Bissspuren statt Dividendeninjektion – die Crux von Indizes wie DAX, Euro Stoxx & Co.
Mit der nahenden Dividendensaison und dem DAX in Reichweite seines alten Rekordhochs ist in den vergangenen Tagen eine spannende Diskussion aufgeflammt: Kann man den DAX überhaupt ernst nehmen, schließlich ist er doch als Performanceindex mit Dividendenberücksichtigung „aufgebläht“ (ein Analyst sprach gar vom „Botox-DAX“)? Der DAX-Kursindex oder der Euro Stoxx 50 liegen ja noch weit unter ihren Rekordhochs. Nun: Ja, man kann. Man muss sogar. Denn Kursindizes sind grob irreführender Schrott – und das Vorurteil nicht auszurotten, eine Dividendenberücksichtigung hieße, ein Perfomanceindex klettere an Ausschüttungtagen. Tatsächlich fällt er nur nicht wie ein Kursindex – ein entscheidender Unterschied.
Mit Geisterfahrern ist das ja so eine Sache: Nur die wenigsten wissen, dass sie auf der falschen Fahrbahn unterwegs sind. An den alten Grundschulgag „Was reden die denn da im Radio – EIN Geisterfahrer? Das sind doch hunderte!“ fühle ich mich jedenfalls erinnert, wenn an unserem Aktienindex DAX herumgemäkelt wird.
Und das haben in den vergangenen Tagen einige getan aus Anlass des nahenden Rekordhochs und der kurz übersprungenen 8000er Marke – mit folgenden Argumenten: Der DAX berücksichtige als Performanceindex ja Dividenden – so „richtig“ könne man ja vom Rekordhoch erst reden, wenn auch der Kursindex ohne Dividendenberücksichtigung sein Rekordhoch nehme. Oder, noch schärfer formulierten es die geschätzten Analysten bei Wellenreiter-invest.de: Der DAX sei ein „Botox-DAX“, ein „sonderbares Relikt eines Einzelweges“, versehen mit der Forderung, die Börse möge künftig der Vergleichbarkeit mit anderen Indizes wegen doch nur den Kursindex veröffentlichen.
Puh. Da muss ich erst mal schlucken. Denn ich habe einen – zugegeben – unbelegten Verdacht: Und zwar, dass es vielen Kommentatoren und Analysten so geht, wie es mir auch jahrelang ging: Dass ich zwar wusste, was der Unterschied zwischen Kursindex (ohne Dividendenberücksichtigung) und Performanceindex (mit Dividendenberücksichtigung und untersteller Wiederanlage) ist. Dass ich aber auch angenommen habe, dass dies heißt, dass ein Performanceindex am Tag der Dividendenausschüttung eines Mitglieds ein paar Pünktchen steigt und der Kursindex einfach unverändert bleibt.
Und das ist eben falsch – und für die Beurteilung von Indizes von entscheidender Bedeutung. Denn wenn ein Unternehmen aus einem Index eine Dividende ausschüttet, passiert folgendes: Der Kursindex vermindert sich um den Dividendenabschlag der entsprechenden Aktie, im Performanceindex passiert überhaupt nichts. Er vollzieht einfach den Dividendenabschlag nicht mit. Er klettert aber auch erst dann wieder, wenn auch die zugrunde liegende Aktie den Dividendenabschlag wieder aufholt. Was ja kein Automatismus ist.
Kurz: Dividenden spielen für den Performanceindex keine Rolle. Es ist, als hätte es sie nie gegeben, stattdessen wirkt – wenn überhaupt – das Aufholen des Dividendenabschlags kurssteigernd. Dividenden spielen aber sehr wohl für einen Kursindex eine Rolle – und zwar eine schlechte: Sie nagen fortlaufend am Kurs. Und bei besonders dividendenstarken Indizes wie dem Euro Stoxx oder Stoxx 50 sind die Bissspuren nach fünf Jahren Finanzkrise gut sichtbar, bei einem seit 120 Jahren berechneten Index wie dem Dow Jones riesig.
Das hat gleich eine ganze Reihe von Konsequenzen, über die es sich nachzudenken lohnt.
