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So sieht ein greiser Konjunkturzyklus aus: Schaut nicht auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis sondern auf das Kurs-Lohn-Verhältnis!

Wer die Tumblr-Notizen dieses Blogs verfolgt, dem ist vielleicht diese eine Grafik aufgefallen, in der ich angeblich ein Deutschland KGV (Kurs-Gewinn-Verhältnis) dargestellt habe. Jetzt wo ich darüber im Blog schreiben will, fällt mir allerdings auf, dass ich in der Excel-Tabelle einen typischen Rogoff-Reinhart-Fehler begangen habe: Ich bin einfach in der Spalte verrutscht. Wie es richtig sein sollte, dazu kommen wir gleich. Nur eins vorweg: Der deutsche Aktienmarkt ist tatsächlich in der Realwirtschaft verankert. Allerdings nicht etwa über die Gewinne, wie man meinen könnte, sondern über die Löhne. Und diese interessante Beobachtung deutet wenig überraschend derzeit darauf hin, dass der aktuelle Konjunkturzyklus dem Ende zuneigt.

Wir schauen hier also auf empirische Beobachtungen zum Verhältnis der Aktienkurse und der Realwirtschaft. Konkret blicken wir auf die Marktkapitalisierung und das volkswirtschaftliche Einkommen. Beim ersteren geht es einfach darum, dass die Aktienkurse der gelisteten Unternehmen in Deutschland mit der Anzahl der jeweiligen Aktien multipliziert werden. Die Marktkapitalisierung gibt also zu jedem Zeitpunkt an, wieviel Geld die Aktienbesitzer erhalten könnten, würden sie alle zusammen mit einem Schlag ihre Papiere zum aktuellen Kurs verkaufen können.

Dieses hypothetische Konstrukt hat in der Realität natürlich keine Bedeutung, weil nicht alle Aktienbesitzer gleichzeitig ihre Papiere zum selben Kurs auf den Markt werfen können. Es handelt sich nur um fiktive Werte, die sich allerdings mit realen Werten einer Volkswirtschaft vergleichen lassen. In unserem Fall mit dem Einkommen der Unternehmen, nachdem sie ihr abgenutztes Kapital über Abschreibungen ersetzt haben. Dieses Einkommen nennen Statistiker die Nettowertschöpfung der Unternehmen, es teilt sich wiederum auf in operative Gewinne und Löhne bevor der Staat die Kapitalseite und die Beschäftigten besteuert.

Und dieser Vergleich fiktiver Börsenwerte mit den realen Werten des Einkommens der Unternehmen zeigt doch recht erstaunliche Bewegungen. Wohlgemerkt berücksichtigen wir hier auch die Unternehmen, die gar nicht an der Börse gelistet sind. Aber wie alle Unternehmen den produzierten Gesamtwert der operativen Gewinne eines Landes (über den Markt vermittelt) untereinander aufteilen, so ergibt es durchaus auch Sinn, die fiktiven Börsenwerte mit den Einkommen aller Unternehmen zu vergleichen, auch derjenigen die nicht an der Börse gelistet sind.

Leider liegen diese Daten für Deutschland bei der Bundesbank erst seit 1999 vor, so dass wir nichts über die früheren Jahre sagen können und auch nicht wissen, wie beständig die empirischen Beobachtungen tatsächlich in jeden Konjunkturzyklus auftreten. Dass die Aktienkurse den Gewinnen im Aufschwung aber immer davon rennen, dürfte kein großes Geheimnis und allgemein bekannt sein. Daher kommt auch die oft gebrauchte Redewendung, an der Börse würden die Kurse die erwarteten Gewinne widerspiegeln – was wir angesichts der extremen Schwankungen an den Aktienmärkten ruhig als Euphemismus bezeichnet dürfen.

Was wir aber sehr schön in dem kurzen Zeitraum erkennen: Im Prinzip eilt die Marktkapitalisierung nie dem Gesamteinkommen wirklich davon – außer in so extremen Übertreibungen wie im New Economy Boom Ende des vergangenen Jahrtausends. Gut möglich, dass auch in diesem Zyklus so etwas passieren wird, wenn die Kurse zum Beispiel durch die Quantative Lockerung der Europäischen Zentralbank zu noch größeren Übertreibungen neigen werden. Ausschließen kann dies niemand.

