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Mit flexiblen Regeln in die Fiskalunion

Gläubiger sollten ab einer bestimmten Schwelle über die Neuverschuldung von Euro-Staaten mit entscheiden. Dabei könnten deutlich flexiblere Regeln für eine Fiskalunion herauskommen als es sich so Mancher derzeit noch vorstellt. Die Staaten würden genügend Spielraum bekommen und gleichzeitig wären solide Staatsfinanzen gesichert. Ein Vorschlag.

Auf den ersten Blick wagt sich die Bundesbank seit dieser Woche erstmals in die unsicheren Gefilde einer Fiskalunion mit Eurobonds vor. Doch bei genauerem Hinsehen, schwebt den Währungshütern dabei ein viel zu starres Korsett für die Gemeinschaft vor, deren Grenzen drohen schon nach kurzer Zeit von einem noch zu gründenden Euro-Parlament wieder aufgeweicht zu werden. Dabei reichen eigentlich ein paar einfache mehr oder weniger aufwendige Kniffe aus, um die sehr strengen Anforderungen unserer Währungshüter zu erfüllen und gleichzeitig den Staaten noch genügend Spielraum für eigenständiges Schuldenmanagement zu lassen.

Bundesbankchef Jens Weidmann hat in seiner Rede vergangenen Dienstag vor dem aktuellen Durchwursteln in der Euro-Rettung gewarnt. Die Notenbanker fürchten zu Recht, dass die Währungsunion scheitert, wenn die Euro-Staaten mit ihren Nothilfen sich auf einen Weg begeben, bei dem am Ende alle Staaten für alle Schulden der anderen haften, gleichzeitig aber die nationalen Parlamente weiterhin über Einnahmen und Ausgaben entscheiden. Am Ende würden einzelne Staaten wohl noch stärker als zuvor zu hohe Schulden aufnehmen und disziplinierte Länder müssten die Folgen einer unsoliden Finanz- und Wirtschaftspolitik tragen.

Die Bundesbank und die Stabilitätsunion

Die Bundesbank steht seit den Anfängen der Währungsunion dafür, dass nationale Regierungen und Parlamente grundsätzlich eigenverantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entscheiden. Dabei darf kein Staat für die Schulden eines anderen haften – ein bisheriger Grundpfeiler der Währungsunion. Große Hoffnungen setzten die Notenbanker in die Finanzmärkte, die mit unterschiedlichen Zinssätzen die Regierungen disziplinieren könnten, die sich zu stark verschulden. Zudem sollten Strafen bei den Ländern greifen, die sich an bestimmte Regeln nicht halten, wie die, wonach die Verschuldung nicht auf mehr als 60 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen darf.

Nun ist jedoch klar geworden, dass die Märkte die gewünschte Funktion vor der Finanzkrise nicht erfüllt haben, und dass sie aktuell in der Krise oftmals heftig überreagieren. Lange Zeit hofften die Bundesbanker drauf, die Regeln zu stärken – was zwar auch erfolgte, jedoch aus ihrer Sicht noch lange nicht ausreicht. So fordert die Bundesbank seit Beginn der Verschuldungskrise, anfangs auch die Bundesregierung, dass bei Verstößen gegen die Regeln automatisch Strafen greifen müssen, wenn ein Land gegen die Defizit- und Schuldengrenzen verstößt.

Reform des Schuldenregeln gescheitert

Hinzu kommt: Immer wenn ein Staat in Not gerät, sollten zudem alle Hilfen mit strikten wirtschafts- und finanzpolitische Auflagen verbunden werden: im Fall von Griechenland waren dies riesige Sparvorgaben, die das Land in eine heftige Depression stürzten. Auch nicht vergessen sollte laut Bundesbank, dass bedürftige Staaten bei Rettungshilfen angemessene Zinsaufschläge zu zahlen hätten, ein Vorgabe, von der sich die Euro-Länder in den laufenden Rettungspaketen längst verabschiedet haben, weil sie auch eher dazu führen können, dass ein Land noch tiefer in die Rezession rutscht. Schlussendlich müssten am Ende immer die privaten Gläubiger bei einer Insolvenz einbezogen werden, wenn die Hilfen nicht reichen, so die Bundesbank.

Allein die letzten drei, vier Punkte lassen erahnen, weshalb die alte Position der Bundesbank sich im Euro-Raum nicht durchsetzen lässt. Bemerkenswert sind daher die Ideen, die Weidmann für eine Fiskalunion vorschweben. Die Einnahme- und Ausgabenpolitik der Staaten sollte nicht komplett zentralisiert werden. Allerdings müssten weiterhin strikte Defizit- und Verschuldungsgrenzen gelten. Nationale Regierungen und Parlamente würden aber spätestens dann ihre fiskalpolitische Souveränität verlieren, wenn sie die Defizit- und Verschuldungsgrenzen nicht einhalten.

