Die haben den Schuss noch nicht gehört – Staat fährt ein Zehntel seiner Bauinvestitionen zurück
Was ist nur mit dieser Bundesregierung los. Fast ganz Europa ächzt unter Sparprogrammen, die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien oder Griechenland steigt von Rekord zu Rekord. Selbst die deutsche Wirtschaft spürt es längst, dass Familien und Singles im Süden und Westen Eurolands mit ihren leeren Haushaltskassen keine deutsche Autos kaufen. Doch die Bundesregierung hatte 2012 nichts besseres zu tun, als die Staatsausgaben zusammenzustreichen, so als gäbe es kein Morgen mehr.
Berlin sonnt sich als europäischer Musterschüler im mittlerweile dritten Euro-Krisenwinter. Am Ende gingen die Schatzmeister in Bund, Ländern, Kommunen und den Sozialversicherungen 2012 mit einem kleinen Überschuss von 2,2 Mrd. Euro aus dem Jahr. Das Bittere daran ist nur: Dafür mussten die staatlichen Investitionen um 3 Mrd. Euro sinken, wie gut versteckte und bisher unbeachtete Zahlen des Statistikamtes zeigen. Das ist nicht nur peinlich, die Bundesregierung stellt damit die Zukunft Deutschlands und Eurolands aufs Spiel.
Wer dieses Blog vergangene Woche besucht hat, erinnert sich vielleicht noch an dieses Interview. William White, ehemaliger Chefvolkswirt der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich – quasi der Superzentralbank aller Notenbanken der Welt -, hat mit der NZZ gesprochen. Der Ökonom empfahl den Deutschen Folgendes:
(…) Deutschland könnte sich sagen, wir verfügen über beachtliche Auslandsvermögen, die Staatsschulden sind nicht allzu hoch und die Finanzierungskosten liegen praktisch bei null. Nun wäre es an der Zeit, Geld in die Hand zu nehmen und beispielsweise in die eigene Infrastruktur zu investieren. (…) Denn wenn man zum Beispiel eine Brücke baut, deren Nutzen im Verhältnis zu den Kosten nachweislich hoch ist und die folglich eine hohe soziale Rendite abwirft, steht der zunehmenden Verbindlichkeit ein enormer Vermögenswert gegenüber. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu Staatsschulden, die entstehen, um steigende Sozialausgaben zu begleichen.
Wohlgemerkt, niemand spricht hier von kurzfristigen Milliardenprogrammen auf Pump, über deren Effekte sich Ökonomen so trefflich streiten können. Nein, es geht um Ausgaben, die die Zukunft dieses Landes sichern. Irgendwann muss immer eine kaputte Straße repariert werden, müssen Schulen, Unis oder Kitas gebaut werden.
Mehr noch: Gibt der Staat für solche äußerst sinnvollen Sachen mehr Geld aus, ist die Wirkung später noch in der ganzen Wirtschaft zu spüren. Mehr Bauarbeiter werden eingestellt, die wiederum mehr ausgeben und damit das Bruttoinlandsprodukt steigern, die sogar Steuern und Abgaben leisten. Kaufen sie auch noch Produkte aus Griechenland oder Spanien oder fahren dorthin in den Urlaub, hätten selbst die Krisenländer etwas davon.
Soweit ist das alles sehr leicht einzusehen. Selbst Volkswirte werden darüber ausnahmsweise einmal nicht streiten, vielleicht eher darüber, ob vielleicht in diesem oder lieber in jenem Jahr mehr für Infrastruktur ausgegeben werden sollte und zuviel darf es am Ende dann auch wieder nicht sein. Und so möchte man meinen, Politiker werden in Krisenzeiten schon dafür einstehen, bloß nicht die öffentlichen Investitionen schrumpfen zu lassen. Wenn schon nicht aus Solidarität mit den darbenden Krisenländern Eurolands, dann sollte so etwas doch erst recht vermieden werden, wenn die Konjunktur sich abkühlt.
Denn schrumpfen die staatlichen Investitionen, ziehen sie auch im Abwärtssog Wellenbewegungen in der Volkswirtschaft nach sich: Weniger Bauarbeiter bekommen Lohn, sie geben weniger für deutsche, spanische oder griechische Produkte aus. So etwas sollte in einer Wirtschafts- und Finanzkrise auf jeden Fall vermieden werden!
Doch weit gefehlt. Etwas versteckt auf dieser Seite des deutschen Statistikamtes Destatis, finden sich interessante Details, die vergangene Woche bei der Vorstellung der 2012er Wachstumszahlen untergegangen sind. In diesen Dateien (pdf,xls) finden sich die Zahlen: Demnach sanken die Investitionen aller öffentlichen Haushalte vergangenes Jahr um 3 Mrd. Euro. Auch wenn der Effekt eher gering ist (0,1 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts, BIP) – sendet es doch unseren Nachbarn ein verheerendes Signal. Und dann dürfen wir nicht vergessen, dass selbst nach dieser eher konservativen Schätzung, der Bund bereits 30 Mrd. Euro an Einsparungen einplanen kann.
