Der Anfang vom (Zyklus-)Ende: Amerika rutscht in die nächste Rezession
Nun ist es also passiert, was ich schon länger erwartet hatte, wofür ich schon öfter auf Twitter leise kritisiert und als bitterböser Schwarzmaler gebrandmarkt wurde. Die Investitionsdynamik in Amerika lässt nach. Konkret: Die Nettoinvestitionsquote der privaten US-Unternehmen lag im Sommer zum ersten Mal seit Anfang 2010 wieder unter dem Niveau ein Jahr zuvor. Das ergaben die ersten und vorläufigen Schätzungen zum Bruttoinlandsprodukt der USA im dritten Quartal.
Auf den ersten Blick mag eine Rezessionswarnung dieser Tage und Wochen absurd wirken. Sank doch die US-Arbeitslosenquote zuletzt auf ein Tief in diesem Zyklus (5,0 Prozent). Die Mitglieder des Offenmarktausschuss der US-Notenbank Federal Reserve scheinen die Märkte seit Wochen auf eine Zinserhöhung im Dezember vorzubereiten – wenn auch zuletzt wieder mehr zweifelnde Stimmen erklangen, die die Markterwartungen hin- und herschaukeln lassen. Klar ist aber, dass die Arbeitslosenquote – egal wir akkurat sie die Arbeitslosigkeit misst – nach einem Tief eben wieder anfängt zu steigen.
Aus dem Blickwinkel, den wir hier seit Sommer 2014 folgen, deutet jedenfalls eine sinkende Investitionsquote an, dass der Kapitalaufbau (oder anders ausgedrückt: die Kapitalakkumulation) in Amerika jetzt für längere Zeit langsamer wird, was schlussendlich tatsächlich in eine (vermutlich milde) Rezession mündet. Auf diese Entwicklung deutet ohnehin die sinkende Profitabilität des Kapitalstocks in den USA hin. Denn die Profitrate sinkt bereits seit Anfang 2014 ununterbrochen, wenngleich die Gewinne zumindest noch bis Sommer gewachsen sind. Für das dritte Quartal werden die Gewinne erst bei der Schätzung Ende dieses Monats veröffentlicht.
Fassen wir die hier entwickelte Grunddynamik des typischen Konjunkturzyklus einer kapitalistischen Marktwirtschaft noch einmal kurz zusammen (der folgende Kasten lässt sich gerne zuklappen, falls es jemand nicht mehr lesen mag):
Wie wir wissen, wächst der Kapitalstock (Maschinen, Anlagen, Gebäude, geistiges Eigentum) der Privatwirtschaft gewöhnlich schneller als die Lohnsumme. Damit sich Investitionen in neuen Kapitalstock für die Unternehmen aber überhaupt lohnen, müssen die Profitabilität des Kapitalstocks und damit natürlich auch die Gewinne steigen. Das passiert aber logischerweise nur, wenn die Unternehmen ihre Gewinnsumme ausreichend schneller steigern als die Lohnsumme.
Dies kommt daher, weil Gewinnsumme und Lohnsumme zusammen die gesamte (Netto-)Wertschöpfung oder das Einkommen der Privatwirtschaft bilden, die der Staat wiederum besteuert oder aus dem er sich Geld leihen kann. Die Nettowertschöpfung berücksichtigt allerdings, dass die Unternehmen abgenutzten Kapitalstock laufend über ihre Abschreibungen erneuern.
Getrieben durch die Konkurrenz untereinander versuchen die Unternehmen beständig die Arbeitsproduktivität ihrer Beschäftigten zu steigern, indem sie neue und modernere Kapitalgüter kaufen. So können sie am effektivsten die Gewinnsumme stärker steigern als die Lohnsumme, wobei sich die Kapitalakkumulation zugleich beschleunigen muss. Wenn die Unternehmen jedes Jahr mehr in neuen Kapitalstock investieren als im jeweils vorangegangenen, entstehen neue Jobs in der Privatwirtschaft und die Gewinne steigen: Die Nachfrage wächst also und zugleich hinkt sie doch dem Angebot beständig hinterher.
Das ist natürlich nur möglich, weil die Produkte, aus dem der Kapitalstock besteht, ihre Kosten erst über mehrere Jahre einspielen müssen, sie werden über Jahre abgeschrieben. Irgendwann tritt aber in jedem Aufschwung der Punkt ein, wo die Massennachfrage (die sich vor allem aus der Lohnsumme bildet) nicht mehr ausreicht, die Kosten vermehrter Investitionen zu decken und dabei einen wachsenden Gewinn abzuwerfen. Denn am Ende müssen jede Investition in den Kapitalstock sowie die Kosten für Vorprodukte und Löhne über den Verkauf von Konsumprodukten, Güter und Dienstleistungen, wieder hereinkommen und dabei natürlich einen Gewinn am Markt realisieren.
