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Eine katastrophale Währungsunion

Am Abend, bevor es erstmals die D-Mark gibt, finden ein paar Ostberliner die Euphorie in ihrer Stadt ganz schön anstrengend. Ein kleiner Trupp jugendlicher Partygänger schlängelt sich durch die Menschenmassen, die sich seit Stunden vor dem Haus der Elektroindustrie drängen. Genau hier wird gleich die erste Filiale der Deutschen Bank ihre Türen öffnen und Westgeld ausgeben. Los, schnell weg hier, leichte Panik kommt auf, die vier Jungs und Mädchen verschwinden durch die Neubauschluchten am Alexanderplatz Richtung Norden.

Die Straßen durchzieht eine irre aufgeheizte Stimmung, ein bisschen wie Silvester, nur mitten im Sommer. Raketen werden abgefeuert, Sektflaschen gereicht, Autos fahren hupend hin und her, und auch Leute mit Deutschland-Fahnen sind gekommen. Dabei spielt die westdeutsche Fußballmannschaft ihr WM-Viertelfinale gegen die Tschechoslowakei erst einen Tag später, am 1. Juli 1990 in Mailand. Der erste großdeutsche Feiertag beginnt chaotisch.

Um Mitternacht hören rund 300 Reporter und Fotografen, wie ein Banksprecher der grölenden Menge durch einen Lautsprecher zuruft: „Es ist doch genügend Geld für alle da.“ Die ersten Scheiben sind da bereits zerbrochen, später versorgen Sanitäter die Ohnmächtigen. Irgendwann in der Nacht geht das Westgeld dann doch noch kurzzeitig aus. Bis zum Morgen wird man hier immerhin zehn Millionen D-Mark ausgegeben haben.

Allein in den ersten Tagen der Währungsunion verteilen Banken 25 Milliarden neue D-Mark-Scheine und Kleingeld in der DDR. Die brachten Bundeswehrsoldaten Wochen zuvor aus dem Westen noch ganz in Zivil gekleidet über die Grenze. Die Volksarmee aus dem Osten schaffte im Gegenzug das alte Geld in einen stillgelegten Salzstock im Harz-Gebirge, heute in Sachsen-Anhalt. Am Ende werden die Ostscheine mit Säure übergossen und für immer vernichtet.

Ökonomischer Selbstmord

Als vernichtend stellt sich auch die Niederlage für die Mahner und Kritiker des schnellen Währungstauschs heraus. Die Bürgerrechtler, die so lang vom dritten Weg geträumt haben, einer erneuerten Gesellschaft, die zwischen dem Kapitalismus des Westens und dem maroden Staatssozialismus des Ostens sich finden könnte. Oder Finanzfachleute wie der damalige Bundesbankpräsident, Karl Otto Pöhl, und der Vizechef der DDR-Staatsbank, Edgar Most. Beide pochten vergeblich auf Übergangsfristen.

„Natürlich kannte ich die Gutachten, die höchstens einem Drittel der DDR-Betriebe eine Chance gaben, die Währungsunion zu überleben.“
Lothar de Maiziere, letzter DDR Ministerpräsident

Grund zur Panik gab es schon viel früher als in der ersten Julinacht 1990 zwischen der aufgeregten Meute auf dem Berliner Alexanderplatz. Denn mit etwas ökonomischem Sachverstand hätte jeder wissen können, wohin dieser Wechselkurs führt: Löhne, Mieten und Renten wurden einfach eins zu eins umgestellt, größere Guthaben und Schulden zwei zu eins getauscht. Für den ostdeutschen Staatsbanker Edgar Most war damit schon frühzeitig klar, dass dies den ökonomischen Selbstmord für die ostdeutsche Wirtschaft bedeuten würde. Die deutsche Währungsunion „ist ein Beispiel für das, was wir in Europa nicht machen dürfen“, ihre „Auswirkungen sind katastrophal“,erklärt Karl Otto Pöhl ein Jahr später vor dem Europaparlament.

