Entwicklungen vom Ende her denken – eine Friedensvision für Europa mit der Ukraine und Russland
Die verbale Eskalation der transatlantischen Scharfmacher wird so schnell nicht aufhören. Joseph „Nie wieder Auschwitz“ Fischer hat es in der Süddeutschen Zeitung schön demonstriert. Woran sollen sich also Leute orientieren, die diesen Irrsinn nicht mitmachen wollen. Leute, die aus welchen Gründen auch immer keinen Krieg in der Ukraine wollen. Einem Land, aus dem meine Vorfahren – angefangen von meiner Mutter – herkommen.
Einem Land, in dem ich selber geboren wurde. Und als Halbukrainer möchte ich mich nicht täglich als „Putinversteher“ oder viel schlimmer beschimpfen lassen, wenn ich zum Beispiel eine deutsche oder österreichische Zeitung aufschlage. Wie aber sollen wir zum Beispiel den Fall bewerten, dass Russland doch noch in den Osten oder Süden der Ukraine einmarschiert – was aktuell durchaus noch möglich ist? Hätten dann die Falken nicht recht behalten?
Denken wie Merkel
Der Bundeskanzlerin wird oft in Porträts unterstellt, sie würde alle Entwicklungen vom Ende her denken und danach ihre aktuelle Taktik ausrichten. Ja, Deutschland verfolgt in internationalen Konflikten bislang keine Strategie, wie bereits im Syrien-Konflikt zu erkennen war. Kann es auch nicht, weil Deutschland trotz Nato-Mitgliedschaft zwischen den USA auf der einen Seite und Russland/China auf der anderen Seite herumlaviert.
Wir wissen nicht, welches Ende sich Frau Merkel im aktuellen Konflikt in der Ukraine vorstellt. Versuchen wir es jedoch so zu machen, wie es der Kanzlerin unterstellt wird und fragen uns, was das Beste für Deutschland, Europa, die Ukraine und Russland wäre. Was ist das Beste für Frieden, Handel und Demokratie? Bei der Antwort soll es nicht darum gehen, was heute oder morgen vielleicht als kurzfristiger Kompromiss herauskommen könnte.
Wir brauchen Vertrauen und nicht Konflikte
Es müsste sich eher um ein Fernziel handeln, das heute durchaus noch als utopisch und naiv erscheinen mag. Es geht dabei aber um einen roten Faden, zu dem wir immer wieder zurückkehren können. Völkerrecht wurde vom Westen gebrochen und von Russland auf der Krim wohl auch. Man kann über beides lange streiten. Das können wir aber den TV-Talkshows überlassen.
Wer in seiner Doppelmoral aber sagt, dass vergangener Rechtsbruch keinen neuen rechtfertigen darf und die Bestrafung Russlands fordert, der wird am Ende nur neuen Bruch des Völkerrechts provozieren – wenn es nicht sogar seine Absicht ist. Worum es aber gehen muss: Es sollte nie wieder zu einem Rechtsbruch kommen. Dafür brauchen wir aber Vertrauen, kein wachsendes Mißtrauen und keine weitere Eskalation.
Vergessen wir nicht, wir befinden uns bereits im Vorhof des Krieges. Natürlich wird gelogen – aber nicht nur von russischer Seite, auch von westlicher Seite. Propaganda gehört immer dazu. In der öffentlichen Wahrnehmung wird immer der anderen Seite die Schuld zugeschoben – das ist ganz klar. Deswegen brauchen wir einen Maßstab, der uns durch das Dickicht aus Meinungsmache, Lügen und Propaganda – egal von welcher Seite – hindurchblicken lässt. Nur so können wir erkennen, was vernünftig ist und was nicht.
