Kampf den Kreditexzessen!
Die Rolle des schrägen Vogels unter Frankfurts Bankanalysten muss wohl immer einer spielen. Nachdem Thorsten Polleit sich von Barclays Capital zum Edelmetallhändler Degussa Sonne/Mond Goldhandel verabschiedet hat, sieht es so aus, als hätte er einen würdigen Nachfolger gefunden. Thomas Mayer hält jetzt die Fahne der Österreichischen Schule der Volkswirtschaftslehre in der deutschen Banker-Community hoch. Und ja, offiziell arbeitet Mayer weiterhin als Berater des größten Geldkonzerns Deutschlands.
Mayer prophezeit uns in seinen jüngsten FAS-Kolumnen das Ende der herrschenden Geldordnung. Sie sei für all die Übertreibungen und Kreditexzesse der vergangenen Jahrzehnte verantwortlich und habe zur unheilvollen Verquickung von Staaten und Banken geführt. Deshalb lauere ständig und überall das Risiko von Liquiditätskrisen und staatlichen Schuldenkrisen. Selbst eine Bankenunion werde diese enge Verbindung von Banken und Staat nicht durchbrechen, sagt Mayer. Auch strengere Regeln für Banken änderten daran nichts.
Der Ökonom sympathisiert mit den Ideen der „Österreicher“ und Libertären (hier und hier und hier und hier). Da die Vorstellungen allerdings politisch kaum durchsetzbar seien, findet Mayer am Ende dann doch die Idee des Vollreservegeldes attraktiver. Also ein System, bei dem nicht mehr die Banken unser Geld schaffen, sondern allein die Regierungen und Zentralbanken. Eine abgewandelte Form der Idee, die bereits in 1930er Jahren in Chicago entwickelt wurde, findet sich bei der Initiative Monetative.
Doch so richtig behaglich fühlt sich Mayer auch mit der Idee des Vollgeldes nicht wirklich. Das trifft übrigens auch auf Keynesianer zu. Rudolf Hickel etwa befürchtet genau wie der Bankökonom, „(d)er Staat könnte die Geldmenge manipulieren, um seinen Finanzbedarf zu decken“. Zudem könne die Notenbank in einem Abschwung nicht mehr zusätzliche Liquidität bereitstellen. Stattdessen glaubt Hickel fälschlicherweise daran, dass „(w)enn man zum Beispiel das Eigenkapital heraufsetzt, das die Banken vorhalten müssen, dann wird automatisch die Kreditmenge begrenzt, die die Banken vergeben können“.
Hickel ist ein schönes Beispiel dafür, wie Volkswirte immer wieder Reserven und Eigenkapital durcheinander bringen. Anat Admati und Martin Hellwig haben in ihrem jüngsten Buch, „The Bankers‘ New Clothes: What’s Wrong with Banking and What to Do about It“, die irreführenden Argumente der Bankenlobby zerlegt, denen leider auch immer wieder Ökonomen erliegen. Jüngst haben auch Philip Faigle und Mark Schieritz ein sehr lesenswertes Interview mit Hellwig in der „Zeit“ geführt.
Ob Banken Fremdkapital (z.B. Einlagen oder von Anlegern geliehene Gelder) oder aber Eigenkapital an ihre Kunden (Unternehmen, Haushalte, Banken, Staaten) weiter verleihen spielt für das Kreditgeschäft gar keine Rolle. Die Geldhäuser halten jedenfalls kein Eigenkapital in irgendeinem Tresor oder auf Sperrkonten versteckt, was das Kreditgeschäft auch nur irgendwie begrenzen könnte.
Wichtig wird die Höhe des Eigenkapitals der Banken allerdings dann, wenn es zu Verlusten im Falle eines Bankzusammenbruchs kommt. Je höher das Eigenkapital, desto weniger müssen die Steuerzahler für die Rettung „systemrelevanter“ Banken einspringen. Admati und Hellwig schlagen deshalb (echte) Eigenkapitalquoten von 20 bis 30 Prozent vor, wie sie sich Ende des 19. Jahrhunderts quasi „natürlich“ etabliert hatten.
Die Vollgeldler verstehen auch besser als Hickel, was die Banken mit ihren Reserven tatsächlich anstellen können. Sie dienen eigentlich nur dazu, Zahlungsströme zwischen den Banken zu verrechnen oder für Kredite zwischen den Geldhäusern (auf dem Interbankenmarkt). Was übrig ist, bleibt immer bei der Zentralbank liegen. Direkt kann damit kein einziger Kredit an Unternehmen und Haushalte weitergereicht werden – egal ob die EZB den Banken nun 1 Billion oder 5 Billionen Euro ausleiht.