- Kursindizes sind für eine längerfristige Betrachtung ab fünf Jahren aufwärts untaugliche und irreführende Instrumente. Sie spiegeln lediglich die Kursentwicklung wider, unterschlagen aber die Dividenden, die einen um so höheren Anteil am Gesamtertrag mit Aktien haben, je länger der Betrachtungszeitraum ist (dazu weiter unten einige Beispielrechnungen). Nur weil Kursindizes schon länger da sind, macht sie das nicht zum guten Instrument – es ist eine intellektuelle Bankrotterklärung, Aktien auf Kursveränderungen zu reduzieren
- In Märkten, die per saldo nur seitwärts tendieren und in denen die Dividende die wichtigste oder gar einzige Ertragsquelle ist, versagen Kursindizes total, Anlegern ein verlässliches Bild der Märkte zu liefern. Dazu hilft es, sich folgendes Beispiel vorzustellen: Nehmen wir an, der DAX habe eine Dividendenrendite von fünf Prozent, und die Indexmitglieder holen den Dividendenabschlag jeweils zügig wieder auf – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Kursgewinne darüber hinaus gibt es nicht. Der Kursindex wird sich unter dieser Annahme über die Jahre nicht verändern, obwohl Anleger fortlaufend fünf Prozent pro Jahr (Steuern außen vor) vereinnahmen und der Performanceindex dies auch korrekt widerspiegelt – er fällt ja, anders als der Kursindex, durch die Dividendenabschläge nicht, vollzieht aber das Aufholen des Dividendenabschlags nach
- Je höher die Dividenden/Dividendenrenditen, desto höher fallen auch die Abschläge im Kursindex aus. Überspitzt und fiktiv formuliert: Entscheiden sich die DAX-Konzerne über Nacht, 80 Mrd. Euro Cash an Aktionäre auszukehren, ist das für Aktionäre (und den Performanceindex) ein Nullsummenspiel: Die Ausschüttung fließt, der Kurswert verringert sich entsprechend. Der Performanceindex bleibt unverändert. Der Kursindex sinkt aber um zehn Prozent (80 Mrd. Euro sind etwa 10 Prozent der Börsenkapitalisierung aller DAX-Werte). Man kann dies in dem sehr dividendenstarken Euro Stoxx 50 gut erkennen: Hier ist der Kursindex noch rund 45 Prozent, der Performanceindex aber „nur“ noch 26 Prozent unter den 2007er Hochs (der Grund für die Underperformance zum DAX ist die hohe Gewichtung der Finanzwerte noch Mitte 2007). An Tagen, an denen die dividendenstarken Ölkonzerne Dividenden auskehren, fallen Stoxx und Euro Stoxx 50 automatisch um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte.
Es ist aber nicht das einzige Missverständnis rund um Dividenden und Indizes. So hält sich hartnäckig die These, Dividenden machten langfristig rund ein bis zwei Drittel des Gesamtertrags mit Aktien aus. Es sind ab einigen Jahren Anlagezeitraum und auch historisch betrachtet tatsächlich viel, viel mehr durch den Zinseszinseffekt.
So haben die Forscher der London Business School über ihre hier schon mehrfach zitierte Datenbank genau ausgerechnet, welchen Anteil Kursgewinne und Dividenden langfristig an den gesamten Erträgen mit Aktien haben. Interessanterweise beträgt die reale (also inflationsbereinigte) Rendite von Aktien gemessen alleine an ihren Kursveränderungen weltweit lediglich rund 1 bis 1,5 Prozent pro Jahr. Aktien erhalten also die Kaufkraft, plus ein bisschen mehr. Die reale Gesamtrendite mit Aktien beträgt aber rund 5,5 Prozent pro Jahr – alleine Dank Dividenden und zu einem sehr kleinen Teil auch heute höheren Bewertungen als früher.
In den USA, wo die Datenverfügbarkeit besonders gut ist, spielten die Kursgewinne eine etwas größere und Dividenden eine etwas kleinere Rolle. Machen wir einmal ein praktisches Beispiel mit den realen Zahlen, um den Irrsinn von Kursindizes zu illustrieren:
Der durchschnittliche jährliche Kursgewinn von US-Aktien seit dem Jahr 1900 beträgt laut den Zahlen der London Business School real 2,0 Prozent pro Jahr, der durchschnittliche reale Gesamtertrag aber 6,2 Prozent pro Jahr. *)
Ohne Berücksichtigung der Inflation hieße das, dass ein im Jahr 1900 mit dem Indexwert von 100 gestarteter Kursindex auf den US-Aktienmarkt heute bei 937 stünde. Ein entsprechender Performanceindex stünde bei 89.551! Das heißt: Der Anteil von Dividenden und reinvestierten Dividenden am Gesamtertrag beträgt dann nicht ein oder zwei Drittel, sondern über 99 Prozent.
Der Effekt zeigt sich auch bei kürzeren und lebensnäheren Betrachtungszeträumen wie etwa 30 Jahren: Mit den historisch üblichen Realrenditen stünde ein bei 100 gestarteter Kursindex nach 30 Jahren bei 181 Punkten, ein Performanceindex aber bei 608 Punkten und damit mehr als dreimal so hoch. Rund 85 Prozent des Gesamtertrags aus Aktien stammen dann aus Dividenden.
Nun werden Indizes ja nun einmal nominal in Punkten dargestellt und nicht real, also inflationsbereinigt. Das macht das Zahlenbeispiel anhand der tatsächlichen Renditen in den USA seit 1900 aber noch beeindruckender: Unterstellt man rund 2,5 Prozent Inflation pro Jahr, sieht die Rechnung wie folgt aus: Der im Jahr 1900 gestartete Kursindex auf den US-Aktienmarkt stünde heute bei 14.460, der Performanceindex bei 1.241.500. Auch nach 30 Jahren wird die Schere schon sehr deutlich: Sie beträgt 375 (Kursindex) vs. 1221 (Performanceindex). Übrigens: Als Performanceindex stünde der Dow Jones heute nicht bei 14.400, sondern bei 1,7 Millionen Punkten. *)
Der Dow bei 1,7 Millionen? Hach, was würden die Börsenbären toben – ein Glück gibt’s Kursindizes und die Geldwertillusion.
