Umsturz in Kiew sowie der Angliederung der Krim an Russland blockiert.
Die Bundesregierung hat schon einmal bewiesen, dass sie aus Fehlern lernen wollte. Die einzige Chance für den Frieden besteht jetzt noch darin, dass Frau Merkel zusammen mit Herrn Steinmeier wieder eine Kehrtwende vollziehen und sie alle Fehler der Vergangenheit auch Fehler sein lassen. Erfahrungen in abrupten Strategieschwenks hat unsere Kanzlerin ja ohnehin. Deutschland muss sich noch aktiver als damals Schröder im Irak-Krieg von den USA abkapseln. Die Alternative sieht so aus, dass Amerika und Russland die Ukraine sonst in einen blutigen Bürgerkrieg treiben werden.
Und eins ist dann mal klar:
Wenn es keinen Krieg in Ukraine gibt, dann würde ich gern mit Fr. Merkel auf den Friedensnobelpreis anstoßen – so was von, glaubt ihr nicht!
— André Kühnlenz (@KeineWunder) 31. März 2014