Von wegen Russlands Neosowjetismus, von wegen seine Sicherheitsparanoia (ein wichtiges SWP-Papier)
Erstens: Wir brauchen einen Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok – Putins alter Traum, dem auch deutsche und österreichische Unternehmer anhängen.
Zweitens: Wir brauchen eine Sicherheitspartnerschaft zwischen EU, Ukraine und Russland, in der sich kein Land vom anderen bedroht fühlt.
Drittens: Wir brauchen keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Länder und Wirtschaftsräume, denn das verstößt gegen uraltes Völkerrecht.
Diese einfache Friedensvision für Europa hatte ich hier vor kurzem skizziert. Daran will ich mich leiten lassen, wenn ich aktuelle Ereignisse in der Ukraine und Russland hier im Blog bewerte und einordne. Weder Russland-Freund, noch Russland-Basher – das ist meine Devise. Was seitdem noch fehlte, war aber eine historische Analyse, die sich genau an dieser Vision messen lassen kann und den Kontext für die heutige Eskalation der Krise bietet.
Etwas, was nicht in platten Attitüden abrutscht, etwas was nicht in Putins Kindheit herum psychologisiert oder 500 Jahre Deutsch-Russische Freundschaft oder Feindschaft als Erklärung für alles aus den Untiefen der Geschichte hervorholt.
Zudem habe ich immer daran gezweifelt, dass wir dem heutigem Russland so einfach nur Neoimperialismus sowjetischer Art, dass wir Putin Unberechenbarkeit oder sogar völkischen Nationalismus vorwerfen können. Lasst uns einfach nüchtern bleiben. Eine Interpretation von Putins Propaganda ersetzt nicht die Analyse seiner Politik. Die transatlantischen und sonstigen Falken in Politik und Medien machen es sich dann doch zu einfach, als dass man sie nicht durchschaut. Und dann wundern sie sich über die vielen bösen Leserbriefe und bleiben doch nur in ihren ach so verwunderten und nachdenklichen Artikeln an einstudierten Floskeln („Neoimperialismus“) kleben.
Natürlich darf uns der seit Jahren schleichende Untergang der Bürgergesellschaft in Russland schmerzen – nur würde ich mich an Punkt drei (siehe oben) halten, wenn ich eine Regierungspartei eines fremden Landes wie Deutschland wäre. Es ist und bleibt die Sache des russischen Volkes, wie auch der Maidan hätte Sache des ukrainischen Volkes bleiben müssen – über den Völkerrechtsbruch auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew können wir ausführlicher später noch einmal reden oder etwa doch nicht, liebe Konrad-Adenauer-Stiftung?
Was wir heute aber brauchen, das ist historischer Kontext, der uns aufzeigt, was der Westen, was Russland seit dem Ende des Kalten Krieges falsch und was sie alle richtig gemacht haben. Und der uns aufzeigt, wo wir hin müssen. Diese hervorragende Analyse, wie mir scheint, hat gestern Wolfgang Richter vorgelegt. Richter arbeitet als Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik, die vor allem vom Bundeskanzleramt dafür bezahlt wird, dass sie Politik und Wirtschaft gut berät.
Ich möchte an dieser Stelle nur die Einleitung zitieren – und jeder, der sich mal wieder über Joffe & Co ärgert, kann in den 8 Seiten blättern und nachschauen, was unsere naiven Falken einmal wieder alles verdreht darstellen. Hier können wir lesen, wo wir herkommen und wo wir hinmüssen, es ist eine deutsche Sichtweise und es ist eine gute. Die EU darf sich in dieser Krise nicht wieder nur mit sich selbst beschäftigen, sie muss sich endlich auch mit Russland beschäftigen. In diesem Sinne sei auch Reinhard Mutz in Blätter für deutsche und internationale Politik sehr empfohlen.
Für ein friedliches Europa!
Hier die Einleitung aus dem SWP-Paper von Wolfgang Richter:
Russlands völkerrechtswidrige Annexion der Krim hat die schwerste Krise Europas seit der Raketenkrise 1984 ausgelöst. Es greift zu kurz, die Erklärung dafür lediglich in einem neosowjetischen Revisionismus zu suchen. Russland sieht sich in der Defensive gegenüber einer westlichen Vorwärtsstrategie, die russische Sicherheitsinteressen gefährdet. Diese Bedrohungsperzeption mag überzogen sein. Doch auch westliche Staaten haben zu ihrer Entwicklung beigetragen, indem sie Sicherheitsvereinbarungen marginalisiert oder umgangen haben. Soll die Rückentwicklung zur bipolaren Konfrontation in Europa vermieden werden, müssen die in den 1990er Jahren vereinbarten Instrumente der paneuropäischen Sicherheitskooperation revitalisiert und reformiert werden.
Danke dafür, auf dieses SWP-Papier aufmerksam gemacht zu haben. Das ist eine sehr ausgewogene Darstellung. Es zeigt auf, dass die NATO-Erweiterungen immerhin unter Einbeziehung und Duldung Russlands erfolgte. Erst mit der konkreten Arbeit des NATO-Russland-Rates zeigten sich Risse, die man in der Nachschau als bedeutend einstufen muss. Es wird gut erkennbar, dass Achse-des-Bösen-Bush hier eine substanzielle Rolle gespielt hat. Die heutige Erfahrungen Russlands sind dadurch wohl entscheidend geprägt.
Erschütternd ist, dass Frau „Fuck EU“ Nuland 2010 einen Kompromiß ins Sachen Rüstungskontrolle torpediert hat. Pfui! Diese Frau spielt offensichtlich schon lange eine unrühmliche Rolle.