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Meine Stimme aus Wien: Europas Wirtschaftsmacht wird künftig auch im Nahen Osten verteidigt

Als der ehemalige SPD-Außenpolitiker Egon Bahr sich vor zwei Jahren mit Heidelberger Schülern traf, hat er den jungen Leuten eine klare Botschaft mitgebracht: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.

An diese Sätze musste ich denken, als die ersten Analysen zum Terror in Paris erschienen sind. Es gehe um einen Angriff auf unsere Art zu leben, es gehe um unsere Werte, so die einhellige Botschaft.

Demokratie und bürgerliche Freiheiten sind allerdings keine Werte, an die man nur fest glauben muss. Es sind gesellschaftliche Organisationsformen, die erst eine materielle Grundlage im Wohlstand der westlichen Gesellschaften der Nachkriegszeit brauchten, um sich zu entfalten.

Nur vordergründig sollen die Angriffe uns dort treffen, wo wir unsere Freiheit am liebsten ausleben. Denn hinter dem IS steckt weit mehr als eine archaische Religionsauffassung, die mit roher Gewalt ihre Ideologie durchsetzt. Viel zu rational baut sich der IS auf den Trümmern des Irak-und Syrien-Krieges einen Staat auf.

Wenn Autoren in Deutschland jetzt zum Dritten Weltkrieg rufen, steckt dahinter genau das, was Egon Bahr den Schülern erklärt hat. Es geht um die wirtschaftlichen Interessen Europas in der Welt, die ihre Ordnung verliert. Die alte Großmacht Amerika und ihr Gebaren werden überall infrage gestellt, im Nahen und Fernen Osten, in der Ukraine und den Cyber-Netzwerken.

Dabei geht es natürlich um die materiellen Grundlagen dessen, was uns über Jahrzehnte Freiheit und Wohlstand gesichert hat. Wer unsere angeblichen Werte und unsere Art zu leben vorschiebt, liefert den ideologischen Überbau dafür, dass Europas Wirtschaftsmacht künftig auch im Nahen Osten verteidigt wird.

Dieser Beitrag erschien als Kolumne im WirtschaftsBlatt vom 17. November 2015.

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  • Eldarion

    Solche Vereinfachungen regen mich etwas auf. Keine Frage, (ökonomische) Interessen spielen für Staaten immer eine wichtige Rolle. Und dass sich Demokratie und Menschenrechte in einem günstigen wirtschaftlichem Umfeld, wie im Nachkriegseuropa, viel leichter entwickeln konnten als in armen und von tyrannischen Diktaturen geplagte Regionen (eine Beschreibung, die man übrigens auch auf das Europa der Zwischenkriegszeit anwenden könnte). So weit so klar, und in dieser Hinsicht hat der Westen (und insbesondere die USA), sicher gewaltige Fehler gemacht – auch wenn man ergänzend erwähnen sollte, dass ebenso lokale Entwicklungen und Akteure (Saudi-Arabien, Iran, Diktatoren von Libyen bis in den Irak etc.) ihren Teil zum Elend beigetragen haben. Alles allein dem Westen anzulasten ist nur Eurozentrismus unter anderen Vorzeichen, die Bewohner der arabischen Welt werden dadurch zu bloßen Statisten degradiert.

    Was diese Dinge betrifft stimme ich also zu, aber allgemein kann es bei Krieg – oder auch militärische Auseinandersetzungen, Kampf gegen den Terrorismus oder was auch immer – natürlich auch um etwas anderes gehen als um wirtschaftliche Interessen. Oft genug das ist der Grund, keine Frage, aber eben nicht immer, das wäre zu einfach. Ist George Bush in den Irak aus wirtschaftlichen Gründen einmarschiert? Wohl kaum, er fühlte sich „berufen“ Demokratie zu bringen und „to finish the job“ den ihm sein Vater übrig gelassen hat. Natürlich ist das bescheuert, imperialistisch und kann nicht funktionieren – aber es ist etwas völlig anderes, als allein wirtschaftliche Interessen durchzusetzen (die natürlich immer mitspielen, aber deshalb nicht unbedingt zentral sind).

