Die EZB darf für ein Jahr Müllstation Griechenlands spielen
Der Chefvolkswirt der Commerzbank hat es am Dienstag deutlich gesagt:
Unsere Berechnungen zeigen, dass Griechenland selbst die deutlich gesenkten Schulden ohne die Umsetzung tiefgreifender Reformen langfristig kaum tragen kann. In der zweiten Jahreshälfte steigt die Wahrscheinlichkeit, dass eine frustrierte Staatengemeinschaft Griechenland den Geldhahn zudreht.
Wenn Jörg Krämer und andere Ökonomen, die sich diese Woche äußerst skeptisch zu Wort gemeldet haben, recht behalten, könnte sich in nicht allzu ferner Zukunft eine wichtige Frage stellen: Müssen private Gläubiger womöglich auf noch mehr verzichten als die rund 110 Mrd. Euro, die jetzt geplant sind. Droht gar ein ungeordneter Zahlungsausfall, wie ihn Argentinien vor gut zehn Jahren erlebt hat. Spannend wäre dann auch, was eigentlich mit all den griechischen Staatsanleihen passiert, die bei der EZB als Sicherheiten deponiert sind.
Dazu sollte man wissen, dass die EZB sich schon frühzeitig einen Sicherheitspuffer organisiert hat. Dieser Puffer war eigentlich nur dazu gedacht, dass die Euro-Notenbank keine Verluste bei der Umschuldung Griechenlands verbuchen muss. Nur für kurze Zeit, sobald der „freiwillige“ Anleihetausch beginnt, so wollte es EZB-Chef Trichet vergangenes Jahr, müssen die Euro-Staaten ein paar Milliarden bereithalten: bis zu 35 Mrd. Euro um exakt zu sein.
Denn so war schon im Sommer 2011 klar, sobald der Anleihetausch losgeht, werden die Ratingagenturen Griechenland mit „Selective Default“ (S&P) oder „Resticted Default“ (Fitch) bewerten: teilweiser Ausfall. Wenn aber Griechenland erst einmal als Pleitestaat gilt, darf die Notenbank keine Staatsanleihen des Landes mehr als Sicherheitspfand von den Banken bei ihren Geldleihegeschäften (Tendern) annehmen. Und so war und ist noch immer der Plan, dass der Rettungsfonds EFSF (also die Euro-Staaten) für die von allen erwartete kurze Zeit des Anleihetauschs vorübergehend für mögliche Verluste bei den Notenbanken eintreten würde mit 35 Mrd. Euro als Darlehen von der EFSF an Griechenland.
Denn was könnte passieren? Banken haben sich für eine Woche, einen Monat oder gar drei Jahre Geld bei der EZB geliehen und mussten dafür Wertpapiere als Sicherheiten hinterlegen. Häuser, also vor allem die griechischen, die viel Geld in Staatspapieren ihres Landes angelegt haben, nutzten gerne genau diese Anleihen als Pfand. Wenn diese Institute jedoch irgendwann ihr Geborgtes nicht mehr zurückzahlen können, müsste die EZB auf eben diese Anleihen zurückgreifen und sie verkaufen, um das verliehene Geld wiederzusehen. Genau dieser Verkauf dürfte sich jedoch dann als äußerst schwierig erweisen, wenn die Staatsanleihen aus Athen mit „Ausfall“ bewertet werden. Denn wer will noch Papiere eines Pleitestaates kaufen?
Genau für diesen Fall sind nun die 35 Mrd. Euro gedacht, die vergangenen Dienstag beschlossen wurden. Wohlgemerkt: zusätzlich zu dem 130 Mrd. Euro schweren neuen Rettungspaket. Dass man die 35 Mrd. Euro tatsächlich einmal brauchen würde, halten viele Leute in den Euro-Institutionen natürlich für extrem unwahrscheinlich. Denn der geplante Schuldenschnitt um rund 110 Mrd. Euro soll es ja gerade Athen leichter machen, künftig Schulden zu bedienen und Zinsen zu zahlen. Und so erwarten viele, dass der „teilweise Ausfall“ von den Ratingagenturen auch schnell wieder aufgehoben wird. Die 35 Mrd. Euro dürften also niemals gebraucht werden, heißt es da.
Doch woran vergangenes Jahr nur die wenigsten gedacht haben: Das Parlament in Athen hat am Donnerstag ein Gesetz verabschiedet, das nachträglich Umschuldungklauseln in die Staatsanleihen einfügt, die von den Privatgläubigern gehalten werden. Demnach können 66 Prozent der Anleihebesitzer eine Umschuldung beschließen und wenn mindestens die Hälfte der Gläubiger ihre Meinung dazu abgeben, ob sie einen Tausch in Papiere mit weniger Nennwert wollen oder nicht. Daran müssten sich dann alle Privatgläubiger halten.
