Plurale Ökonomie: Wir müssen den Studenten zuhören, sonst droht uns eine geistige und moralische Sackgasse (Update mit Reaktion von Bachmann)
Monika Schnitzer, Vorsitzende der großen Ökonomenvereinigung mit dem Namen „Verein für Socialpolitik“ (VfS), hat es in Wien offen ausgesprochen: Plurale Ökonomie ist eine Frage der Macht in den Fakultäten. Und sie als Mikroökonomin will ihre Studenten schließlich nur „fit“ für den Job machen, was für eine Mikroökonomin sogar noch nachvollziehbar erscheint. Denn kein anderer Zweig der Volkswirtschaftslehre hat es in den vergangenen Jahrzehnten gelernt, so nützlich für die Praxis zu sein wie die Mikroökonomie.
Davon kann die Makroökonomie nur träumen. Für alternative Ansätze zum Beispiel in der Makroökonomie, so behauptet es die Mikroökonomin Schnitzer, bleibe keine Zeit mehr, solange die anderen Denkschulen angeblich nicht beweisen könnten, dass sie bessere Erklärungen für Wirklichkeit liefern. Eines besseren Beweises dafür, dass die Dame jeden Hauch von Wissenschaftlichkeit aufgegeben hat, braucht es da wohl nicht mehr.
Bekanntlich haben andere Ausrichtungen der Makroökonomie als der herrschende Mainstream in den vergangenen 30 Jahren einen Machtkampf verloren und wurden an den Rand gedrängt und in Fachhochschulen verdrängt, sie fristen ein Schattendasein in kleineren interessensgetriebenen Instituten oder in Kolumnen, wo sich die Hofnarren austoben dürfen. Was an unseren Unis aber regiert, ist purer Dogmatismus einer Ideologie, die sich mehr als 30 Jahre als Sieger fühlen durfte, aber heute vielleicht dann doch an ihre Grenze stößt. Die Zweifel am Inhalt des makroökonomischen Mainstreams und seiner Methoden wachsen jedenfalls, das ist kaum noch zu übersehen.
Wenn der Nachwuchsbeauftragte des VfS, Rüdiger Bachmann, im Internet wie ein trotziges Kleinkind im Buddelkasten auf jede Kritik reagiert, wird eine seriöse Auseinandersetzung damit aber kaum noch möglich. Auf recht plumpe Art und Weise macht Bachmann den Studenten klar, sie sollten doch erst einmal vernünftig lernen bevor sie sich in die Machtkämpfe der Erwachsenen einmischen. In ruhigen Momenten behauptet Bachmann auf Twitter, dass er sich längst mit den Studenten auseinandersetzt, er sogar einige ihrer Meinungen teile. Wer aber die Diskussion von Frau Schnitzer in Wien verfolgt hat, weiß natürlich, dass sie sich auf keine einzige inhaltliche Diskussion einlässt. Muss sie ja vielleicht auch nicht.
Denn abgesehen von den peinlichen Pöbeleien des Herrn Bachmann, ist seine Haltung im Grunde genommen schon wieder nachvollziehbar. In der Tat geht es hier nicht um eine Frage, die zwischen Professoren und Studenten zu klären ist. Es ist eine Frage, ob wir als Gesellschaft alternative Ansätze fördern wollen, die vielleicht einmal auch frühzeitig vor Finanzkrisen warnen, die erkennen, wie bei der Euro-Rettung ähnliche Fehler wie Anfang der 1930er Jahre in Deutschland gemacht wurden oder die sogar ein Wachstum anstreben, das zu weniger Ungleichheit führen könnte, um nur einige wenige Beispiele zu nennen.
Genau deswegen müssen wir als Gesellschaft endlich einsehen, dass es Lehrstühle und Institute auch für Professoren und Forscher jenseits des aktuellen Mainstreams geben muss. Sei es auch nur deswegen, um nicht den Blick auf alternative Erklärungsversuche zu verlieren. Welche Denkschule sich auch immer in einer Epoche als die vorherrschende durchsetzt, wird sowieso nicht allein an den Unis entschieden, sondern ist auch immer ein Spiegelbild der Machtverhältnisse in Politik und Gesellschaft. Und wenn eine Richtung der Wirtschaftspolitik versagt, wie derzeit, braucht es irgendwann die wissenschaftlichen Kapazitäten, die in eine neue Zukunft weisen können.
