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Putin fürchtet die Geister, die er im Donbass nicht mehr los wird

Bei der „Süddeutschen Zeitung“ glauben einige Leute, Wladimir Putin habe kurz vor den Wahlen in der Ukraine nur einen taktischen Rückzug angetreten. Die Drohung der EU mit heftigen Wirtschaftssanktionen – sie hätte den russischen Präsidenten wohl beeindruckt. Doch an seiner Strategie werde er weiterhin festhalten. Und die soll besagen, dass sich die Ukraine nie und nimmer an die EU annähern darf. Im FAZ-Leitartikel heißt es heute: „Wenn wieder Frieden einkehren soll, muss der Westen daher den Druck auf Moskau aufrechterhalten.“

Die deutschen Beobachter könnten komplett daneben liegen.

Auf der Kreml-kritischen Nachrichtenseite Slon.ru haben sie eine interessante Beobachtung gemacht. Dort schreibt der ehemalige Diplomat und heutige Journalist Alexander Baunow (Baunov): Seit Tagen schon – konkret seit dem Petersburger Forum am Wochenende – redet Putin nicht mehr von Faschisten oder der Junta in Kiew. Auch der Begriff „Новороссия“ („Neurussland“ für die südlichen und östlichen Regionen der Ukraine) oder die Einheit des russischen Volkes taucht bei Putin nicht mehr auf. Selbst die Ideologen im Fernsehen schalten einen Gang herunter. Gleichwohl werde Putin nicht von heute auf morgen seine Propaganda schlagartig ändern können, auch dies müsse klar sein, schreibt Baunow. Putins Kehrtwende erfolge langsam und heimlich.

Doch warum sollte sich Putin schrittweise von der Eskalation im Osten der Ukraine verabschieden? Dafür sprechen einige Gründe: Am Anfang hat Russland sicherlich die gewaltsamen Besetzungen im Osten vorangetrieben. Mittlerweile tummeln sich unter diesen fragwürdigen Gestalten aber so viele Einheimische und Russen, die erst mit der Waffe in der Hand und im Tarnanzug ein Stück Anerkennung gefunden haben, die ihnen sonst wohl eher verwehrt blieb.

Die Kalaschnikow als der „schnellste soziale Fahrstuhl“ schlechthin, zitiert Baunow einen ukrainischen Kollegen. Egal ob sie nun aus der Ostukraine oder aus Russland gekommen sind, es sind Männer, die jeden und alles für ihr Elend verantwortlich machen: Die Amerikaner, die Juden, die Gouverneure, die Oligarchen, die Abgeordneten, die Polizisten oder Medwedew.

Hier wird es gefährlich für Putin und sein geliebtes Russland. Was, wenn diese „Männchen“ die Revolution mit nachhause tragen? Haben sie nicht gerade erst die Residenz des reichsten Mann im Donbass, Rinat Achmetow, belagert? Deren Aufstand muss Putin jetzt weiter fürchten, denn in Kiew endet gerade die Rebellion des Maidan.

Es handelt sich eben auch im Osten um eine „Revolution“, schreibt Baunow. Nach offiziellen Schätzungen aus Kiew ging immerhin ein Drittel der Bevölkerung zu den fragwürdigen Unabhängigkeitsreferenden in Donezk und Lugansk. Umgerechnet auf den Maidan wären nicht 500.000 Menschen auf den Platz geströmt wie am 8. Dezember. Sondern in der Drei-Millionen-Stadt Kiew hätte es dann immerhin eine Million Leute auf die Straße getrieben – die angereisten „Touristen“ aus der Westukraine gar nicht mitgezählt.

Auch im Osten genießen die Rebellen, die radikale Vorhut, wie auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew einen großen Rückhalt. Das sollte nicht vergessen werden. Auch wenn sich Putin im Geiste jetzt vom Donbass verabschieden mag: Es wird wohl noch lange dauern bis der blutige Spuk vorübergeht, so warnt Alexander Baunow. Die kleinen Männchen werden bleiben und weiter für Ordnung sorgen wollen und noch lange von der alten Welt träumen, damals als noch alles in bester Ordnung war.

Das Schlimme daran: So wie Moskau bis vor kurzem überall in der Ukraine die radikalen Teufel vom „Rechten Sektor“ am Werk sah, so wird auch die jetzige Führung in Kiew noch lange die Gespenster des Kreml hinter jeder Hecke im Osten vermuten. Selbst dann noch, wenn der unsichtbare Feind sich schon lange zurückgezogen haben dürfte. (Etwas widersprüchlich lesen sich derzeit die Meldungen zu den Kämpfern aus Tschetschenien – siehe Update am Ende.)