Eine äußerst spannende Beobachtung erkennen wir darin, dass die Marktkapitalisierung in Verlauf jedes Zyklus um die gezahlte Lohnsumme aller Unternehmen schwankt. Und das erkennen wir noch besser in folgender Grafik, wenn wir beide Größen ins Verhältnis zueinander setzen. Dabei bilden wir also ein Kurs-Lohn-Verhältnis – angelehnt am Kurs-Gewinn-Verhältnis, das wohl jeder kennt, der sich mit Aktien beschäftigt. (Das ist übrigens die Grafik, bei der ich ursprünglich in der Excel-Spalte verrutscht bin und angenommen hatte, hierbei würde es sich um die Gewinnsumme handeln.)

Was sagen uns nun diese Grafiken? Natürlich neigen Aktienmärkte immer zu Übertreibungen – sowohl in der Aufwärts- als auch in der Abwärtsbewegung. In Krisenphasen rutscht die Marktkapitalisierung allerdings auf einen Wert, der weniger ausmacht als die Lohnsumme: Die Kurve in der letzten Grafik fällt unter die 100-Prozent-Linie. Wobei das Unterschießen nach unten vom vorherigen Überschießen nach oben abzuhängen scheint. In den beiden großen Korrekturphasen seit 2000 machte das Unterschießen im Mittel 37 Prozent des vorherigen Überschießens aus: 39 Prozent ab 2003 und 34 Prozent ab 2009.

Eine mehr theoretische Erklärung für dieses Phänomen lässt sich daraus ableiten, dass in Aufschwüngen die Profitabilität erst dann steigt, wenn die Gewinnsumme prozentual stärker wächst als die Lohnsumme. In Abschwüngen ist es genau umgekehrt. Genau das Spiegelbild dieser realen Bewegung erkennen wir – allerdings mit deutlich stärkeren Ausschlägen – auch am Aktienmarkt. Ohnehin sollte jeder Investor natürlich wissen, was ihn am Aktienmarkt erwartet: eine Vernichtung fiktiver Kapitalwerte in jeder Rezession, es sei denn die Notenbanken schaffen es tatsächlich einmal so etwas zu verhindern.

Bleibt also der Aktienmarkt bei diesem Muster, das wir erst seit Anfang des Jahrtausends beobachten können, dann lässt sich bereits im vergangenen Sommer ein Überschießen der Marktkapitalisierung auf 135 Prozent der Lohnsumme erkennen. Dies würde ein Unterschießen der Marktkapitalisierung in der nächsten Rezession auf rund 87 Prozent der Lohnsumme implizieren. Umgerechnet auf die DAX-Kursindex wären damit grob gerechnet Verluste zwischen 35 und 40 Prozent verbunden – ausgehend vom Niveau des vergangenen Sommers.

Da aber niemand die Bewegungen am Aktienmarkt vorhersagen kann, bleibt also abzuwarten, ob und wie stark die Kurse noch weiter überschießen. Alle hier präsentierten Indikatoren deuten jedenfalls bereits auf eine sehr späte Phase im Konjunkturzyklus hin. Selbsternannte Crash-Propheten werden aber wohl wieder einmal daneben liegen, wenn sie jetzt den Zusammenbruch des Gesamtsystems vorhersagen. Da mag der Schreck der vorherigen großen Finanzkrise noch erheblich mitschwingen, einen Schuldenboom im Privatsektor haben wir in den meisten großen Industrieländern diesmal jedenfalls nicht gesehen, was eher für eine milde Rezession sprechen sollte.

Beunruhigend wirkt derzeit vor allem die Überbewertung an vielen Anleihemärkten. Hier bei deutschen Staatspapieren zu sehen, für die wir Daten bei der BIZ bis zum Sommer vorliegen haben. Das wäre in der Tat außergewöhnlich, wenn in der nächsten Rezession die Regierungen mit steigenden Zinsen zu kämpfen hätten. Vielleicht kommen ja genau deswegen derzeit so absurd optimistische Prognosen gerade auch aus den Notenbanken.

Foto: Flickr/Fan D/(CC BY 2.0)
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