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Münchens “Don Quijote” kehrt ins Dorf zurück (Oder wie sich Bundesbank und Ifo-Chef in der Target-Frage annähern)

Am Ende war es für Hans-Werner Sinn nur noch eine Frage der Semantik, ob man nun den Target-Posten bei der Bundesbank einen Kredit oder eine Forderung nennen soll. Überhaupt, so wurde auf dem Pressegespräch am Freitag deutlich, liegen der Professor und die Bundesbank gar nicht mehr so weit auseinander, wie es noch so lange im vergangenen Jahr schien. Bemerkenswerterweise kann sich der Münchner Ifo-Chef längst damit anfreunden, die EZB-Kreditvergabe auf Ebene Geschäftsbanken zu begrenzen – auch im letzten großen Streitpunkt nähern sich Sinn und Bundesbank also an.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie offen und respektvoll Sinn mit seinen Kritikern umgeht. Zuspitzung in der Debatte ist das eine und persönliche Gespräche sind halt doch etwas anderes. Ich hoffe, dass ich meinerseits eine faire Einschätzung der Target-Debatte für unsere Online-Seite verfasst habe:

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Wie sich Bundesbank und Ifo-Chef in der Sinn-Frage annähern

Jetzt, wo alle über ihn reden, sieht der Professor fast schon müde aus. Es ist ein grauer Freitag Ende März in München, und im Ifo-Institut hat sich Besuch angesagt. Die Familienunternehmer haben zur Pressekonferenz geladen. Der Wirtschaftsverband möchte Hans-Werner Sinn noch schnell unterstützen, bevor auch der Letzte das ganz große Thema des Ifo-Chefs für sich entdeckt. „Der Verband ist auf uns zugekommen, nicht umgekehrt“, sagt Sinn. Es geht um etwas, das den streitbaren Ökonomen seit gut einem Jahr um- und antreibt. In der Bilanz der Bundesbank schlummere ein Posten, der den Deutschen noch hunderte Milliarden ihrer Ersparnisse kosten könne, glaubt Sinn. Und die Familienunternehmer sowieso.

Hans-Werner Sinn ist ein freundlicher Mann. Geduldig und konzentriert erklärt er an diesem trüben Münchner Morgen, wie das geht mit dem Zahlungsverkehr im Euro-Raum, was hinter dieser Krise steckt, die Europa seit fast zweieinhalb Jahren im Bann hält. Wie das Geld aus dem Süden und Westen des Währungsraums unaufhörlich nach Deutschland fließt, wie hier die Bankkonten anschwellen. Und die Forderungen der deutschen Kreditinstitute gegenüber der Bundesbank dadurch höher und höher werden. Und es geht darum, wie die EZB ihrerseits einen riesigen Schuldenposten gegenüber der Bundesbank aufgebaut hat, den die Währungshüter Target-Forderung nennen: Ende Februar waren es rund 550 Mrd. Euro bei der Bundesbank. Gut möglich, dass es längst 700 oder 800 Mrd. Euro sind.

Für Sinn sind diese Milliarden, diese Forderungen, keine ungefährlichen Verrechnungssummen, wie es Bundesbank und die Bundesregierung immer wieder sagen. Für den Ifo-Chef sind es echte Kredite, die im schlimmsten Fall im Feuer stehen – zumindest teilweise. Wie groß das Risiko tatsächlich ist, darüber streitet sich der Ökonom seit Monaten mit Frankfurt und Berlin – keine einfache Frage. Der Herr vom Familienunternehmerverband wirkt an diesem Morgen geradezu erleichtert, dass nicht er dem guten Duzend Journalisten den Unterschied zwischen Forderung und Krediten erklären muss.

