Was wäre hier wohl los, wenn Deutschland in sechs Jahren 600 Mrd. Euro an Produktionskapazitäten verlieren würde? Und sie wissen genau, wie sie Griechenland ökonomisch zerstören
Selbst wohlwollende Beobachter atmeten auf. Griechenlands Premier Alexis Tsipras hat vorige Woche seinen standfesten Finanzminister Yanis Varoufakis aus der direkten Schusslinie der Verhandlungen mit der Euro-Gruppe zurückgezogen. Nun sei die Tür für den herbeigesehnten Kompromiss wieder einen Spalt weit offen.
Manchmal hören wir auch, Frau Merkel oder Herr Schäuble hätten insgeheim längst erkannt, wie ihre Austeritätsrezepte Griechenland und andere Krisenländer ruiniert haben. Wenn da nur nicht die Wähler daheim wären, denen demonstriert werden müsse, dass die Griechen den reicheren Gläubigernationen nicht auf der Nase herumtanzen dürfen. Die Griechen, die Jahrzehnte über ihre Verhältnisse gelebt haben und dabei Korruption und Misswirtschaft gedeihen ließen.
Wie in Kriegszeiten
Wenn Athen wenigstens formal die Reform- und Sparauflagen akzeptierte, sei noch viel Spielraum vorhanden, heißt es auch gern, dann könnten die Vorgaben bei der konkreten Umsetzung wie schon 2014 etwas gelockert werden. Doch genau hier liegt ein Trugschluss vor. Auch im vorigen Jahr gab es keine Wende zum Besseren, die so mancher Politiker schon herbeifantasiert hatte. Die leichten Einkommenszuwächse täuschen nicht darüber hinweg, dass Griechenland das vierte Jahr der Zerstörung seines Kapitalstocks erlebte, wie die Zahlen der EU-Datenbank Ameco zeigen. Es geht hier im weitesten Sinne also um Produktionskapazitäten – Maschinen, Gebäude und Geräte – an denen Menschen also Arbeit finden oder eben nicht.
So eine Zerstörung durchleidet ein Land eigentlich nur in Kriegszeiten. Seit 1960 (soweit gehen die Daten zurück) bis 2010 wuchs der Kapitalstock selbst in Jahren mit scharfen Rezessionen. Und die EU-Prognosen, die im Prinzip die Wirkung der Auflagen vorwegnehmen, zeigen, dass der Kapitalstock auch 2016 noch schrumpfen wird – fast acht Prozent hätte Griechenland bis dahin verloren, wie die neueste EU-Prognose vom 5. Mai 2015 zeigt. Zum Vergleich: Würde Deutschland zwischen 2010 bis 2016 fast acht Prozent seines Kapitalstocks verlieren, käme dabei eine gewaltige Summe von 597 Mrd. Euro heraus.
Die EU-Prognose sagt uns damit nur eins: Die Gläubiger wollen, dass Griechenland ein weiteres Jahr im (ökonomischen) Kriegszustand versackt. Wer solche Feinde hat, sollte sich schleunigst neue Freunde suchen.
Siehe auch: Vergleich des Kapitalstocks Griechenlands mit den östlichen Ländern des Euro-Raums
Siehe auch: Vergleich des Kapitalstocks Griechenlands mit den südlichen Ländern des Euro-Raums
Dieser Beitrag ist ursprünglich als Kolumne im WirtschaftsBlatt erschienen.
Foto: Flickr/SpaceShoe/(CC BY 2.0)
Ganz ihrer Meinung, Herr Kühnlenz. Dass sich in der Rezession die Staatsdefizite zu reproduzieren tendieren und insofern ex post nicht auf die Höhe der Sparbemühungen geschlossen werden kann, versteht auch kaum jemand – hier kurz veranschaulicht: http://www.querschuesse.de/in-der-rezession-sich-reproduzierende-staatsdefizite/
Resultat aus der EU-Spardoktrin: Abverkauf an private Schäppchenjäger – die freuen sich (wie sie ja am Beispiel der chinesischen Investoren schön zeigen: http://online.wirtschaftsblatt.at/chinesischeinvestitionen/)
Vielen Dank und herzliche Grüße
C.G.BRANDSTETTER
Das ist doch alles so gewollt von den Politikern. Die machen mit Griechenland was sie wollen. So können die schön diktieren was sie zu tun haben.
Hallo, Herr Kühnlenz,
als ich Willem Buiter – It’s Time to Remove the Lower Bound on Interest Rates | Vox Views https://youtu.be/kp5aKDCVTzg mir ansha, musste ich an Ihren Vorschlag zur Finanzkapitalvernichtung denken.
Wären da die langwierigen negativen und von der Zentralbank festgelegten Zinsen der bessere — weil kontrolliert technische — Weg?