Natürlich ist die Kursentwicklung des DAX als Performanceindex schwer vergleichbar mit den großen und bekannten Indizes wie dem S&P 500, dem Dow Jones, dem Euro Stoxx 50 oder dem französischen CAC 40. Denn diese Indizes werden allesamt als Kursindizes berechnet oder sind nur in ihrer Kursindex-Form bekannt. Doch wem will man das vorwerfen? Ein Performanceindex ist doch ein viel besseres Abbild des tatsächlichen Verlaufs einer Aktienanlage als ein Kursindex. Letztlich überträgt man mit einem Kursindex aber nur die Herangehensweise, die man von Einzeltitel kennt, die ebenfalls meist nur auf die Kursentwicklung reduziert und dabei die Dividenden außen vor lässt.
Dividenden sind nicht eine wichtige, sondern die zentrale Ertragsquelle einer Aktie oder eines Index schlechthin. Die Wachstumsgläubigkeit der letzten Jahrzehnte und der Superbullenmarkt der 80er und 90er Jahre (mit nonimalen Kurszuwächsen ohne Dividenden von 9-12 Prozent pro Jahr) haben uns nur den Blick dafür vernebelt.
*) Das deckt sich auch wunderbar mit dem Dow Jones. Der notierte 1900 bei 68 und per Ende 2012 bei 13.100 Punkten. Macht 4,8 Prozent pro Jahr. Die US-Inflationsrate betrug 1900-2012 im Schnitt 3,0 Prozent, woraus sich eine reale Rendite aus Kursveränderungen von rund 1,8 Prozent pro Jahr ergibt. Den Gesamtertrag, wäre der Dow Jones ein Performanceindex, haben Forscher bezogen auf den Dow Jones mit 9,4 – real also rund 6,4 Prozent – ermittelt. Das heißt: Inklusive Dividenden, also als Performanceindex, stünde der Dow Jones bei 1,7 Millionen.
Nur zur Info, in dem Artikel ist eine missverständliche Formulierung:
„Er [der Performanceindex] klettert aber auch erst dann wieder, wenn auch die zugrunde liegende Aktie den Dividendenabschlag wieder aufholt.“
Der Performanceindex klettert selbstverständlich, sobald die Aktie von ihrem neuen (ex-Dividende) Niveau wieder klettert. Da muss nichts aufgeholt werden. Es wird ja so getan, als ob die Dividenden sofort wieder in den Wert investiert wird, d. h. die hypothetische Investitionssumme ändert sich durch die Ausschüttung nicht. Dividenden sind ein non-Event.
Ansonsten stimme ich Dir zu, dass Performanceindizes aussagekräftiger sind als Kursindizes.
Hm. Wir schreiben doch beide exakt dasselbe, verstehe das mögliche Missverständnis nicht ganz?
“Er [der Performanceindex] klettert aber auch erst dann wieder, wenn auch die zugrunde liegende Aktie den Dividendenabschlag wieder aufholt.”
„Der Performanceindex klettert selbstverständlich, sobald die Aktie von ihrem neuen (ex-Dividende) Niveau wieder klettert. Da muss nichts aufgeholt werden.“
Beispiel: Siemens-Aktie zahlt 3 Euro Dividende. Kurs sei, wie aktuell, 84 Euro. Am Tag nach der HV macht die Aktie 3 Euro tiefer als am Vortag exD auf bei 81 Euro.
Da Siemens rd. 10% Indexgewicht hat, wird der Kursindex knapp 30 Punkte fallen zur Eröffnung am Tag nach der HV. (3,6 Prozent Dividendenrendite, 3,6% von 10% multipliziert mit Indexstand 8000 = 28,8 Prunkte) – unterstellt, alle anderen Aktien eröffnen wie zum SK des Vortags
Der Performanceindex wird am nächsten morgen unverändert eröffnen zum Vortag (unterstellt, alle anderen Aktien eröffnen zum SK des Vortags), da die Gewichtungen des DAX so verändert werden, als habe es den Dividendenabschlag nie gegeben.
Entschuldige, vielleicht ist das pedantisch, aber wir schreiben nicht dasselbe.
Du: „Index steigt erst dann wieder, wenn die Aktie den Dividendenabschlag *aufgeholt* hat“
Ich: „Index steigt, sobald die Aktie von ihrem ex-Niveau wieder steigt“
Wie gesagt, ich vermute, dass wir dasselbe meinen, aber was in dem Artikel steht, klingt, als ob der Dividendenabschlag *aufgeholt* werden muss. Da gibt’s aber nichts aufzuholen.
Ah – jetzt!