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Meine Stimme aus Zürich: Die robuste Bindung Amerikas an Europa hält noch viel mehr aus

Die USA haben sich klar zur transatlantischen Sicherheitsarchitektur bekannt – aus purem Eigeninteresse. Europa sollte gegenüber Washington wieder stärker auf eigene Werte und Interessen pochen.

Für einige Beobachter war der Gipfel der Nato-Länder diese Woche eine einzige Geste der Unterwerfung Europas vor dem König von Washington D.C. Und das nach all dem anfänglichen Aufbäumen, das das Debakel mit dem ukrainischen Präsidenten Ende Februar ausgelöst hatte. Die Demütigung des Wolodimir Selenski und seines gepeinigten Volkes durch Donald Trump im Weissen Haus hat jedoch nur vordergründig alles verändert.

Die Amerikaner drohten damals, nicht nur die Ukraine, sondern auch alle ihre Verbündeten im Stich zu lassen. Seither verstärkt die EU alles, um die gemeinsame Verteidigung auf ein neues Niveau zu heben und die Rüstungsausgaben besser und effizienter zu koordinieren. Russlands Angriffskrieg sei eine existenzielle Herausforderung für die Europäische Union, erklärten die EU-Staats- und Regierungschefs eine Woche später im März, was sie jetzt auf ihrem Juni-Gipfel erneuerten.

«Militärs und Geheimdienstler rechnen damit, dass Russland in wenigen Jahren die EU-Länder angreifen könnte. »

Wie sich vier Monate später herausstellt, hat Donald Trump mit dem Eklat zu Beginn seiner Amtszeit etwas erreicht, was auch alle seine Vorgänger gewollt hatten, was ihnen aber nie gelang: Die europäischen Verbündeten und Kanada bekennen sich seit dieser Woche zu mehr Verantwortung in der Nato – finanziell, militärisch und logistisch.

Vielleicht war die Show rund um und bei diesem Gipfel in Den Haag, samt dem Frühstück Trumps mit dem Königspaar der Niederlande, zu viel des Guten. Ebenso die Unterwürfigkeit, mit der Europas Staatsoberhäupter ihre Besuche im Oval Office des Weissen Hauses mittlerweile bis ins letzte Detail planen. Denn es wäre ein Wunder gewesen, wenn die USA auch unter der Führung Trumps ihre Vormachtstellung in Europa so einfach aufgeben würden.

USA bekennen sich zum nuklearen Schutzschirm

Der Kontinent kann sich weiterhin auf die Sicherheitsgarantien und den nuklearen Schutzschirm der Amerikaner verlassen. Dazu hat sich Donald Trump schriftlich und mündlich jetzt eindeutig bekannt. Bislang gibt es keinen Grund zu zweifeln, dass sich daran bei allen rhetorischen Volten Trumps etwas ändern sollte.

«Die dauerhafte Abhängigkeit Europas von den militärischen Fähigkeiten der USA ist kein zufälliger Fehler, sondern ein grundlegendes Merkmal der transatlantischen Sicherheitsarchitektur», schreibt der unabhängige Militäranalyst Franz-Stefan Gady. Auch mit erhöhten Militärausgaben fehlten den Europäern die entscheidenden Fähigkeiten, über einen längeren Zeitraum Kampfeinsätze zu führen.

Wonach die US-Regierung tatsächlich strebt, damit sie sich auf ihren Hauptrivalen China konzentrieren kann: Wie auch im Nahen Osten will sie endlich Ruhe und Frieden auf dem Kontinent. Dafür bleiben die europäischen Nato-Partner unverzichtbar. Auch wenn Washington noch immer planlos agiert und so manchen Irrweg geht, wie mit den schändlichen Ultimaten an die Ukraine, die zum Glück längst Geschichte sind.

Die Karte der harschen Sanktionen bleibt auf Trumps Hand

Und vor allem schreckt Trump bislang wie sein Vorgänger davor zurück, das schärfste Mittel gegen den Herrscher im Kreml einzusetzen, das eine direkte Kriegsbeteiligung ausschliesst: harsche Sanktionen gegen die Ölgeschäfte Russlands und seiner verbliebenen Grosskunden in China oder Indien. Dabei sollten mittlerweile alle verstanden haben, dass nur eine Seite im Krieg gegen die Ukraine seit 2021 nicht wirklich verhandeln will. Und die sitzt nicht in Kyjiw. Auch nicht in Berlin, Paris oder London.

Die Amerikaner werden sich auch deswegen nicht komplett aus Europa zurückziehen, weil selbst Donald Trump bei all seiner «geschäftlichen» Vorgeschichte mit Russlands Eliten eines auffallen muss: Putin rüstet sein Land vor den Augen der ganzen Welt rapide auf – und führt längst hybride Angriffe gegen europäische Länder.

Trotz der Verluste in der Ukraine rechnen Militärs und Geheimdienstler damit, dass Russland in wenigen Jahren die EU-Länder angreifen könnte. Dabei sagt niemand, dass die russische Armee gegen die gesamte Nato in Europa einen Krieg führen würde. Aber wie sollte das Bündnis bei zunächst uneindeutigen Attacken wie auf der Krim reagieren: wenn «grüne Männchen» zum Beispiel in den baltischen Staaten einfallen?