Weidmann spricht von Fiskalunion

Klingt alles nach der alten Position der Bundesbank. Nur, statt wie früher die Regierungschefs, soll jetzt ein Euro-Parlament, also nur die Europaabgeordneten der Euro-Zone, die Regeln festlegen und überwachen dürfen. Nur mit sehr großen Mehrheiten dürfen die Parlamentarier die Regeln aufweichen oder verändern – wenn überhaupt. Der Clou liegt dabei darin: In einem Euro-Parlament, würden die Länder Deutschland, Luxemburg, Niederlande, Finnland und Österreich – gemeinhin die Nordländer – eine Minorität von zusammen 33,5 Prozent der Stimmen halten – bei einer Zustimmungsquote von 70 Prozent hätten die Länder ein Speerminorität – gegen den Willen dieser Staaten ließen sich keine Regeln aufweichen.

Für eine Gemeinschaftshaftung mit Eurobonds stellt Weidmann allerdings eine so strikte Bedingung auf, dass die Eurobonds am Ende wohl kaum kommen dürften bzw. schon nach kurzer Zeit die Vorgabe im Euro-Parlament ausgehebelt werden dürfte – und das trotz Sperrminorität der nordischen Euro-Staaten. Denn Weidmann und die Bundesbank wollen für die Eurobond-Einführung ein Neuverschuldungsverbot auf nationaler und europäischer Ebene durchsetzen.
Genau der letzte Punkt macht eine Vergemeinschaftung der Schuldenhaftung jedoch extrem unattraktiv und unflexibel. Nicht nur lädt sie dazu ein, dass die Euro-Parlamentarier die Defizit- und Verschuldungsregeln sowie das Neuverschuldungsverbots ständig aufweichen würden. Die Forderungen der Bundesbank gehen auch am eigentlichen Grund für eine gemeinsame Schuldenhaftung in einer Währungsunion komplett vorbei.

Gegen die Ansteckung helfen nur Gemeinschaftsschulden

Meiner Meinung nach gibt es folgende Begründung für eine Gemeinschaftshaftung: In ihrer jetzigen Konstruktion zeigt sich ein gravierendes Grundproblem einer Währungsunion, wo 17 Staaten – jeder für sich alleine – über ihre Schulden entscheiden: Bereits kleinste Zweifel an der Bonität wirken gerade in einer Krise verhängnisvoll – anders als in den USA, Großbritannien oder Japan. Anleger stoßen urplötzlich in Massen ihre Anleihen ab, sie testen einen Euro-Staat nach dem anderen, die allein aber zu schwach sind, weil sie ohne eigene Währung und selbständige Notenbank nicht mehr gegensteuern können. Die Folge ist eine heftige Kapitalflucht: Solide Euro-Länder wie Deutschland werden mit Liquidität überflutet und womöglich noch gesunde Staaten und ihre Banken treiben an den Abgrund: Italien und Spanien wurden mittlerweile erfasst. Jetzt ist selbst Frankreich nicht mehr vor dem Krisenstrudel gefeit. (Mehr dazu bei Paul De Grauwe)

Gegen diese Ansteckungsgefahren hilft nur eine teilweise und gemeinsame Schuldenhaftung in einer Fiskalunion. Denn spätestens, wenn Frankreich komplett von der Krise erfasst wird, reichen Rettungsschirme und Anleiheaufkäufe durch die EZB nicht mehr aus, den Währungsraum wenigstens noch zu stabilisieren.

Gläubiger und Parlamente müssen zusammen entscheiden

Doch wie sollte eine Fiskalunion ausgestaltet sein, die zugleich für alle Länder attraktiv ist und gleichzeitig den Weg zu stabilen und soliden Staatsfinanzen sichert? Der erste Punkt ließe sich mit deutlich mehr Flexibilität erreichen als es der Bundesbank momentan noch vorschwebt und der zweite erfordert bereits die frühzeitige Einbindung der Gläubiger in die Schuldenaufnahme, nicht erst wenn es zu spät ist und ein Land praktisch zahlungsunfähig ist. Letzteres würde zudem absichern, dass die Euro-Parlamentarier nicht willkürlich die Regeln ändern könnten und so die Flexibilität der Fiskalunion ständig mit einer potentiell unsoliden Haushaltspolitik untergraben könnten. Am Ende bleiben noch zwei Knackpunkte, doch dazu später mehr.