Dieser Punkt kommt aber zwangsläufig, weil die Investitionen in zusätzlichen Kapitalstock (das ist der einzige und wahre Zweck einer kapitalistischen Marktwirtschaft) fast immer schneller wachsen als die Lohnsumme. Diese Grunddynamik ist aber etwas, was mit einem Marktgleichgewicht nur rein zufällig vereinbar ist. Liebhabern einer Gleichgewichtsanalyse mag dies vielleicht komisch vorkommen, aber die Konjunkturdynamik lässt sich eben komplett ohne die heiligen Marktgleichgewichte herleiten und natürlich in der statistisch-gemessenen Wirklichkeit auch verifizieren.
Reicht also die Massennachfrage irgendwann im Aufschwung nicht mehr aus, verlangsamt sich die Kapitalakkumulation und es werden weniger neue Jobs geschaffen. Schlussendlich bringen die Unternehmen aber durch Kosteneinsparungen und Entlassungen in einer Rezession Gewinnsumme und Lohnsumme wieder soweit in Einklang, dass sich neue Investitionen irgendwann wieder anfangen zu lohnen und ein neuer Aufschwung beginnt. Die Kapitalakkumulation beschleunigt sich wieder und die Gewinnsumme kann schneller wachsen als Lohnsumme.
Das Marx‘sche Modell der Kapitalakkumulation verifiziert sich noch immer in der Wirklichkeit.
Diese Art der Konjunkturanalyse weckt hoffentlich die intellektuelle Neugier auch bei denjenigen, die ihr bisher eher feindlich gegenüberstehen. Für mich bleibt es jedenfalls hochspannend zu sehen, ob sich das gerade skizzierte Marx‘sche Modell der Kapitalakkumulation tatsächlich noch immer in der Wirklichkeit verifiziert, natürlich nur in der Realität, die uns die Statistiker mit ihren Zahlen liefern können. Bisher habe ich die privaten Nettoinvestitionen in den USA aber immer inklusive der Lagerveränderung betrachtet, so wie sie eben auch veröffentlicht werden.
Nun haben die amerikanischen Unternehmen im vergangenen Sommerquartal der Aufbau der Lagerhaltung von Vorprodukten oder noch unverkauften Endprodukten stärker gebremst. Es scheint also sinnvoll zu sein, sich hier ab sofort (wie oben bereits geschehen) die Nettoanlageinvestitionen anzuschauen – also ohne die Veränderungen der Lagerhaltung. Denn uns geht es ja hier um die echte Investitionsdynamik – also den Aufbau von Kapitalstock.
Um ein verlässlicheren Trend zu erkennen, untersuchen wir die Investitions- und Gewinndynamik ab sofort nicht mehr nur anhand der Quartalswerte. Grundsätzlich bietet sich also an, hier auch die laufenden Jahressummen und entsprechend die Veränderungen der Quoten jeweils zum Vorjahr anzuschauen. Für Deutschland und Europa ist dies ohnehin die einzig sinnvolle Methode, weil die Sektorkonten hier gar nicht saisonbereinigt vorliegen. Das hat auch den Vorteil, dass wir Schwächepunkte wie im Frühjahr 2013 nicht falsch interpretieren. Zudem kamen solche Phasen auch schon in den vorhergehenden Aufschwüngen vor, wie wir oben der Grafik sehen. Nach denen die Wirtschaft aber immer noch einmal Fahrt aufgenommen hat.
Noch ist die amerikanische Wirtschaft also noch nicht abgerutscht in eine Rezession. Hält der Trend bei der Investitionsdynamik aber an, dürfte es nicht lange dauern. Interessanterweise erkennen wir, dass die Profitabilität zuletzt langsamer gesunken ist. Werfen wir also noch einen Blick auf die absoluten Veränderungen, die wie gesagt erst bis zum zweiten Quartal vorliegen.
Wir sehen also, dass trotz starkem Dollar die Gewinne im ersten Halbjahr 2015 absolut wieder etwas stärker gestiegen sind. Das dürfte vor allem auf den Verfall des Ölpreises und anderer Rohstoffnotierungen zurückgehen. Gleichwohl sinkt aber die Profitabilität des Kapitalstocks, was wir nicht nur an der Gewinnquote erkennen, sondern auch daran, dass die Lohnsumme prozentual bereits stärker wächst als die Gewinnsumme.
Wenn der Kapitalstock aber schneller wächst als die Lohnsumme, dann kann das nur heißen, dass die Mehrwertrate und damit die Profitrate des Kapitalstocks und des Gesamtkapitals sinken. Interessanterweise liegt die Mehrwertrate, also das Gewinn/Lohn-Verhältnis noch immer deutlich über den Hochs des vergangenen und des vorangegangenen Aufschwungs. Neben dem anhaltenden Schuldenabbau der Privathaushalte erklärt also auch die schwache Lohnentwicklung, warum das Wirtschaftswachstum in den USA insgesamt so schwach geblieben ist in diesem zu Ende gehenden Zyklus.