Ein Maßstab für gestern und heute
Was wir brauchen, das ist ein Leitbild, das dabei hilft, die Konfrontationsspirale zu durchbrechen. Ein Motiv, an dem wir uns ausrichten können, auch nachdem die eine Seite oder die andere Seite einen aggressiven Akt – militärisch oder wirtschaftlich – begeht. An diesem Bild müssten wir dann die Entwicklungen der vergangenen Jahre seit Ende der Ost-West-Konfrontation und auch die aktuelle Beeinflussung der öffentlichen Meinung in Deutschland und anderswo bewerten.
Dann schaffen wir es auch, die künstlichen Konfliktlinien zu verlassen, in die uns die transatlantischen Scharfmacher derzeit so gerne runterziehen wollen. Denn eins ist sicher, wenn Russland im Osten der Ukraine einmarschiert, werden es natürlich die Falken sein, die es schon immer gewusst haben. Die mediale Vorbereitung läuft doch schon auf vollen Touren.
Sie werden die Meinungsformate und die Berichterstattung aller Medien bestimmen. Wer dann noch Zweifel hegt, der wird nicht mehr wahrgenommen und aufs Übelste beschimpft und angegriffen werden. Erste Vorzeichen davon haben wir vergangene Woche erlebt (Sichwort: Siemens, Helmut Schmidt). Haben wir aber eine Gegenvision, können wir sehr einfach jeden transatlantischen Falken entlarven, der versucht, uns zu manipulieren.
Drei Punkte für den Frieden
Wie kann also das gedachte und ferne Ende aussehen, mit dem wir alle Entwicklungen der vergangenen Jahre bewerten, mit dem wir beurteilen können, ob die oder jene aktuelle Entscheidung in die richtige Richtung geht oder nicht:
Erstens: Wir brauchen einen Wirtschaftsraum, der von Lissabon bis Wladiwostok reicht und der Freihandel und Zollunion einschließt.
Zweitens: Wir brauchen eine Sicherheitspartnerschaft zwischen EU, Ukraine und Russland. Jeder Partner sollte alles dafür tun, dass sich der andere nicht bedroht fühlt, wie bisher Russland vom Westen. Und auch kein EU-Land oder die Ukraine soll sich von Russland bedroht fühlen.
Drittens: Wir brauchen keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der jeweiligen Länder und Wirtschaftsräume. Wer, wo und wie regiert und welche Verfassung ein Land bekommt, das ist die Sache des Wahlvolkes.
Das sind die wichtigsten Punkte, die wie gesagt, alle utopisch klingen mögen, wenn wir uns die jüngsten Entwicklungen in der Ukraine anschauen. Wer sich aber an diesen Punkten orientiert, dem kann niemand vorhalten, er sei ein „Putinversteher“, „Russlandfreund“ oder Unternehmer, der Geschäfte mit dem Teufel tätigt.
Mit diesen drei Punkten lassen sich auch aktuelle Fragen beantworten, wobei man hier eigentlich historisch ausholen müsste. Wir belassen es vorerst in der Kurzform:
War es im Sinne des hier präsentierten Leitbildes, dass die EU ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine abgeschlossen hat, das eine politische und sicherheitspolitische Zusammenarbeit vorsieht – ohne vorher Russland einzuweihen, was automatisch Ängste in Moskau geschürt hat? Klare Antwort: Nein.
Bringt es uns jetzt noch weiter im Sinne dieses Leitbildes, wenn Russland für den Anschluss der Krim bestraft wird, der verhindert, dass die Ukraine der Nato betreten kann? Die Antwort kann nur lauten: Nein.
Sollte die Ukraine ein neutrales Land bleiben und niemals der Nato beitreten? Die Antwort kann nur lauten: Ja.
Sollte die Ukraine eine Brückenfunktion zwischen EU und der eurasischen Zollunion (die zwischen Russland, Kasachstan und Weißrussland) einnehmen? Die Antwort kann nur lauten: Ja.
Um die akute Frage von Krieg und Frieden geht’s dann im nächsten Beitrag. Dabei geht es um die Frage, wie die Forderung Russland nach einer Förderalisierung der Ukraine zu bewerten ist.