Fangen wir mit der Flexibilität an. Oft genug wurde die Verschuldungsgrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts kritisiert. Ökonomisch kaum nachvollziehbar sei sie und willkürlich festgelegt. In der Tat legen neuere Forschungsergebnisse nah, dass eine begrenzte Staatsverschuldung durchaus das Wachstum fördernd kann. Erst ab einem Verschuldungsgrad von 80 bis 90 Prozent sei eine bremsende Wirkung auf das Wachstum erkennbar. (siehe dazu Carmen M. Reinhart & Kenneth S. Rogoff sowie Stephen G Cecchetti, MS Mohanty, and Fabrizio Zampolli)

Schuldenobergrenze bei 80 Prozent

Also wieso lassen wir nicht grundsätzlich zu, dass sich jeder Euro-Staat zunächst einmal bis zu 80 Prozent seiner Wirtschaftsleistung verschulden darf? Um hier einen gewissen Puffer zu schaffen, könnte die alte 60-Prozent-Grenze durchaus erhalten bleiben. Das würde dann so aussehen, dass die Staaten bis zu 60 Prozent ihrer Schulden gemeinsam aufnehmen, und darüber hinaus dürfen sie sich bis zu 80 Prozent in eigener Verantwortung selbstständig leihen – angelehnt an den Vorschlag mit blauen und roten Bonds von Jacques Delpla und Jakob von Weizsäcker, der aber noch keine 80 Prozent-Grenze vorsieht.

Eine jährliche Gläubigerversammlung

Erst bei 80 Prozent sollte dann das von Weidmann gewünschte Neuverschuldungsverbot in Kraft treten. In letzter Zeit haben Skeptiker den Blauen/Roten-Bond-Vorschlag heftig kritisiert. Er würde dazu einladen, dass Euro-Politiker ständig versuchen würden die Grenzen (also hier die 80 Prozent) ständig rauf zusetzen. In der Tat ein berechtigter Einwand. Deswegen müssen für diesen Fall, der schon jetzt absehbar ist, ebenfalls klare Regeln her. Demnach hätten die Gläubiger immer mit zu entscheiden, ob ein Staat mit einer Verschuldung von 80 Prozent noch weitere Schulden aufnehmen darf. Denn das Risiko einer höheren Verschuldung tragen am Ende immer die Gläubiger.

Erreicht die Verschuldung eines Staates also 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, sollte jedes Jahr die Gläubigerversammlung, ähnlich wie eine Aktionärsversammlung, tagen und entscheiden, ob das Land sich noch mehr leihen darf. Zugleich muss auch das Euro-Parlament zustimmen, es könnte dabei noch bestimmte Bedingungen stellen. In beiden Gremien könnte eine Mehrheit von 70 Prozent oder mehr nötig werden. Wir erinnern uns, dass die Nordländer im Euro-Parlament eine Sperrminorität von 33,5 Prozent halten würden. Sowohl das Euro-Parlament als auch die Gläubigerversammlung könnte sich gegenseitig ein Veto einlegen. Die Märkte können unsolide Finanzpolitik sanktionieren und die Politik hätte am Ende immer noch das letzte Wort, wenn Investoren ihre eigenen Risiken nicht genügend abschätzen.

Verlust der fiskalischen Souveränität

Am Ende läuft alles auf zumindest einen teilweisen Verlust der fiskalischen Souveränität hinaus. Die jährliche Entscheidung von Gläubigern und Parlament könnte womöglich gar auf drei Jahre festgelegt werden, sobald die Verschuldung die 80-Prozent-Grenze erreicht ist. Bekommt ein Land aber die Erlaubnis sich über dieser Schwelle zu verschulden, sollte gleichzeitig eine Art Versicherungsgebühr fällig werden, die dann in die Rettungstöpfe fließt, auf die das Land im Notfall ohne weitere Bedingungen zurück greifen kann. Diese Gebühr könnte natürlich auch schon bei der Schuldenaufnahme von mehr als 60 Prozent fällig werden.

Um dieses Verfahren wetterfest zu gestalten, müsste die Entscheidungsregel nicht nur im EU-Vertrag festgeschrieben werden, der später womöglich noch geändert werden kann. Sondern die Neuverschuldungsregel ab 80 Prozent müsste auch in den Anleihebedingungen festgelegt werden. Versucht das Euro-Parlament nachträglich die Regeln zu ändern würde dies einen Zahlungsausfall auslösen und Gläubiger könnten etwa vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. Anderseits wissen Gläubiger mit den Anleiheregeln im Vornherein, was auf sie zukommt.