Wir müssen verstehen, dass es immer einen Wettstreit der Erklärungsansätze, der verschiedenen Deutungsmuster und der Weltanschauungen geben muss. Keine Richtung darf im Keim erstickt werden, denn sonst läuft unsere Gesellschaft Gefahr, in eine geistige und moralische Sackgasse zu geraten. Es gibt große globale Investmentbanken wie die Société Générale und andere französische Häuser, die genau das praktizieren und ihren Kunden, den Großinvestoren, gerne auch immer alternative Sichtweisen auf Konjunktur und Märkte anbieten.
Überhaupt liefern die Ökonomen in Banken oder Investmentfirmen und selbst mittlerweile beim IWF schöne Beispiele dafür, dass es selbst bei all den „Sachzwängen“ in ihren Unternehmen und Einrichtungen, es durchaus einen Wettstreit der Ideen und Analysen geben kann – auch der Ideologien. Wenn man aber sieht, wie sich nur die wenigsten Ökonomen in Deutschland trauen, Millimeter oder manchmal sogar Zentimeter vom hier herrschenden Einheitsbreit öffentlich abzuweichen, wird einem Angst und Bange.
Oder wenn die Forschungsinstitute in Deutschland es wieder einmal verschlafen, dass deutsche Sparer mit ihren Leistungsbilanzüberschüssen dazu beitragen, dass gerade in den USA (neben China) eine neue Schuldenblase heranwächst. Während ein Fünftel des Euro-Raums in der Depression verharrt, wo der Kapitalstock schrumpft und womöglich die hohe Arbeitslosigkeit überall Populisten auf den Plan ruft. Die amerikanische Schuldenblase mag vielleicht weniger gefährlich sein als in den Jahren vor der Großen Finanzkrise. Aber wer kann das schon so genau wissen? Wirtschaftswissenschaftler müssen auch vor wachsenden Risiken für die Finanzstabilität warnen. Das gehört heute zu ihren Aufgaben.
Wie die vergangenen Jahre aber gezeigt haben, müssen wir als Gesellschaft auch verstehen, dass die führenden Interessensvertreter der akademischen Zunft im Verein für Socialpolitik aktuell nicht die gerade die besten Verbündeten dabei sind, die Volkswirtschaftslehre zu öffnen. Deswegen sollten wir den Studenten aufmerksam zuhören, wenn sie mehr Pluralität in ihrer Wissenschaft fordern. Und dann als Gesellschaft unsere Schlüsse ziehen.
*Nachtrag*
Herr Bachmann hat auch auf diesen Beitrag reagiert, hier ein Auszug:
Wie bereits auf Twitter erwähnt, erkenne ich in der Polemik von Bachmann nur den Versuch, die Diskussion herunter zu kochen. Genau wie Frau Schnitzer geht es Bachmann darum, nur ja keine inhaltliche Diskussion zu führen über „plurale Ansätze (…), jedenfalls ganz bestimmte, die hauptsächlich politisch motiviert sind und uns in der Sache nach meinem Dafürhalten und nach dem Dafürhalten vieler anderer smarter Leuter nicht weiterbringen“, wie Bachmann ja selber zugibt.
Genau das konnten auch alle bei der Diskussion beobachten, die Frau Schnitzer in Wien geführt hat. Abseits der Polemik hat Bachmann durchaus auch mir gegenüber bereits Interessen gezeigt an einer inhaltlichen Diskussion, was ich (nicht er) angeregt hatte. Bisher bin ich es nur noch nicht dazu gekommen meine Kritik an den DSGE-Modellen, die Bachmann als die große Zukunft der Makroökonomie sieht, zu formulieren. Dieser Beitrag, mit dem Bachmann nichts anfangen kann, ist da nur als Zwischenruf zu verstehen.
Wenn Herr Bachmann noch interessiert sein sollte, wird ja vielleicht doch etwas aus der inhaltlichen Diskussion.
Foto: Flickr/ferderer.cale/(CC BY 2.0)