    Bei Syrien und ISIS stimmt das noch viel mehr. Die USA und Europa waren müde des Kampfes, niemand von den europäischen Politikern will mit Blick auf seine Wähler gern in den Krieg ziehen – das ist der ultimative Killer von Karrieren, Wählerstimmen und ein Alptraum für Budgets. Gerade wegen dieser Zurückhaltung (und Skepsis ob man überhaupt was tun kann, plus der Sache mit Russland, dem Iran etc.) hat das Desaster in Syrien sich überhaupt so weit entwickeln können. Wenn jetzt ISIS verstärkt angegriffen wird sind ökonomische Interessen auch eher unwichtig, Sicherheitsbedenken und öffentlicher Druck sind weit wichtiger.

    Noch einmal, das heißt nicht, dass ökonomische Interessen nicht immer da wären oder dass diesen Regionen nicht grobes Unrecht getan wurde. Es ist nur meines Erachtens viel zu naiv und vereinfachend zu glauben, dass Wirtschaft allein die einzige Triebfeder ist. Sicherheit, Weltbilder, Ideologien und Ideen, öffentlicher Druck und ja sogar Rache (man sehe sich an was Putin neulich sagte) spielen alle – auch – eine wesentliche Rolle.

  • André Kühnlenz

    „Wohl kaum, er fühlte sich „berufen“ Demokratie zu bringen und „to finish the job“ den ihm sein Vater übrig gelassen hat. “

    Ja, mag sein. Aber das allein reicht ja nicht zur Erklärung. Den Amerikanern ging es im Irak nicht darum, dass sie damit ihre Ölversorgung oder ihre Geschäfte mit dem Öl sichern wollten. Es geht ihnen immer um Kontrolle des Öl- und Gasgeschäfts, wer und wo mit den Pipelines Geschäfte macht und vor allem in welcher Währung. Es geht dabei vor allem darum, in welcher Währung Öl gehandelt wird. Denn das bestimmt nun mal, welche Devise als Weltleitwährung auf der Welt gilt.

    http://www.weitwinkelsubjektiv.com/2014/03/28/der-irak-krieg-und-die-vorherrschaft-des-dollar/

    Und diese Weltdevisenordnung versuchen (bislang) nur mit mäßigem Erfolg die Russen und Chinesen zu unterlaufen – genau wie der Irak damals, der sich immer stärkt nach Europa wandte. Die Reste des alten Regimes haben sich später in den Vorläuferorganisationen des IS gesammelt. Diese Länder könnten nun natürlich sagen, sie unterwerfen sich einfach dem amerikanischen Herrschaftsanspruch. Geschäfte lassen sich doch immer noch machen, Europäer machen doch auch ihre Geschäfte, wie gerade die deutschen Exporterfolge zeigen.

    Wohin eine wilde Liberalisierung in Russland geführt hat, hat das Land bitter in den 90er Jahren erfahren. Sie endete im Staatsbankrott dieses stolzen Landes. Diese Erfahrungen sind natürlich nicht nur rein wirtschaftlicher Natur, das ist schon klar. Aber autoritäre Staaten wir Russland und China zunehmend auch die Türkei verteidigen ihr Systeme nicht nur nach innen, sondern auch nach außen, wobei China bisher nur mit den militärischen Muskeln spielt. Nicht zu vergessen den Iran und Saudiarabien.

    Die Feinde sind nicht nur die USA, denn natürlich eskalieren die Konflikte auch zwischen diesen Mächten. Wir werden aber noch öfter wechselnde Koalitionen zwischen diesen Mächten sehen – und auch Europa wird sich immer öfter einmischen. Der Grund dafür liegt darin, dass die USA zunehmend die Kontrolle über weite Teile der Welt verlieren und langsam ihr Weltmachtrolle verlieren. Darin ähnelt die heutige Zeit mit der zwischen die Weltkriegen, als die USA Großbritannien als führende Macht der Welt abgelöst haben.

    Jeder, der im Krieg mitmischt, braucht dafür eine Legitimation gegenüber dem eigenem Volk. Und die wird in Europa heißen: Wir verteidigen unsere Werte, unsere Freiheit und unsere Art zu leben. Das mag auch alles stimmen. Am Ende geht es hier aber immer um Wirtschaftsinteressen.

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