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Blanchard führt uns auf den falschen Weg

Schon der erste Punkt von Olivier Blanchards neuer Warnung vor einem Inflationsflächenbrand in der amerikanischen Wirtschaft in diesem Jahr führt uns auf einen falschen Weg. Eine spannende Debatte in den USA, ein paar Notizen dazu…

Das Potenzialwachstum ist zunächst einmal eine mathematische Konstruktion, mit der Ökonomen in jedem Zyklus den Trend des Aufschwungs erfassen wollen. Dazu ist die Quantifizierung durch ökonomische Grössen in Modellrechnungen durchaus hilfreich als Orientierung. Der Begriff an sich ist aber schon sehr schwach hergeleitet, denn „Potenzial“ darf eben nicht wörtlich genommen werden.

Das Wesen der kapitalistischen Marktwirtschaft besteht im Aufschwung wie im Abschwung in einer permanenten Grenzüberschreitung, die ohne Gleichgewicht abläuft. Die Volkswirtschaft erreicht jedes Jahr ein neues Potenzial, das im Folgejahr wieder überschritten wird. Wenn Ökonomen den Trend als Potenzial deklarieren, ist dies zunächst nur eine theoretische Konstruktion und Vereinfachung, die aber nicht immer nützlich sein muss.

Überhitzung kommt von Investitionen

Die jedes Jahr erreichte Grenze des Kapitalstocks und in seinem Dienste des Konsums und des Exports, wird jedes Jahr von Neuem überschritten: Mal erfolgt der Kapitalaufbau schneller (Aufschwung), mal langsamer (Abschwung), mal gar nicht (Depression). Überhitzung tritt dann auf, wenn die Volkswirtschaft zu viel in neues Kapital (Maschinen, Geräte, Patente, Wirtschaftsgebäude, Fahrzeuge usw.) investiert: Zuviel, dass die langsamer wachsenden Erlöse im Konsum und Export kurz davor stehen, die Investitionen nicht mehr gewinnbringend (über die Abschreibungen) refinanzieren zu können. In der Überhitzung will jeder noch schnell was abhaben vom Aufschwung bis es knallt, auch durch Preis- und Lohnsteigerungen.

Überhitzung tritt in der Regel am Ende eines längeren Konjunkturzyklus auf, kann jedoch auch in etwas milderer Form vorkommen. Zum Beispiel, wenn nach einer tiefen Krise (wie der Finanzkrise) plötzlich auf einen Schlag zu viele Unternehmen zu viel investieren – natürlich immer relativ zu den gewinnbringenden Refinanzierungsmöglichkeiten der Unternehmen aus dem Konsum und dem Export.

Der Zyklus beginnt ohne Produktionslücke

Kann der milde Fall der Überhitzung bereits 2021 auftreten, wie Olivier Blanchard oder auch Larry Summer warnen oder droht sie erst später? Anders als Blanchard können wir mit zuvor genannten  Gedanken im Hinterkopf in der Projektion des CBO erkennen, dass dieses Jahr gar keine Produktionslücke mehr bestehen könnte: Das BIP soll demnach dieses Jahr 820 Mrd. $ (real 190 Mrd $) über dem Niveau des Jahres 2019 liegen. Erst ab 2022 kann man also überhaupt von Abständen zur sogenannten „Potenzialproduktion“ reden: Für 2021 ergibt das alles keinen Sinn, weil gerade erst das Niveau des Jahre 2019 erreicht wird.

Selbst wenn nicht alle Jobverluste in den USA bei diesem BIP-Anstieg wettgemacht werden, kann es wegen der aufgestauten Ersparnis vorübergehend zu stärker steigenden Preisen gerade bei den Dienstleistern kommen. Nicht wenige sitzen jetzt auf grösseren Schulden als vor der Krise und sie werden nach der Lockerung jede Möglichkeit nutzen ihre Preis zu erhöhen.

Solange die Dienstleister und der Industriefirmen ihre Investitionen aber wieder durch Konsum und Export gewinnbringend refinanzieren können und die Investitionen gerade erst anfangen stärker zu wachsen (gerade Dienstleister werden noch vorsichtig sein), kann dieser Preisschub nicht als Überhitzung bzeichnet werden, der eine abstürzende Wirtschaftsleistungs folgen würde.

Fehler der 1970er Jahre vermeiden

Es kommt jetzt darauf an, dass Regierungen bei ihren direkten Staatsausgaben (also ihrem Konsum und den Investitionen) und die Lohn/Tarifparteien nicht versuchen den vorübergehenden Preisschub auszugleichen. Schliesslich können auch die Rohstoffpreise die allgemeine Teuerung verschärften. Wenn sich alle nominal am 2%-Ziel der Inflation orientieren, werden auch die Fehler der 1970er Jahre vermieden.

Das geplante Biden-Paket über 1900 Mrd. $ (9% des BIP) wie auch die Beschlüsse des Jahres 2020 bestehen aber kaum aus direkten Staatsausgaben (Konsum und Investitionen der öffentlichen Hand). Es sind vor allem Konsumschecks und Hilfen für Unternehmen, Kommunen, Bundesstaaten. Die 1970er werden sich dann nicht wiederholen, wenn alle ihre Lektion gelernt haben: Regierungen und Gewerkschaften. Dann ist auch von den Notenbanken nichts zu befürchten.

Foto: Flickr/imfphoto
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