Aber egal wie hoch der Gewinnanteil an der Nettowertschöpfung ausfällt, die Investitionsdynamik und der Jobaufbau dürften gleichwohl bei weiter sinkender Profitabilität nachlassen, erst recht, wenn die Gewinnsumme zu sinken beginnt. Das spricht aber gegen eine Zinserhöhung im Dezember. Sollte sie doch kommen, dürfte die Federal Reserve sie schon bald wieder zurücknehmen und das nächste Quantitative Easing (QE4EVER)-Programm starten. Da aber die Verschuldung in diesem Zyklus besonders bei den Privathaushalten gesunken ist, dürfte diese Rezession wohl milde ausfallen.
Foto:Flickr/Brent Moore/(CC BY 2.0)
Wieder mal mit Gewinn gelesen.
Wäre aber schön, wenn sie mal die Verwirrung über Lohnsumme, Gewinnsumme, Lohnquote, Lohnrate, Profitrate, Gewinnquote, Mehrwertrate etc.
auflösen könnten.
So scheint mir die Mehrwertrate der USA in Anlehnung an die Lohnquote/Gewinnquote in D unglaublich hoch. Sofern das stimmt, wäre selbst bei
drastischem Fall der Mehrwertrate die Erlössituation der US-Wirtschaft noch äußert üppig – im Vergleich zur dt. Situation.
Oder, wo liegt der Hase im Pfeffer?
Es gibt gerade ein Problem mit Datawrapper, das Tool, mit dem ich Grafiken produziere… Können Sie die Grafiken sehen außer die letzte? Die Leute von Datawrapper arbeiten gerade dran, das Problem zu beheben, vielleicht wird es dann klarer…
Lohnsumme = Summe aller gezahlten Arbeitsentgelte nicht-finanzieller Unternehmen in der Privatwirtschaft
Gewinnsumme = Bruttowertschöpfung minus Abschreibungen minus Arbeitsentgelte = Nettowertschöpfung minus Arbeitsentgelte (nicht-finanzieller Unternehmen in der Privatwirtschaft)
Dabei handelt es sich also um die Summe der (operativen) Betriebsüberschüsse nach Abschreibungen und vor Steuern, Zinsen und sonstigen Vermögensauszahlungen.
Nettowertschöpfung = Lohnsumme plus Gewinnsumme
Gewinnquote = Gewinnsumme dividiert durch die Nettowertschöpfung
Nettoinvestitionen = Bruttoinvestitionen minus Abschreibungen
Nettoinvestitionsquote = Nettoinvestitionen dividiert durch Nettowertschöpfung
Profitrate des Kapitalstocks = Gewinnsumme dividiert durch die Summe des Werts des Kapitalstocks und der Lohnsumme
Profitrate des Gesamtkapitals = Gewinnsumme dividiert durch die Summe des Werts des Kapitalstocks, der Lohnsumme und der Vorleistungen
Mehrwertrate = Gewinnsumme dividiert durch die Lohnsumme
Ja, die Mehrwertrate ist sehr hoch in den USA im Vergleich zu den Zyklen davor. Die Frage in der dynamischen Betrachtung ist also, was die Unternehmen machen, wenn die Gewinnsumme kaum noch wächst oder sogar sinkt. Dann wird weniger investiert, es entstehen erst weniger Jobs und irgendwann werden Jobs abgebaut. Das heißt aber, dass das volkswirtschaftlich Einkommen sinkt, also das Bruttoinlandsprodukt oder wie hier betrachtet (ohne Abschreibungen) die Nettowertschöfpung.
Einseits sinkt dann der Anteil der Gewinnsumme an der Nettowertschöpfung (oder die Mehrwertrate) und gleichzeitig sinkt aber auch die Nettowertschöpfung – egal wie hoch der Gewinnanteil zuvor war. Weil er aber absolut und relativ sinkt, schwindet damit der Anreiz der Unternehmen, mehr in den Aufbau neuen Kapitalstocks zu investieren… Da hilft dann auch nicht, dass die Mehrwertrate im Vergleich zu Deutschland so hoch ausfällt in den USA (wobei man hier bei internationalen Vergleichen eher vorsichtig sein muss, weil in jedem Land andere Abschreibungssätze gelten). Es kommt immer auf die Bewegungsdynamik an…
Zusatz: Das Einkommen muss allerdings nicht sinken, wenn wir längere Zeiträume wie Jahre betrachten (selbst wenn es Quartale gibt, wo es im Quartalsvergleich sinkt). Im Vorjahresvergleich sehen wir auf jeden Fall in der Rezession ein deutlich langsameren Anstieg. In schweren Rezessionen wie der von 2008/2009 sank das Bruttolandsprodukt auch im Vorjahresvergleich und zwar kräftig.
Zumindest in diesem Beitrag habe ich die Grafiken wieder repariert… :)