Herr Jakobs stellt das Nachdenken ein
Hans-Jürgen Jakobs, Chefredakteur des Handelsblatts, hat am Montag einen Essay über Gerechtigkeit in seiner Zeitung veröffentlicht. Nennen wir es ruhig einmal einen interessanten Essay. Er ist nicht deswegen interessant, weil sich der Kollege klar im Wahlkampf positioniert – das ist in diesen Wochen eher normal. Doch lesen wir etwas:
„Die Bundesrepublik ist nicht so ungerecht, wie sie Peer Steinbrück machen will, der „rechte“ Sozialdemokrat von einst, der sich vom Wirtschaftsfachmann zum Gerechtigkeitskämpfer mit Lasalle’schem Impetus wandelte. Die Republik ist nicht so fehlgesteuert, wie sie Jürgen Trittin darstellt – mit einem angeblichen Überhang an Reichtum bei ganz wenigen, denen unbedingt per Dreifachangriff bei den Steuern beigekommen werden muss, um die Einnahmen dann an die Armen zu verteilen. Die Republik weist vielmehr – durch die verbesserte Beschäftigungslage – eine gleichmäßigere Einkommensverteilung auf als noch vor fünf Jahren.“
Der letzte Satz macht diesen Text so interessant. Eine verbesserte Beschäftigungslage habe also zu einer gleichmäßigeren Einkommensverteilung in der Republik geführt als noch vor fünf Jahren. In dieser Situation von Umverteilung zu träumen, habe wenig mit Gerechtigkeit zu tun, dafür viel mit Propaganda, schreibt Jakobs. Zum Beleg seiner These führt er uns gleich noch den berühmten Ginikoeffizienten vor:
Der Gini-Koeffizient misst die Ungleichheit auf einer Skala zwischen 0 und 1. Bei einem Wert von 0 hätten alle Bürger gleich viel, bei einem Wert von 1 hätte einer alles und alle anderen nichts. (Quelle: Handelsblatt)
Daraus geht nun hervor, der Staat verteile „die rohen Ergebnisse des Marktes – die hohen Lohneinkommen und großen Unternehmergewinne – heute nicht weniger ins Soziale um als in den Jahren zuvor“. Hmm, aber war da nicht was? Haben die Deutschen nicht 600 Mrd. Euro in der Finanzkrise verbrannt, wie das DIW erst kürzlich berechnet hat? Kann es vielleicht sein, dass wir gar nicht mehr sehen wollen und können, wie die Einkommen ungerecht verteilt wurden – weil Einkommensquellen einfach so im Orkus der Geschichte verschwunden sind?
Ungerecht ist für Jakobs etwas anderes: „Es ist nicht gerecht, dass die Kinder und Kindeskinder der heutigen Generation für die vielen Defizite und Gestaltungsfehler zahlen müssen – kurz für das Leben auf Pump.“
Kann es nicht viel eher sein, dass wir heute genau dafür büßen, dass wir anderen das „herrliche“ Leben auf Pump finanziert haben? Kann es sein, dass die Schwellenländer derzeit mit Währungskrisen kämpfen, weil wir genau damit einfach nicht aufhören wollen? Dass wir noch jeden letzten Winkel der Welt mit unserem Ersparten zuschütten – statt zuhause zu investieren oder in Europa. Nach Schätzung des IWF wird es zwischen 2009 und 2014 eine Summe von 1300 Mrd. Dollar sein, die Deutschland im Ausland angespart hat. Wie viel werden wir wohl von dieser Summe wiedersehen?
Mir wäre lieber, Herr Jakobs würde wenigstens ein wenig darüber nachdenken, wie wir Teil dieses Ersparten auf intelligente Art und Weise für unseren Wohlstand aktivieren.
Wir können sicherlich über die geplanten Steuererhöhungen von Rot-Grün streiten, ob sie wirlich der beste Weg sind, wie Deutschland mit seiner Drogendealermentailität fertig wird. Gut möglich, dass Herr Jakobs sogar recht damit hat, wenn er schreibt: „Diese Form des Lagerwahlkampfs stößt viele in der eigenen Klientel ab, die den Aufstiegsmythos der Republik genutzt haben, sich in eine moderne Bürgergesellschaft einbringen und selbst gut verdienen.“
Doch wenn Jakobs meint, dass dafür niemand Strafe zahlen will – dann vergisst er, dass wir alle die Strafe schon lange zahlen. Seine Aufgabe wäre es die „moderne Bürgergesellschaft“ aufzuklären und nicht jedes Nachdenken einzustellen. Wer die 600 Mrd. Euro Verlust einfach ignoriert oder wer die Augen davor verschließt, wie unser Geld noch immer eine Krise nach der anderen in der Welt trägt, der hat nun gar nichts von Gerechtigkeit begriffen – der hat das Thema noch mehr verfehlt als jeder rot-grüne Wahlkämpfer.