Anreize zum Sparen

Doch was passiert, wenn ein Land eine Verschuldung von 80 Prozent erreicht und Parlament und/oder Gläubigerversammlung sich gegen eine weitere Neuverschuldung aussprechen. Spätestens dann müsste ein Land anfangen zu sparen. Wie es dies erreicht, läge aber ganz in der Eigenverantwortung der nationalen Parlamente. Jedes Land kann selber entscheiden, ob es dafür Ausgabenpfade oder Schuldenbremsen nach deutschem Vorbild für sinnvoll hält. Eine strenge Defizitregel, wie die, dass nur drei Prozent Neuverschuldung im Jahr erlaubt sind, könnte dabei komplett entfallen, was das Regelwerk deutlich vereinfachen würde, und alle Auslegungen und Manipulationsversuche drastisch reduziert.

Der Anreiz zu einer soliden Finanzpolitik würde zugleich auf doppeltem Weg verstärkt. Einerseits müssten wohl viele Länder auf die nationalen Anleihen, also die für die Schuldenaufnahme zwischen 60 und 80 Prozent, deutlich höhere Zinsen zahlen als auf die Gemeinschaftsanleihen. Zum anderen muss eine nationale Regierung immer einen möglichen Verschuldungsstopp fürchten, wenn die Schwelle von 80 Prozent erreicht ist. Da hätten wir sie wieder, die mögliche disziplinierende Wirkung der Finanzmärkte, die sich die Bundesbank so dringend wünscht.

In der Not hilft der Rettungsfonds

Natürlich kann ein Land in die Lage geraten, dass es mehr Geld als die 80 Prozent braucht, weil etwa eine Rezession dazwischen kommt, was jedes Sparprogramm konterkariert. Wenn das Land sich aber nicht weiter verschulden darf, gibt es für den Fall bereits den Rettungsschirm der Euro-Länder. Um dabei die Risiken einer weiteren Vergemeinschaftung der Schulden zu minimieren, sollte ein Vorschlag der Bundesbank aufgegriffen werden. Gerät ein Land in Not werden automatisch alle Anleihen um drei Jahre verlängert. Der Finanzbedarf aus den Rettungstöpfen könnte erheblich minimiert werden, weil für diese Zeit keine Altschulden refinanziert, sondern nur die laufenden Defizite gedeckt werden müssen. Zudem dürfte die Rückkehr zu fiskalischen Souveränität samt eigenständiger Schuldenaufnahme dadurch deutlich erleichtert werden (siehe Bundesbank-Monatsbericht August, Seite 72).

Überhaupt wären wohl auch keine überhöhten Strafzinsen nötig, denn die Rückkehr zur fiskalischen Souveränität bietet genug Anreiz wenigstens in den drei Jahren genügend zu sparen, um so schnell wie möglich unter die 80 Prozent zu kommen. Allerdings könnten Sparvorgaben der Euro-Länder zur Bedingung für Hilfen gemacht werden.

Am Ende steht die Umschuldung

Auch dieses automatische Stillhalteabkommen müsste natürlich genau wie Umschuldungsregeln vorher in den Anleihebedingungen festgelegt werden, um den Gläubigern ausreichende Rechtssicherheit zu bieten. Sollten auch spätestens nach drei Jahren keine Fortschritte absehbar sein und das Land immer noch frisches Geld benötigen, hilft möglicherweise nur noch eine Umschuldung. Doch vorher könnten etwa Bestrafungen stehen, wie Kürzungen von EU-Strukturmitteln, um eine Umschuldung so unattraktiv wie möglich zu gestalten.

Sollte die Umschuldung aber doch kommen, wären die Verluste der Gläubiger höchstwahrscheinlich eher begrenzt. Angenommen Parlament und Gläubigerversammlung haben zugestimmt, dass sich ein Land bis auf 85 Prozent verschulden darf. Belaufen sich die Verluste bei einem Schuldenschnitt sagen wir auf 10 Prozent der Forderungen, würden die Schuldenquote auf 77 Prozent sinken und das Land könnte von vorne beginnen.

Zum Schluss zwei Knackpunkte

Bleiben zwei Probleme. Einerseits muss es zur Vorbeugung Eingriffe in die Wirtschaftpolitik der Länder geben, da sich Verwerfungen etwa am Immobilienmarkt oder bei den Banken erst Jahre später in einer exorbitanten Neuverschuldung der Staaten niederschlagen können. Zum anderen, und das ist ein gravierendes Problem, bräuchte es vor diesem zuvor skizzierten Modell vorher einen großen Big Bang. Alle Länder müssten möglichst mit einer Verschuldung von maximal in der Nähe der 60 Prozent starten und gleichzeitig müsste es riesige Investitionsprogramme geben, die Länder wie Griechenland auf ein tragfähiges Geschäftsmodell bringen. Doch dazu in einem zweiten Teil mehr.

http://wirtschaftswunder.ftd.de/2011/09/15/mit-flexiblen-regeln-in-die-fiskalunion-%C2%96-oder-die-macht-der-markte-mit-der-macht-der-parlamente-verbinden/

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