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Herr Jakobs stellt das Nachdenken ein

Hans-Jürgen Jakobs, Chefredakteur des Handelsblatts, hat am Montag einen Essay über Gerechtigkeit in seiner Zeitung veröffentlicht. Nennen wir es ruhig einmal einen interessanten Essay. Er ist nicht deswegen interessant, weil sich der Kollege klar im Wahlkampf positioniert – das ist in diesen Wochen eher normal. Doch lesen wir etwas:

„Die Bundesrepublik ist nicht so ungerecht, wie sie Peer Steinbrück machen will, der „rechte“ Sozialdemokrat von einst, der sich vom Wirtschaftsfachmann zum Gerechtigkeitskämpfer mit Lasalle’schem Impetus wandelte. Die Republik ist nicht so fehlgesteuert, wie sie Jürgen Trittin darstellt – mit einem angeblichen Überhang an Reichtum bei ganz wenigen, denen unbedingt per Dreifachangriff bei den Steuern beigekommen werden muss, um die Einnahmen dann an die Armen zu verteilen. Die Republik weist vielmehr – durch die verbesserte Beschäftigungslage – eine gleichmäßigere Einkommensverteilung auf als noch vor fünf Jahren.“

Der letzte Satz macht diesen Text so interessant. Eine verbesserte Beschäftigungslage habe also zu einer gleichmäßigeren Einkommensverteilung in der Republik geführt als noch vor fünf Jahren. In dieser Situation von Umverteilung zu träumen, habe wenig mit Gerechtigkeit zu tun, dafür viel mit Propaganda, schreibt Jakobs. Zum Beleg seiner These führt er uns gleich noch den berühmten Ginikoeffizienten vor:

Bildschirmfoto 2013-09-10 um 18.49.39 Der Gini-Koeffizient misst die Ungleichheit auf einer Skala zwischen 0 und 1. Bei einem Wert von 0 hätten alle Bürger gleich viel, bei einem Wert von 1 hätte einer alles und alle anderen nichts. (Quelle: Handelsblatt)

Daraus geht nun hervor, der Staat verteile „die rohen Ergebnisse des Marktes – die hohen Lohneinkommen und großen Unternehmergewinne – heute nicht weniger ins Soziale um als in den Jahren zuvor“. Hmm, aber war da nicht was? Haben die Deutschen nicht 600 Mrd. Euro in der Finanzkrise verbrannt, wie das DIW erst kürzlich berechnet hat? Kann es vielleicht sein, dass wir gar nicht mehr sehen wollen und können, wie die Einkommen ungerecht verteilt wurden – weil Einkommensquellen einfach so im Orkus der Geschichte verschwunden sind?

Ungerecht ist für Jakobs etwas anderes: „Es ist nicht gerecht, dass die Kinder und Kindeskinder der heutigen Generation für die vielen Defizite und Gestaltungsfehler zahlen müssen – kurz für das Leben auf Pump.“

Kann es nicht viel eher sein, dass wir heute genau dafür büßen, dass wir anderen das „herrliche“ Leben auf Pump finanziert haben? Kann es sein, dass die Schwellenländer derzeit mit Währungskrisen kämpfen, weil wir genau damit einfach nicht aufhören wollen? Dass wir noch jeden letzten Winkel der Welt mit unserem Ersparten zuschütten – statt zuhause zu investieren oder in Europa. Nach Schätzung des IWF wird es zwischen 2009 und 2014 eine Summe von 1300 Mrd. Dollar sein, die Deutschland im Ausland angespart hat. Wie viel werden wir wohl von dieser Summe wiedersehen?

Bildschirmfoto 2013-09-11 um 10.41.09

Mir wäre lieber, Herr Jakobs würde wenigstens ein wenig darüber nachdenken, wie wir Teil dieses Ersparten auf intelligente Art und Weise für unseren Wohlstand aktivieren.

Wir können sicherlich über die geplanten Steuererhöhungen von Rot-Grün streiten, ob sie wirlich der beste Weg sind, wie Deutschland mit seiner Drogendealermentailität fertig wird. Gut möglich, dass Herr Jakobs sogar recht damit hat, wenn er schreibt: „Diese Form des Lagerwahlkampfs stößt viele in der eigenen Klientel ab, die den Aufstiegsmythos der Republik genutzt haben, sich in eine moderne Bürgergesellschaft einbringen und selbst gut verdienen.“

Doch wenn Jakobs meint, dass dafür niemand Strafe zahlen will – dann vergisst er, dass wir alle die Strafe schon lange zahlen. Seine Aufgabe wäre es die „moderne Bürgergesellschaft“ aufzuklären und nicht jedes Nachdenken einzustellen. Wer die 600 Mrd. Euro Verlust einfach ignoriert oder wer die Augen davor verschließt, wie unser Geld noch immer eine Krise nach der anderen in der Welt trägt, der hat nun gar nichts von Gerechtigkeit begriffen – der hat das Thema noch mehr verfehlt als jeder rot-grüne Wahlkämpfer.

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  • sirop

    Haben denn nicht auch schlechte Nachrichten eine gute Seite?

    Jetzt, wo die Währungen der Schwellenländer abgewertet haben, wird die Eurozone — und damit auch Deutschland — den Außenhandelsüberschuss zurückfahren müssen.

