Adiós, Dicke Bertha!
Wolfgang Schäuble sorgt sich um die hohe Liquidität im globalen Finanzsystem. Denn die Notenbanker in Amerika und Japan pumpen Woche für Woche ihre Geschäftsbanken mit Geld voll. Komisch nur, dass unser Finanzminister es noch nicht gemerkt hat, wie im Euroland die Milliarden an Liquidität verschwinden – einfach so. Hier vernichtet die EZB fast schon täglich Milliarden an Zentralbankgeld.
Und ich glaube, wir müssen dringend einmal über Geld reden. Doch zunächst erklären wir erst einmal folgende Grafik hier:
Es war das Schreckgespenst aller Hyperinflations-Fanatiker in Deutschland: Die Banken im Euro-Raum liehen sich im Dez’11 und im Feb’12 rund 1000 Mrd. Euro von der EZB – für maximal drei Jahre. Erst seit Januar 2013 können sie dieses Geld wieder zurückzahlen. Doch schon davor – seit Sommer 2012 – reduzieren die Institute ihre übrigen Leihgeschäfte bei der Notenbank.
Unterm Strich ist die Dicke Bertha, wie Mario Draghi die 1000 Mrd. € getauft hatte, seit vergangener Woche wieder zurückgezahlt worden… Das liegt daran, dass von den 1000 Mrd. € die Hälfte gar keine neuen EZB-Kredite waren sondern nur alte Darlehen ersetzte. Netto borgten sich die Kreditinstitute im Dez’11 und Feb’12 also nur eine Summe von 500 Mrd. €. Und diese Summe ist seit vergangener Woche einfach wieder verschwunden… Ohne einen Hauch von Hyperinflation…
Reden wir also über Geld: (Verbesserungsvorschläge für das Folgende sind herzlich willkommen und werden laufend eingearbeitet!)
Wie Links auf unserem Desktop
Zentralbankgeld, wie der Namen es schon sagt, liegt normalerweise in den elektronischen Geldspeichern der Notenbanken. Wir Normalbürger bekommen es nur zu sehen, wenn wir am Geldautomaten Bargeld abheben. Das, was auf unseren Giro- oder Sparkonten liegt, das sind eigentlich nur Nullnummern. Das ist kein Zentralbankgeld, es ist nur Buchgeld.
Natürlich sind es nicht wirklich Nullnummern, denn es geht dabei um viele kleine Versprechen: Unsere Bank wird uns jederzeit Bargeld auszahlen. Ungefähr so, wenn wir auf Links oder Verweise auf unserem PC- oder Mac-Desktop klicken und zur gewünschten Datei „x Euro“ in einem Ordner namens „Zentralbank“ gelangen. Dieser Ordner befindet sich aber in irgendeiner dunklen Ecke des Internets – sehr gut geschützt, versteht sich. Die Geldadministratoren haben es so eingerichtet, dass nur Banken und Zentralbanken darauf zugreifen.
Der Reservetank eines Flugzeug
Wir dagegen schieben nur die Links hin und her, in der Realität natürlich nicht von Desktop zu Desktop – sondern von einem Konto zum anderen Konto. Ich kann zum Beispiel 6,99 € an einen Verlag überweisen, wenn ich das E-Book „Die Inflationslüge“ von Mark Schieritz kaufe. Dann schicke ich dem Verlag eigentlich nur den Link auf die Datei „6,99 €“. Der Link liegt dann auf dem Konto des Buchhändlers und verschwindet auf meinem.
Solange ich nicht bar bezahle, komme weder ich noch der Verlag mit dem Inhalt des Ordners “Zentralbank“ in Kontakt. Die Geschäftsbanken aber wiederum füllen diesen Ordner auf, damit sie uns jederzeit Bargeld auszahlen können (und um Überweisungen im Hintergrund abzuwickeln). Dieser Ordner funktioniert wie ein Reservetank bei einem Flugzeug, das uns sicher durch alle Turbulenzen über den Atlantik bringen soll.
Nicht einmal der Himmel ist die Grenze
Damit die Banken den Reservetank aber füllen können, müssen sie Wertpapiere, zum Beispiel Staatsanleihen, an die Notenbank verkaufen. Manchmal nur für eine Woche, manchmal für drei Jahre. Später dann kauft die Geschäftsbank die Papiere einfach wieder zurück. In den USA und Japan verkaufen die Finanzinstitute den Notenbanken die Wertpapiere auch dauerhaft. Sie (die Finanzinstitute) wissen dabei nicht, ob und wann die Notenbank die Papiere jemals wieder verkaufen will. So entstehen Reserven – einfach aus dem Nichts. Das nennt man etwas altertümlich auch Gelddrucken.