Denn: „Excess bank reserves are no more likely to cause credit expansion than full tanks of petrol cause driving“ – wie hier und hier nachzulesen ist. Indirekt senken die Überschussreserven natürlich schon das Zinsniveau am Interbankenmarkt, was somit auch die Kreditvergabe günstiger machen könnte – theoretisch. Aktuell sehen wir aber, dass davon in Italien oder Spanien jedoch kaum etwas ankommt.
Zurück zu Mayer und was gegen Kreditexzesse getan werden kann, wie sie etwa Deutschland nach der Vereinigung von Ost und West und die Randstaaten Eurolands nach Einführung der Gemeinschaftswährung erlebt haben. Erfreulicherweise lesen wir, dass Mayer seinen Kopf noch nicht in den Sand gesteckt hat und einfach nur auf den Zusammenbruch der herrschenden Geldordnung und der Papiergeldes wartet: „Ein radikaler Umbau unserer Geldordnung ist jedoch unwahrscheinlich, solange das Finanzsystem nicht zusammengebrochen ist. Dies sollte uns jedoch nicht davon abhalten, die bestehende Geldordnung zu verbessern.“
Und wenn „Österreicher“ sinnvolle Vorschläge machen, sollten wir sie ernst nehmen, genauso, wenn Keynesianer kluge Dinge sagen. Konkret schlägt Mayer vor (meine Hervorherbung):
„Für die Zentralbank heißt dies, dass die unseligen Inflationsziele und die damit verbundene Politik aufgegeben werden. Angesichts der verschwommenen Definition der Geldmenge ist eine Rückkehr zu Geldmengenzielen, wie sie vor den Inflationszielen populär waren, nicht ratsam. Wesentlich besser zu erfassen ist das Kreditvolumen des Finanzsektors an die Realwirtschaft.
Wenn die Zentralbank über ihre Zinspolitik ein Wachstum des Kreditvolumens im Einklang mit dem Wachstum des nominalen potentiellen Bruttoinlandsprodukts anpeilt, würde sie nicht nur zur Stabilisierung des Preisniveaus, sondern auch des Finanzsystems beitragen.
Bei schwacher Konjunktur würde sie durch niedrige Zinsen auf Kredite an die Banken die Kreditvergabe fördern, bei starker Konjunktur würde sie über höhere Zinsen die Kreditvergabe dämpfen, und damit die Konsumentenpreisinflation – und indirekt die Wirtschaftsentwicklung – verstetigen. Kreditblasen würden unwahrscheinlich.“
Ein interessanter Vorschlag. Klingt auch einfach, ist es aber gar nicht. Denn wenn es nach Mayer geht, müssten die Notenbanker für Deutschland bereits höchst alarmiert sein. Langsam müssten sie sich darauf vorbereiten, mit Zinserhöhungen oder auf anderen Wegen (z.B. nationalen Reservequoten) das Kreditwachstum in Deutschland zu bremsen. Denn die Gesamtkreditvergabe an Unternehmen und Haushalte wächst bereits seit Sommer 2012 mit der Potenzialwachstumsrate des nominalen Bruttoinlandsprodukts, wie diese Grafik zeigt:
Es wird zwar immer wieder davor gewarnt, dass die Zinsen für Deutschland zu niedrig sind und es hier künftig zu neuen Kreditexzessen kommen kann. Ist dem aber bereits so, bewegen wir uns schon auf neue Übertreibungen zu? Das gestern veröffentlichte Ifo-Geschäftklima deutet jedenfalls noch nicht darauf, genau wie die aktuellen Inflationszahlen eigentlich niemanden beunruhigen. Vielleicht sollte also das „Wachstum des nominalen potenziellen Bruttoinlandsprodukts“ nicht allein als Richtwert für Übertreibungen herhalten.
Aus der Grafik wird auch klar, dass Überschießen und Unterschießen des nominalen Potenzialwachstums seit dem zweiten Weltkrieg eigentlich zur Regel gehörte und nicht erst seit den 70er Jahren mit der beginnenden Deregulierung und Liberalisierung des Finanzsektors. Doch wann werden diese Schwankungen wirklich gefährlich? Wie stark und wie lange soll das Kreditwachstum das Wirtschaftswachstum überschießen dürfen, oder doch lieber gar nicht, wie Mayer rät?
Klar ist auch, dass es seit dem 2. Weltkrieg mehr Phasen gab mit überschießendem Kreditwachstum, als Phasen, in denen es geringer als das Wirtschaftswachstum war. Die Folge war eine fast schon stetige Zunahme der Privatverschuldung bis Mitte der 1980er Jahre auf knapp weniger als 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Nur ein einziges Mal schrumpfte das Kreditvolumen tatsächlich und zwar im ersten Jahrzehnt der 2000er Jahre. Das war nach dem Platzen der Deutsche-Einheit-Kreditblase, die noch etwas durch den New-Economy-Boom verlängert wurde und die Privatverschuldung in der Spitze bis auf rund 135 Prozent hochtrieb.