Vor wenigen Wochen fand in Wien eine Veranstaltung mit Ex-Botschaftern auch Österreich statt, auch Veteranen der deutschen Außenpolitik waren dort. Es galten die „Chatham House Rule“ – ich darf also nicht schreiben, wer dabei war und was die Anwesenden konkret gesagt haben. Einer der Ex-Diplomaten brachte die Formel auf den Punkt, die Moskaus Politik gegenüber der Ukraine so lange Zeit geprägt habe: „EU ja, Nato nein“, sagte der Mann. Weil Kiew und der Westen die Neutralität der Ukraine aber nie garantiert haben, müssten wir jetzt mit der Krim leben und dem blutigem Chaos – dort im Donbass.

Dabei könnte es doch sein, dass wir Putin bald noch dringend brauchen werden, damit endlich Ruhe und Frieden einkehrt. Vielleicht brauchen wir sie bald,  die Truppen unter den drei Flaggen: der Ukraine, Russlands und der EU? Dafür müsste man sich aber irgendwie mit Russland und dem Osten zusammenraufen – bei aller kritischen und berechtigten Distanz, die wir jetzt pflegen.

Bemerkenswerterweise sagte Frau Merkel vorige Woche in einem Interview:

„Für uns Deutsche ist Russland ein enger Partner. Zwischen Deutschen und Russen wie zwischen der EU und Russland gibt es eine Vielzahl bewährter Gesprächsformate. Unser Ziel in den vergangenen Jahren war es – und kann es jederzeit wieder werden – Russland und Europa enger zusammenzuführen. Der russische Präsident selbst spricht ja gelegentlich von einer Wirtschaftszone von Lissabon bis Wladiwostok, für die es durchaus viele gute Argumente gibt.“

***

Update – 9:00 – 28.Mai

Unklar ist jedoch, was es mit den Gruppen aus Tschetschenien auf sich hat. Die FT schreibt:

„On Tuesday, half-a-dozen armed men approached by the Financial Times outside a Donetsk regional hospital confirmed that they were part of a Chechen unit that had travelled to Donetsk one week ago to fight alongside the separatists. “Our president [Chechnya’s Ramzan Kadyrov] gave the order. They called us and we came,” one of the fighters, a 33-year-old named Zelimkhan, said. He added that the unit was called the “dikaya diviziya”, or savage division.“

Ramsan Kadyrow bestreitet dies allerdings bereis seit Montag.

  • sirop

    Das mit Tchechenen könnte stimmen.
    Ob Kadyrov den formalen Befehl gegeben hat, ist eine andere Frage.

    Siehe http://avmalgin.livejournal.com/4623768.html ,
    Vorsicht: die Bilder sind teilweise „unangenehm“.

  • Rob

    Putin fürchtet die Geister?

    Hm,

    „Putin ist vollkommen im Bilde, was in der Ukraine geschieht. Die Behauptung, er habe keinen Einfluss auf die Vorgänge, ist eine Propagandalüge. Dass die Auseinandersetzung eine Eigendynamik gewinnt, ist klar, aber gerade Leute wie Ponomarjow handeln nicht auf eigene Faust.“

    So zu lesen in einem aktuellen Interview mit dem Historiker und Slawist Karl Schlögel, auf http://www.cicero.de/weltbuehne/krise-der-ukraine-die-ukraine-ist-kein-failing-state/57724

    Drei weitere interessante Zitate:

    „Dass die Linke aber die Volksbewegung des Maidan als faschistisch und antisemitisch diffamiert, ist eine Ungeheuerlichkeit. Hier zeigt sich nicht nur Ahnungslosigkeit, sondern eine Korruption des antifaschistischen Gedankens, dessen eigentlicher Platz auf Seiten der Unterdrückten und der demokratischen Kräfte ist.“

    „Mit der russischsprachigen Bevölkerung ist es so eine Sache. Ich kenne kein Land, das so stark bilingual ist wie die Ukraine, wo die Menschen in einem Gespräch fließend vom Ukrainischen ins Russische wechseln. Der östliche Landesteil spricht russisch, aber auch die Hauptstadt Kiew ist mehrheitlich russischsprachig.“

    Nach der Präsidentenwahl:
    „Wenn ich aber die jetzige Situation mit der Lage vor einem Monat vergleiche, hat gerade in den Regionen von Luhansk und Donezk eine unglaubliche Veränderung stattgefunden. Die Bevölkerung von Luhansk zum Beispiel, ließ die versprengten Unruhestifter lange links liegen. Inzwischen haben diese Banden die Stadt als Geisel genommen. Die Geschäfte sind geschlossen, viele Menschen versuchen auszureisen. In Briefen schreiben Bewohner: „Die Stadt stirbt“. Das hat mich schockiert.“

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