Doch wer den Professor an diesen Tagen über Target, wie das Euro-Zahlungssystem heißt, reden hört, könnte fast meinen, dass ihn selber sein ganz großes Thema langsam zu langweilen beginnt. Viel zu oft hat er es seinen Ökonomen-Kollegen, den Journalisten und Politikern immer wieder unter die Nase gerieben. Das allerdings mit Erfolg: Sinns Gedanken werden mittlerweile weltweit diskutiert. Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass ein Ökonom einen Blogeintrag zu den Thesen ins Internet stellt. Fast jede Woche veröffentlicht eine Universität oder die Analyseabteilungen einer großen Bank ein Diskussionspapier, das den Euro-Zahlungsverkehr bis ins letzte Detail auseinandernimmt und die tatsächlichen Risiken ausleuchtet.

Gleich drei Seiten haben auch die Bundesbanker in ihrem Geschäftsbericht für 2011 dem Target-System gewidmet. Selbst die Bundesregierung bricht erstmals ihr Schweigen. Finanzstaatssekretär Steffen Kampeter (CDU) erklärte vergangene Woche in einem einen Zeitungsbeitrag, wie die Forderungen der Bundesbank am besten wieder sinken könnten: durch Strukturreformen und Wirtschaftswachstum in den Krisenstaaten.

Hans-Werner Sinn wird mit seinen Fragen endlich ernst genommen. Dabei hatte noch vor wenigen Wochen das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ eine Geschichte über den Ökonomen auf dem Kurznachrichtendienst Twitter im Internet so angekündigt: „Ökonom Hans-Werner Sinn als Don Quijote: Warum seine Warnungen zur Bilanz der Deutschen Bundesbank verhallen“.

Und lange Zeit schien es tatsächlich so, als ob Sinn wie der eingebildete Ritter Don Quijote in der legendären Geschichte gegen Windmühlen statt gegen echte Riesen kämpft. Immer wieder ließ Sinn Thesen verbreiten, die von Experten in den Zentralbanken, Ökonomen und Journalisten ziemlich schnell zerpflückt wurden. „Es war wie ein Sprung ins kalte Wasser“, sagte Sinn selber vor einem Jahr, als er noch die ganz große Leidenschaft und Lust zur Aufklärung über die Tiefen des Euro-Zahlungsverkehrs ausstrahlte.

Über die Monate hat Sinn aber viele seiner ursprünglichen Thesen wieder einkassiert. Bei der Bundesbank sagen sie, Sinn habe sich immer mehr der Position des Währungsinstituts angenähert. Wahrscheinlich ging es auch andersherum. Dabei sind die ersten Fehleinschätzungen nur zu gut erklärbar. Waren es doch vielleicht gerade einmal zwei oder drei Ökonomen, die noch vor der Euro-Einführung überhaupt ahnten, worauf die Länder mit ihrer Einheitswährung in ihrer ersten Krise zusteuern werden.

Die Krisenfolgen sind jede Woche in der gemeinsamen Bilanz der nationalen Zentralbanken und der EZB abzulesen: Knapp 1200 Mrd. Euro haben sich die Geschäftsbanken von den Notenbanken im Währungsraum geliehen – ohne diese Summen wären viele Häuser gerade am Rande Eurolands wohl längst pleite. Ohne diese Nothilfen würden die Exporteure in Deutschland deutlich weniger Autos oder Maschinen ins Euro-Ausland verkaufen können. Legten deutsche Banken noch bis zur Krise die Ersparnisse der Deutschen allzu gerne überall im Euro-Raum an, ist der Kreditfluss seit Monaten unterbrochen, was die Importfinanzierung der übrigen Euro-Länder gefährdet. Nur die Milliarden der Notenbanken halten derzeit die Währungsunion noch zusammen.