Jeder Test der Beistandspflicht soll vermieden werden

Würde die Nato dafür eine atomare Antwort Russlands riskieren? Genau darum drehen sich derzeit alle Abschreckungspläne. Alle Szenarien sollen verhindern, dass das Bündnis seine Beistandspflicht gegen Russland testen muss. Denn daran kann die Nato schlussendlich auch scheitern, was wiederum Putins grosser Plan ist: die Sicherheitsordnung Europas zu zerstören. Auch deswegen kann die Ukraine nicht mit einem nahen Beitritt zum Bündnis rechnen.

Die Zahlen zeigen die wachsende Bedrohung: Russland hat seine jährlichen Militärausgaben seit 2020 fast verdoppelt auf rund 400 Mrd. $, während sie in den europäischen Nato-Ländern um «nur» 20% auf gut 600 Mrd. $ in den Jahren der Inflation gestiegen sind. Dies ergeben die Berechnungen des Ökonomen Peter Robertson aus Australien, die die unterschiedlichen Löhne und Kosten der Militärgeräte berücksichtigen. Die USA, mit ihren Ausgaben von fast 1000 Mrd. $ im Jahr 2024, setzen dabei den Massstab.

Logistisch ist die grössere Verantwortung der Europäer längst in der Unterstützung der Ukraine sichtbar: In einem Logistikzentrum in Südpolen übernehmen polnische und Nato-Truppen die Aufgaben, die zuvor vom amerikanischen Personal erfüllt wurden. Auch in der Nato-Einheit für den Aufbau der ukrainischen Armee und die Ausbildung ihrer Soldaten haben andere die Führung übernommen.

Südeuropa wird sich bei den Nato-Zielen Zeit lassen

Dagegen steht die grössere finanzielle und militärische Abschreckung durch die Europäer bislang nur auf dem Papier: Alle Nato-Länder wollen bis 2035 ihre Kernmilitärausgaben auf das Niveau der USA von mindestens 3,5% des Bruttoinlandprodukts (BIP) anheben. Dazu kommen Zusagen von 1,5% des BIP für Infrastruktur, wobei noch offen ist, welche Ausgaben dabei als militärisch anrechenbar gelten. Wie die Ziele erfüllt werden, soll aber erst 2029 überprüft werden – bis dahin stehen noch einige Wahltermine an.

Es ist nicht auszuschliessen, dass die Regierungen gerade in den südlichen Ländern Europas wie gewohnt auf Verzögerungstaktik setzen oder wie Spanien nach adäquaten Lösungen suchen, ohne die Ausgaben zu erhöhen. Im Norden und im Osten des Kontinents zweifelt dagegen niemand mehr an der Bedrohung durch Russland. Umso tiefer sitzt der Schrecken des Oval-Office-Skandals vom Februar ganz woanders: in den Knochen der neuen Berliner Regierung.

Deutschland übernimmt Führungsrolle in Europa

Die deutschen Konservativen unter Kanzler Friedrich Merz haben sogar ihr Heiligtum, die Schuldenbremse, aufgeweicht. Schulden für Verteidigung werden nur noch von den EU-Fiskalregeln begrenzt. Seit der entsprechenden Verfassungsänderung in Deutschland hat sich allerdings auch die Rhetorik Berlins gegenüber den USA deutlich abgemildert. Keine Rede mehr davon, dass sich Europa von den USA unabhängig machen soll.

Deutschland verspricht, die 3,5% bereits 2029 zu erfüllen und nicht erst 2035. Daher gehört es auch zu den bisher zwölf Ländern, die die begrenzte Ausweichklausel zu den EU-Schuldenregeln ziehen wollen. Nicht zu diesen Ländern gehören Spanien, Frankreich oder Italien, die bereits auf dem Nato-Gipfel ihre Forderung nach mehr Gemeinschaftsschulden erneuert haben sollen. Dafür hatten zuletzt auch deutsche Währungshüter in der Europäischen Zentralbank und die Chefin des Internationalen Währungsfonds plädiert.

Doch Eurobonds, selbst in einem begrenzten Umfang, dürften für den erstaunlich pragmatischen Merz derzeit kaum infrage kommen, muss seine Partei doch noch immer die Aufweichung der Schuldenbremse verdauen. Dafür hat Berlin jetzt aber die Mittel, Kyjiw auch stärker finanziell zu unterstützen, falls die USA ihre Militärhilfe zur Verteidigung der Ukraine im Sommer tatsächlich nicht aufstocken sollten. Ohnehin wird der Aufwuchs in der Rüstung nicht so schnell gehen.

Völkerrecht liegt im Interesse der EU und der Schweiz

Auch wegen ihrer strategischen Defizite in der Verteidigung sollten die Europäer, allen voran Deutschland, aber auf eines achten: Verstösse gegen das Völkerrecht wie die jüngsten Angriffe Israels und der USA gegen den Iran sind nicht in ihrem Interesse. Am Ende untergraben sie nur die Sicherheit Europas. Hier könnte die Schweiz ihre Rolle finden, wenn sie ihre Verteidigungskooperation mit der EU ausbaut.

Wenn der Nato-Gipfel aber eins bewiesen hat: Robust sind die Beziehungen Europas zu den USA bei allem Hickhack «unter Freunden» allemal.

(Erstmals erschienen am 23. März 2023 auf fuw.ch)

Foto: Pixabay

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    This article effectively highlights Europes reliance on the U.S. for security, particularly the nuclear shield. The analysis of NATOs challenges and Germanys shifting role is insightful. It’s a reminder of the complex geopolitical landscape.labubu live wallpaper

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