Gerade bei den Nichwohnbauinvestitionen fällt der Rückgang besonders kräftig aus – wenn wir uns allein die prozentualen Veränderungen (inflationsbereinigt) anschauen. (Verzerrende Sondereffekte durch das Konjunkturpaket bis 2011 sind in den Zahlen nicht zu erkennen.):
Nun mag man der Regierung noch zugutehalten, dass die Staatsschulden trotz Haushaltsüberschuss, wahrscheinlich um rund 74 Mrd. Euro gestiegen sind – was eigentlich ein Widerspruch ist. (Woran dies liegt, dazu fehlen derzeit leider noch die Details, das Bundesfinanzministerium sagt dazu, dass hier die EFSF-Darlehen an die Programmländer (Griechenland, Irland und Portugal) sowie die bilateralen Kredite des ersten Griechenlandpakets (über die staatliche KfW) berücksichtig werden. Dabei wird so getan, also ob Deutschland seinen Anteil an den Darlehen direkt ausgezahlt hätte. Dagegen werden ESM-Kredite beim ESM und nicht bei den Mitgliedstaaten schuldenstandswirksam.)
Gemessen an der Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt, BIP) stieg der Schuldenstand von 80,5 auf 81,7 Prozent, wie Destatis prognostiziert. Doch selbst wenn die öffentlichen Investitionen so hoch ausgefallen wären wie im Vorjahr, wäre die Verschuldung minimal gestiegen, wenn man davon überhaupt etwas in der Schuldenquote gemerkt hätte. Denn staatliche Investitionen lassen immer noch die Wirtschaftsleistung steigen. Und wir reden hier von einem Schuldenniveau, das selbst Chefvolkswirt White als „nicht allzu hoch“ einschätzt und das nach seiner Meinung immer noch höhere Staatsinvestitionen zulassen würde.
Bemerkenswert ist, dass die Sozialversicherungen vergangenes Jahr ihren Jahresüberschuss von 15,9 Mrd. auf 17,8 Mrd. Euro gesteigert haben. Auch die Gemeinden sparen wie die Weltmeister: von 1,9 Mrd. auf 6 Mrd. Euro stieg 2012 deren positiver Saldo. Zusammen mit den Ländern ging es hier um immerhin 8,2 Mrd. Euro (0,3 Prozent des BIP), um die sich die öffentlichen Haushalte verbesserten. Klar, kann man hier Überschüsse noch am ehesten rechtfertigen – man denke nur an die Schulden vieler Kommunen.
Leider liegt derzeit nur die Aufschlüsselung der Sachinvestitionen der öffentlichen Hand für das erste Halbjahr vor. Und hier ist zu sehen, dass Bund und Gemeinden ihre Investitionen bereits um jeweils 12 Prozent gesenkt haben, was insgesamt zu einem Rückgang von 4 Prozent geführt hat.
Nur, warum muss dann der Bund sein Defizit (gemäß Maastricht-Kriterium) gleich um 14,2 Mrd. auf 12,5 Mrd. Euro absenken (um 0,5 Prozent des BIP) – und das mitten in der Krise. Das ist doch Wahnsinn. Hätte der Bund sein Defizit konstant gehalten – in nominalen Milliardenwerten – hätte sich das Gesamtdefizit von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen gleichwohl auf mindestens 0,45 Prozent des BIP nahezu halbiert, wenn man Wachstumseffekte außen vor lässt. Immer noch ausreichend und weit genug von der erlaubten Maastricht-Grenze bei 3,0 Prozent des BIP entfernt.
Die Bundesregierung hätte auf jeden Fall warten können bis endlich der Rest Eurolands der Konjunkturkrise entkommen ist. Lange Vorlaufzeiten für Investitionen dürfen auch nicht als Ausrede herhalten. Die Euro-Krise beschäftigt uns immerhin seit drei Jahren. Dass sie von möglichen unerwarteten Einnahmen überrascht worden sein könnte, überzeugt auch nicht, wenn man sich allein die schrumpfenden Investitionen anschaut. Jeder Verweis auf den staatlichen Überschuss vergangenes Jahr wirkt so nur noch bitter und peinlich.
ps: Natürlich verschwenden wir jetzt einmal keine Gedanken darüber, ob die 3 Mrd. Euro ausgereicht hätten, einen Flughafen in der Hauptstadt rechtzeitig fertig zu bauen. ;)
Ein wirklich vortrefflicher Artikel, welcher einem zu Denken gibt.