Es spricht also vieles dafür, immer auch die Höhe der Verschuldung des Privatsektors (im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt) im Blick zu behalten. Sie liegt seit Anfang 2011 nahezu konstant bei 120 Prozent, das ist leicht mehr als in den 1980er Jahren und es ist auch das Niveau aus den Monaten kurz vor dem Lehman-Schock. Also doch noch kein Grund zur Sorge? Dazu mehr in den nächsten Tagen.
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Und nun foglen die wirklich spannenden Anmerkungen zu dieser Grafik da oben. Wer Rogoff&Reinhard-Excel-Fehler suchen will, kann dies in den Kommentaren anmerken oder eine Mail schicken, die Datei schicke ich gern zu…:
Die ersten Kreditwachstumsraten sind in der Grafik abgeschnitten, damit die Kurven besser erkennbar bleiben. Noch Anfang 1950 lagen die Wachstumsraten bei 100 Prozent und mehr, und zwischen 1951 und 1952 waren es immer noch um die 30 Prozent. Bei dem damaligen Schuldenquoten von 35 bis 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hatten die Ausschläge aber auch keine garvierenden Folgen.
Daten zur Gesamtkreditvergabe des Privatsektors stammen aus der neuen Datenbank der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die bis in das Jahr 1948 zurückreicht. Meines Wissens ist die erste Zeitreihe, die soweit zurückgeht und die Kreditaufnahme von nichtfinanziellen Unternehmen und Haushalten misst und zwar nicht nur von Banken sondern alle Quellen der Kreditaufnahme im In- und Ausland mit einschließt. Die BIZ hat hier hervorragende Arbeit geleistet, nach Beratung mit den nationalen Notenbanken haben die BIZ-Fachleute eine international konsistente Vergleichsbasis geschaffen.
Die Quartalsdaten des nominalen Bruttoinlandsprodukts in Deutschland zwischen 1950 und 1970 wurden anhand von Jahresdaten geschätzt bzw. einfach „heruntergebrochen“. Die Tiefststände der Konjunkturzyklen orientieren sich an der Daten des Economic Cycle Research Institute (ECRI). Zusätzlich wurde noch ein Tiefststand im zweiten Quartal 1958 aufgenommen – obwohl es damals formal keine Rezession gab sondern nur eine erhebliche Wachstumsverlangsamung.
Sicher gibt es verschiedene Wege, wie das potenzielle Bruttoinlandsprodukt berechnet werden kann. Wikipedia liefert uns die gängige Definition des Potenzialwachstums, wonach es die langfristige Veränderung des Bruttoinlandsprodukts bei einem normalen Auslastungsgrad der Produktionskapazitäten misst.
Historisch besser geeignet ist eine andere Betrachtungsart: Blicken wir auf vergangene Zyklen, sollten wir m. E. darunter das Wachstum verstehen, das ohne Überkapazitäten in der Volkswirtschaft auskommt. Am ehesten nähern wir uns diesem Zustand, wenn wir die Tiefststände aufeinander folgender Konjunkturzyklen vergleichen. Daher ist Potenzialwachstum hier als durchschnittliches Wachstum zwischen diesen Tiefstständen berechnet.
Schwierig wird es allerdings im aktuell noch laufenden Zyklus, da wir den nächsten Tiefststand noch nicht kennen. Hinzukommt, dass wir schwerlich den Tiefststand nach dem Lehman-Schock wegen des starken und außergewöhnlichen Einbruchs nehmen können. Ausgangspunkt ist daher das erste Quartal 2011, als das reale Bruttoinlandsprodukt erstmals wieder über den zyklischen Höchststand (erstes Quartal 2008) vor dem Lehman-Schock gestiegen ist.
Vom ersten Quartal 2011 ausgehend liegt das nominale Durchschnittswachstum bis zum vierten Quartal 2012 bei 3,2 Prozent (Jahresrate). Ziehen wir davon die durchschnittliche Inflationsrate von 2 Prozent in den Jahren 2011 und 2012 ab, kommen wir auf 1,2 reales Potenzialwachstum – es liegt somit nur geringfügig unter der Schätzung der EU-Kommission, die für beide Jahre ein reales Potenzialwachstum von 1,4 Prozent im Durchschnitt schätzt – also durchaus in der Größenordnung, die Thomas Mayer im Blick hat.