  • André Kühnlenz

    Das geht aber nur, wenn hier die Löhne stärker steigen bzw. die Regierung etwas mehr „Planwirtschaft“ walten lassen würde, und sie alles dafür tun würde, dass unser Erspartes in Investitionen zuhause fließt – was ja auch wieder zu höheren Löhnen führen sollte… Meinetwegen auch Investitionen im Euro-Raum… Was aber leider nicht passieren wird…

    Daher wird unser Erspartes wohl eher einen Kreditboom in Frankreich anheizen oder in den USA, Großbritannien… Nicht zu vergessen ist auch China, die eben nicht abgewertet haben. Und die momentan alles dafür tun, dass das Wachstum auf Pump wieder anzieht…

    Das ist vom Bloomberg heute morgen: „China’s broadest measure of new credit almost doubled in August from the previous month in a sign leaders are committed to meeting economic goals even at the cost of adding financial risks.“ http://bloom.bg/17pfalP

    Oder wie Flassbeck es diese Woche geschrieben hat: „Wenn eine Wirtschaft nach so vielen und so extrem starken Anstößen von außen immer noch nicht auf den eigenen Beinen stehen kann, sondern lediglich darauf hofft, dass möglichst bald wieder irgendwo auf der Welt ein neues schuldenfinanziertes Konjunkturprogramm zugunsten der deutschen Wirtschaft aufgelegt wird, dann ist das ein Armutszeugnis ersten Ranges.“ http://bit.ly/17pe49z

  • T. Middendorf

    Mich würde viel mehr interessieren, wie Herr Jakobs eigentlich zu seiner merkwürdigen Graphik kommt. Erstens: Wenn diese Zahlen stimmen sollen, dann hieße das, das die Einkommensverteilung durch (!!!) die Eingriffe des Staates in den vergangenen Jahren ungleicher geworden ist. Darüber hinaus wäre es sinnvoll, beide Zeitreihen in getrennten Diagrammen darzustellen (oder auf zwei Achsen), damit man als Leser auch was erkennen kann. Zweitens: Es gibt unterschiedliche Datenquellen für die Berechnung der Einkommen. Die Bundesregierung hat sich bei der Erstellung des Armuts-, Entschuldigung, Reichtums- und Armutsberichtes darauf festgelegt, nur die Zahlen des SOEP zu interpretieren. Das Gute daran: die Zahlen des SOEP reichten nur bis 2010. Schaut man sich die aus dem Mikrozensus abgeleitete Armutsrisikoquote an (der mit Abstand größten Stichprobe), ist die Armutsrisikoquote in den vergangenen Jahren stärker gestiegen. Drittens: Interessant ist ein internationaler Vergleich von Armutsrisikoquoten bzw. Gini-Koeffizienten. Dabei kommt heraus, dass der Gini-Koeffizient in Deutschland im internationalen Vergleich besonders stark gestiegen ist und Deutschland jetzt z.B. unter den EU-Mitgliedsländern nur noch exakt im Mittelfeld rangiert was die Einkommensungleichheit NACH Steuern angeht (die maßgebliche Größe). Diese Entwicklung ist auf unterschiedliche Gründe zurückzuführen, u.a. die Hartz-Reformen (es wird heute durch Steuern und Sozialleistungen WENIGER umverteilt als vor ein paar Jahren) und die Entwicklung der Bruttoeinkommen (Details dazu gibt es übrigens in einem kürzlich erschienenen OECD-Bericht). Letzteres lässt sich (auch) durch steigende Bildungsrenditen erklären.

    Dies wäre z.B. ein Umstand, den ich als (Wirtschafts-)politiker nicht zwingend korrigieren würde, im Grunde genommen ist die dadurch steigende Einkommensungleichheit sogar notwendig, um (private) Investitionen in Bildung zu fördern.

    Man kann also durchaus über die Steuererhöhungspläne (oder sagen wir besser Einkommensumverteilungspläne) der Opposition diskutieren, nur leider auf einem anderen Niveau als das Handelsblatt oder ein Herr Selter, der kürzlich einfach bei Maischberger behauptet hat, dass der deutsche Gini-Koeffizient in den vergangenen 25 Jahren überhaupt nicht gestiegen sei. Darüber hinaus lohnt sich ein Blick in die Vermögensverteilung, wo der Gini-Koeffizient mit 0,71 (Bruttovermögen) deutlich über dem der Bruttoeinkommen (0,41) liegt…

  • André Kühnlenz

    @T. Middendorf

    Vielen Dank für den Kommentar. Ich werde das Thema wohl auch noch einmal aufgreifen. Würden Sie denn meine These teilen, dass der Gini-Koeffizient deutlich höher wäre, wenn es die 600 Mrd. Euro Verlust an Auslandsvermögen nicht gegeben hätte, die das DIW ausgerechnet hat?

  • T. Middendorf

    Dazu müsste man wissen, von wem die 600 Mrd € stammen, d.h. wo in der Einkommensverteilung die Sparer/Investoren standen. Prinzipiell würde ich vermuten, dass die Verluste eher Personen am oberen Ende der Einkommensverteilung betreffen, schließlich ist ja auch die Sparquote am oberen Ende der Einkommensverteilung sehr viel höher als unten. Das würde aber bedeuten, dass die Einkommensverteilung OHNE diese Verluste vermutlich noch ungleicher wäre, also genau das Gegenteil.

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