Der Effekt ist aber in den USA, in Japan und in Euroland immer der Gleiche: Die Banken stopfen den Ordner „Zentralbank“ mit Reserven voll. Zum Teil sind sie dazu auch verpflichtet, damit sie immer flüssig bleiben. Die Institute im Euroland können derzeit den Reservetank aber solange volllaufen lassen, wie sie wollen. Wegen der Finanzkrise ist nicht einmal der Himmel ist die Grenze. Das haben wir zuletzt Ende 2011 und Anfang 2012 in Europa deutlich gesehen.
Dicke Bertha rettet die Banken
Damals hatten viele Banken an den Rändern Eurolands große Angst. Spanische, italienische oder portugiesische Geldhäuser sorgten sich darum, dass Investoren ihr Geld abziehen. Die wollten nämlich ihre Links, um im Bild zu bleiben, nicht mehr auf Konten in Spanien oder Italien hinterlegen. Wie gesagt, müssen wir uns die Banken als gigantische Verwalter von Linkfarmen vorstellen. Das ist ihr Geschäft, daran verdienen sie. Fehlen die Mittel der Kunden (oder unsere Links) könnte irgendwann ein Sturm auf die Bank einsetzen und später sogar die Insolvenz drohen.
Deswegen füllten viele Banken den Zentralbank-Ordner an zwei Tagen, im Dezember 2011 und im Februar 2012, mit Milliardensummen an Reserven auf. Damit schufen sie sich zugleich so viele Links, dass sie vorerst geschützt waren gegen den Abzug von Kundengeldern. Wie wir aber oben in der Grafik sehen können, war die Summe gewaltig. So gewaltig, dass EZB-Chef Mario Draghi sie mit der deutschen Weltkriegskanone „Dicke Bertha“ verglich. Es ging insgesamt um rund 500 Mrd. Euro an neuen Reserven.
Draghi mottet die Dicke Bertha wieder ein
Der übervolle Reservetank führte dazu, dass die Investoren und Sparer ihre Mittel doch nicht von den Banken abzogen. Besonders seit dem Sommer 2012 vertrauen sie den Geldinstituten wieder mehr und mehr. Der Grund: Investoren und Sparer glauben seit Draghis berühmter Londoner Rede fest daran, dass die EZB den Euro immer retten wird. Das Vertrauen wuchs und wuchs, sodass der Reservetank sich langsam wieder leerte. Und seit vergangener Woche sind die 500 Mrd. Euro komplett wieder weg – oder altertümlich ausgedrückt: Das Zentralbankgeld oder die Reserven wurden geschreddert.
Die Geschäftsbanken haben ihre bei der Notenbank hinterlegten Wertpapiere zurückgekauft und die EZB hat die Reserven einfach wieder vernichtet, so wie sie vorher die Reserven aus dem Nichts geschaffen hatte. Um es noch einmal klar zu sagen: Die Reserven werden nicht (!) für was auch immer geplündert, wie es dieser etwas eigenartige Artikel im (deutschen?) Wall Street Journal glauben machen will, sondern sie verschwinden einfach wieder.
Und jetzt die Wirtschaft retten?
Theoretisch könnte der Tank jetzt natürlich wieder gefüllt werden. Nicht, um die Banken sondern um die Wirtschaft zu retten. So machen es Amerikaner und Japaner vor. Wie stark das hilft, dies ist leider etwas strittig. Aber das es hilft, das ist schon sehr klar.
ps: Man kann die Überschussliquidität auch so berechnen wie in diesem Beitrag. Praktisch kommt man fast auf die selben Summen wie in obiger Grafik. Aktuell – Stand 29. Mai – sind es nur noch 265 Mrd. Euro. Ergänzung: Am 21. Dezember 2011 (einen Tag bevor der erste 3-Jahrestender abgewickelt wurde) lag die Überschussliquidität bei 290 Mrd. Euro – da fängt in der Grafik auch der Violett-Bereich an. Durch die beiden 3-Jahres-Tender ist sie bis auf 812 Mrd. Euro gestiegen – also um die rund 500 Mrd. Euro, die netto in den Tendern abgefragt wurden. Jetzt liegt sie also wieder bei weniger als den 290 Mrd. Euro… Die Dicke Bertha ist komplett verschwunden…