Auch der letzte DDR Ministerpräsident, der erste demokratisch gewählte, weiß im Sommer 1990 längst Bescheid: „Natürlich kannte ich die Gutachten, die höchstens einem Drittel der DDR-Betriebe eine Chance gaben, die Währungsunion zu überleben. Insofern wäre ein Kurs vier zu eins für sie ökonomisch sinnvoller gewesen“, sagt Lothar de Maiziere heute, erst kürzlich in der „Süddeutschen Zeitung“. „Aber dann hätte kein DDR-Bürger mehr von seinem Lohn leben können. Und Rentner oder Studenten schon gar nicht. Das kann kein Politiker verantworten.“

Von Ost nach West

Viele, die damals die deutsche Politik steuerten, sagen noch heute, die schnelle D-Mark-Einführung zu jenen Wechselkursen war notwendig. Nur so hätte der anhaltende Zustrom der Menschen von Ost nach West gestoppt werden können, der sich seit der Maueröffnung im November 1989 stetig verstärkte. Irgendwann, im Dezember oder Januar, tauchen auf den Montagsdemonstrationen-ursprünglich von der DDR-Opposition organisiert-Plakate auf. Darauf stand: „Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, gehen wir zu ihr.“

Dabei ranken sich Gerüchte und Vermutungen um den radikalen Meinungsumschwung unter den ostdeutschen Demonstranten, an eine demokratische Erneuerung des Landes denken Anfang 1990 nur noch die wenigsten. Der Hamburger Publizist Otto Köhler berichtet von Hinweisen, dass seit dem Mauerfall immer wieder Deutschland-Fahnen und später dann Transparente aus der Bonner CDU-Zentrale zu den Kundgebungen im Osten gelangten. „Diese Fahnen waren ebenso wie das Transparent mit der DM-Parole an Bambusstangen befestigt, sind also auch heute noch auf Fotos als Westimport erkennbar“, sagt Köhler in einem Interview mit dem Internetportal Telepolis. Zugeben mag die Beeinflussung bis heute aber niemand.

Geheime Pläne des Thilo Sarrazin

Geheime Pläne für die D-Mark-Einführung gibt es allerdings bereits seit Dezember 1989. Der entscheidende Mann dahinter heißt Thilo Sarrazin, der im Bonner Finanzministerium das Referat Innerdeutsche Finanzbeziehungen leitet und heute als Autor mit kruden Thesen zur Zuwanderung auf Lesereisen geht. Aber erst am 6. Februar 1990 schlägt der damalige Bundeskanzler, Helmut Kohl, der DDR-Regierung unter Hans Modrow vor, sofortige Verhandlungen über eine Währungsunion zu beginnen. Am 20. Februar, knapp einen Monat vor der ersten freien Volkskammerwahl, beginnen die Gespräche. Die Ost-CDU, bis dahin in Umfragen weit abgeschlagen, wird mit ihren Bündnispartnern am 18. März mit Abstand stärkste Partei.

Auch alle Bemühungen der Bundesbank oder von DDR-Staatsbanker Most, den Wechselkurs noch zu ändern, bleiben erfolglos. Als Anfang April bekannt wird, dass die westdeutschen Währungshüter wenigstens einen Kurs von zwei zu eins für die Löhne festsetzen wollten, gehen die Ostdeutschen wieder auf die Straße in Leipzig, Dresden und Berlin. Ihnen war gerade erst im Wahlkampf ein Kurs von eins zu eins versprochen worden.

Zwei Millionen wandern ab

Die Folgen sind katastrophal. Die ostdeutsche Wirtschaft verliert schlagartig ihre Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten, die bis dahin vor allem in den sozialistischen Ländern lag. Der Kurs von eins zu eins bedeutet eine Verteuerung ostdeutscher Exporte um 450 Prozent, wie der damalige Bundesbankpräsident Pöhl später vor einem Bundestagsausschuss erklären wird. Das Bruttoinlandprodukt Ostdeutschlands bricht auf nur noch 63 Prozent des Niveaus von 1989 ein, die Industrieproduktion schrumpft auf ein Drittel.

Die Abwanderung in den Westen geht zwar nach der D-Mark-Einführung zunächst zurück: von 257.000 im ersten Halbjahr 1990 auf 138.000 im zweiten. Doch allein von 1991 bis 2013 verlassen zwei Millionen Menschen von ehemals 16 Millionen die ehemalige DDR. Ab 1997 pendelt sich die Arbeitslosenquote für fast ein Jahrzehnt bei 18 Prozent und mehr ein. Erst 2014 sinkt sie auf weniger als zehn Prozent.

Aus dem Wirtschaftsblatt vom 29. Juni 2015.

Foto: Flickr/Uwe Kaufmann/(CC BY 2.0)

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