Wenn bei dem „freiwilligen“ Tausch die eingeplanten 90 bis 95 Prozent der Gläubiger also nicht zusammenkommt, kann Athen den Ausweg wählen, die Umschuldung durch die Gläubigerversammlung zu beantragen. Dann hätten wir die erste echte Staatspleite im Euro-Raum, weil Anleihebesitzer zum Verzicht gezwungen werden würden.
Zwar passiert dann immer noch alles geordnet, weil durch die Kauseln mögliche Klagen von einigen wenigen Anleihebesitzern vor griechischen Gerichten kaum erfolgreich sein dürften. Wie lange es dann aber dauert, bis die Ratingagenturen das Land wieder so einstufen, dass die EZB die neuen Papiere wieder als Pfand akzeptieren kann, weiß bisher allerdings niemand so genau.
Theoretisch könnte die Notenbank aber mindestens ein Jahr komplett ausgefallene Papiere aus Griechenland weiterhin als Pfand annehmen, wie folgende Passage aus dem MEMORANDUM OF UNDERSTANDING zeigt, das zwischen der EU und Griechenland unterzeichnet werden soll und das der FTD vorliegt.
An amount up to EUR 35 bln will be used to facilitate the maintenance of eligibility, as collateral for Eurosystem monetary policy operations, of marketable debt instruments issued or guaranteed by the Greek government. This will be achieved by putting in place a buy-back scheme for as long as a default or selective default rating is assigned to the Hellenic Republic or her bonds as a result of the debt exchange offer. The funds for the purpose of buy-back scheme may be provided in the form of notes with a maturity of 12 months. The maturity of the related EFSF loan will be 25 years, with a grace period of 10 years and an amortization period of 15 years. When the buy-back scheme is no longer required, the EFSF commitment to disburse will be canceled;
Ein kleiner Exkurs was das nun konkret bedeutet und was unter dieser Buy-Back-Scheme gemeint ist: Die EFSF leiht Griechenland eine Summe von 35 Mrd. Euro – ohne dass aber vorerst Cash fließt – das Geld würde erst fließen, wenn die Euro-Notenbanken tatsächlich Verluste erleiden sollten. Zunächst passiert also alles in Form von Garantien durch die Euro-Staaten. Praktisch gibt die EFSF dazu eigene Anleihen mit einer Laufzeit von zwölf Monaten aus, die jedoch niemals am Markt gehandelt werden. Die Anleihen bekommt Griechenland, das die Papiere jedoch sofort bei der Zentralbank von Luxemburg hinterlegt.
Erleidet nun eine Notenbank im Euro-System Verluste bei den Geldleihegeschäften mit den Banken (die griechischen Staatsanleihen als Sicherheiten hinterlegt haben), bekommt sie dafür die EFSF-Anleihen ausgehändigt. Cash sieht diese Notenbank erst dann, wenn die zwölfmonatigen EFSF-Notes auslaufen, spätestens dann müsste die EFSF auch Gelder am Markt auftreiben, die Griechenland der EFSF aber erst viel später zurückzahlen müsste – frühestens in zehn Jahren.
Genau aus dieser Frist der EFSF-Notes ergibt sich, dass die EZB theoretisch mindestens zwölf Monate ausgefallene Papiere aus Griechenland annehmen darf. Im hypothetischen Fall, dass die neuen Griechenanleihen aber nach einem Jahr immer noch mit „Ausfall“ bewertet werden, könnte die EFSF noch einmal zwölfmonatige Papiere begeben. Denn die Darlehenszusage der EFSF erlischt erst dann, wenn griechische Papiere nicht mehr mit „Ausfall“ bewertet werden.
Natürlich sagen auch für den Fall, dass die Umschuldungsklauseln gezogen werden, die Leute in den Euro-Institutionen: Erstens verläuft der Schuldenschnitt dann geordnet und zweitens erleichtert auch er es Athen seine Schulden zu bedienen und Zinsen zu zahlen. Und überhaupt, würden die Klauseln doch gerade den Druck verstärken, dass die Gläubiger „freiwillig“ tauschen sollten.
Aber was, wenn Jörg Krämer mit seiner Vorhersage richtig liegt? Dann belaufen sich alle Kreditzusagen an Griechenland auf 200 Mrd. Euro, die 34 Mrd. Euro dazu gerechnet, die aus dem ersten Paket noch übrig sind. Wie viel sollen die private Gläubiger noch einmal umtauschen? Richtig, gut 200 Mrd. Euro.
http://wirtschaftswunder.ftd.de/2012/02/24/ezb-mullstation-griechenlands/