„Das ist ein absolut vernünftiger Vorschlag“

Längst sorgen sich die Bundesbanker, ob die 1200 Mrd. Euro nicht doch größere Verlustrisiken bergen, als bis vor kurzem noch so viele gedacht hatten. Klar ist, dass die Geldinstitute die Darlehen nur dann bekommen, wenn sie Sicherheiten, also vor allem Wertpapiere, hinterlegen. Offiziell heißt es: Erst wenn wirklich alle Banken ausfallen und alle Sicherheiten am Ende nichts mehr Wert sind, drohen der Bundesbank und somit auch dem deutschen Steuerzahler im schlimmsten Fall tatsächlich Einbußen: rund 300 Mrd. Euro. Das wäre der deutsche Anteil, denn Verluste teilen sich alle Notenbanken damit die Regierungen im Euro-Raum.

Bei einem Zusammenbruch der Währungsunion könnte es nach aktuellem Stand jedoch im schlimmsten Fall mehr als doppelt so viel werden, fürchtet Hans-Werner Sinn. Worüber ein Professor öffentlich nachdenken kann, darüber darf eine Notenbank wie die Bundesbank jedoch gar nicht erst spekulieren. Denn sonst würde sie der ganzen Welt zeigen, dass die Deutschen nicht mehr an die Zukunft des Euro glauben. „Ich halte ein Auseinanderbrechen der Währungsunion schlichtweg für absurd“, hat Bundesbankchef Jens Weidmann erst kürzlich gesagt.

Insgeheim setzen sie in Frankfurt allerdings darauf, dass die Verluste im Extremfall deutlich geringer ausfallen als von Sinn vorgerechnet. „Ich gehe davon aus, dass wir dann noch mit einem blauen Auge davon kommen können“, sagt ein Bundesbanker. Auch bei einem Euro-Zerfall könnten die Banken noch ihre Darlehen zurückzahlen und zur Not ließen sich halt die Sicherheiten, also die hinterlegten Wertpapiere, verkaufen – vielleicht nicht sofort, aber doch über Jahre hinweg. Zudem ist noch lange nicht wirklich ausgemacht, dass die deutschen Steuerzahler für mögliche Verluste überhaupt einstehen müssten. Denn: Eine Zentralbank kann eigentlich nie wirklich zahlungsunfähig werden.

Doch so richtig wohl ist den Bundesbankern selbst nicht dabei, wenn sie an die Risiken aus den Darlehen an die Banken denken. Wurden doch die Anforderungen an die Sicherheiten in den Krisenmonaten stark aufgeweicht. Zudem ist völlig unklar, wie ein Ende des Euro tatsächlich geregelt wäre. Denn rechtlich bewegten sich alle Staaten dann im Niemandsland, warnt Sinn. Und so liegen Bundesbank und Ifo-Chef tatsächlich fast schon auf einer Linie, wenn es darum geht, die Kreditvergabe an die Banken zu begrenzen. Allerdings nur fast: In der Frage des Wie, so schien es bisher, liegen Sinn und Bundesbank noch immer meilenweit auseinander. Denn bislang setzte der Münchner Ökonom darauf, eine Art nationale Obergrenzen im Euro-Zahlungsverkehr einzuführen.

Der Vorschlag Sinns birgt aber wiederum ganz andere Risiken. Denn dann wäre ein Euro, mit dem in Italien oder Spanien bezahlt wird, nicht mehr derselbe Euro, der in Deutschland über die Ladentheken geht, warnte erst vor kurzem Olaf Sievert, bis 1985 neun Jahre lang Chef des Sachverständigenrat der Bundesregierung, in einem offenen Brief an Sinn. Die Grundfesten der Währungsunion wären damit zutiefst erschüttert.

Ob er sich denn eine Begrenzung auf Ebene der einzelnen Banken vorstellen könne, wird Sinn in München gefragt. „Das ist ein absolut vernünftiger Vorschlag“, antwortet der Ifo-Chef. Die Bundesbanker wird’s freuen. Denn das ist genau das, was sich die Währungshüter am ehesten vorstellen können, um ihre Risiken nicht weiter ausufern zulassen. Wenigstens ein Lichtblick in diesem trüben Münchner Himmel.

http://wirtschaftswunder.ftd.de/2012/04/02/bundesbank-und-ifo-chef/

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