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Un-verschuldet in die Deflation

Bis zum Zweiten Weltkrieg wurden krisenhafte Preisrückgänge häufig beobachtet, vor allem in Konjunkturkrisen. Heute wächst die Furcht davor, dass hohe Schulden das Wachstum abwürgen.

Wer dem neuen Finanzminister Griechenlands, Yannis Varoufakis, zuhört, der kommt an seiner Diagnose nicht vorbei: Die heutige Wirtschaftskrise der industrialisierten Welt erinnert ihn an Große Depression der 1930er-Jahre. Es ist der große Horror, der Politiker und Notenbanker noch heute umtreibt. Die große Katastrophe des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs soll sich nie mehr wiederholen. Eine Rückkehr der Depression wie nach der Weltwirtschaftskrise 1929 gilt es um jeden Preis zu vermeiden. Die damalige Deflation, also eine Abwärtsspirale aus sinkenden Löhnen, fallenden Preisen und Massenarbeitslosigkeit sollte nie wieder die demokratischen Grundlagen der Gesellschaften zerstören.

In der Zwischenkriegszeit fiel das Preisniveau der zehn größten Volkswirtschaften in Summe um 20 Prozent. Das Bruttoinlandsprodukt schrumpfte um zehn Prozent. Wer von einem krisenhaften Preisverfall redet, meint damit also nicht, dass Computer oder Mobilfunkgeräte heutzutage sich innerhalb von Monaten immer günstiger herstellen und verkaufen lassen. Wenn wir von Deflation reden, dann von einer gefährlichen Wirtschaftskrise.

Kampf gegen Deflation

Erst kürzlich hat die Europäische Zentralbank beschlossen, ab März eine Billion € für den Kauf öffentlicher Schuldenverschreibungen auszugeben. Damit will sie verhindern, dass der Euroraum so in lang anhaltenden Preisverfall bei Gütern und Dienstleistungen hineinschlittert. Das Beispiel der USA zeigt, dass dort die Notenbank Federal Reserve im noch laufenden Aufschwung erfolgreich war. Immer wenn die privaten Neuinvestitionen abrutschten, begann sie eine neue Runde von Anleihekäufen.

Im Gegensatz zu Europa haben die USA eine Stagnation oder Depression vermieden, von Deflation war dort nichts zu spüren – bislang.

Dabei gab es vor dem Ersten Weltkrieg häufige und lange Phasen, die wir heute als Deflation bezeichnen. Die regelmäßig auftretenden Konjunkturkrisen wurden oftmals eingeleitet durch Börsenkrach und Bankenpanik – Unternehmen konnten nur noch zu geringeren Preisen verkaufen, und die Löhne sanken. Allerdings war ein lang anhaltender Preisverfall auch in Aufschwungphasen zu beobachten – etwa in den in Jahren von 1873 bis 1896 – die meist durch neue Erfindungen ausgelöst wurden.

Konjunkturzyklen

Abseits vom technischen Fortschritt lohnt ein Blick auf die Konjunkturkrisen, um besser zu verstehen, was in den 1930er-Jahren passiert ist. Mit den heutigen Statistiken wissen wir recht genau, wie Rezessionen entstehen. Genau wie im 19. Jahrhundert prägen auch heute die Gewinnmargen der Unternehmen das Auf und Ab der Konjunktur. Diese Margen lassen sich am Umsatz oder an den Ausgaben zum Beispiel für Maschinen, Zwischenprodukte oder die Löhne messen.

Steigt die durchschnittliche Gewinnmarge oder Profitrate eines Landes, dann weiten Unternehmen ihren Kapitalstock aus, sie kaufen neue oder bessere Maschinen. Kurz: Die Volkswirtschaft prosperiert im Aufschwung und es entstehen neue Arbeitsplätze.

Doch in jedem Konjunkturzyklus kommt der Punkt, an dem die Gewinnmargen anfangen zu sinken und Unternehmen sich bei Neuinvestitionen zurückhalten. Dann sprechen wir von einer Rezession oder Stagnation, die aber nicht immer so gravierend sein muss wie 1929 oder 2008. Schon Karl Marx hat vor rund 150 Jahren den Rückgang der Gewinnmargen in den Zyklen erklärt. Gegner und Befürworter von Marx streiten noch heute über sein Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate.

Bekannt ist auch, dass in Konjunkturkrisen zumindest bis zum Zweiten Weltkrieg oft Preise und Löhne gesunken sind und die Arbeitslosigkeit gestiegen ist. Es kam aber immer der Punkt, an dem die Profitabilität wieder anzog und die Unternehmen wieder mehr investierten und neue Arbeitskräfte einstellten.

Deflation war lange Zeit der übliche Weg, wie im weitgehend unregulierten Laissez-faire-Kapitalismus eine Volkswirtschaft auf den Prosperitätskurs einschwenkte. In der schweren Depression der 1930er-Jahre wurde der Glaube auch von liberalen Ökonomen an die Selbstheilungskräfte des Marktes jedoch tief erschüttert – weil die Deflation keine Wende zum Besseren einleitete.

Zu ihnen gehörte auch John Maynard Keynes, der damals forderte, Regierungen und Notenbanken müssten in das Marktgeschehen eingreifen. Für Keynes ging allerdings übermäßige Deflation darauf zurück, dass in einem Land mehr gespart als investiert wird. Deshalb müssten Regierungen und Notenbanken dazu beitragen, beides in Einklang zu bringen – mithilfe von Zinsen und Staatsausgaben. Anziehende Investitionen und Staatsausgaben sollten die Schwankung der Nachfrage ausgleichen, was allerdings nie komplett gelang.

Seit dem Zweiten Weltkrieg gehört es zu den Grundüberzeugungen von Notenbankern, dass ein inflationäres Umfeld die Härten einer Deflation vermindert. Dahinter steckte auch die Vorstellung, dass steigende Arbeitslosigkeit vermieden werde, wenn Unternehmen leichter ihre Löhne real senken können, weil sie langsamer steigen als die Preise.

Nachkriegskonsens

Allerdings gehörte es nach dem Zweiten Weltkrieg in westlichen Volkswirtschaften zum Grundkonsens zwischen Unternehmenseigentümern und Beschäftigten, dass beide Seiten den wachsenden Reichtum gleichmäßig aufteilen. In Deutschland stiegen die Löhne noch bis Mitte der 1990er-Jahre im Trend so stark wie die Unternehmen produktiver wurden, und dazu gab es noch einen Ausgleich für die Inflation.

Der Nachkriegsboom hatte allerdings seine Kehrseite: Statistiken der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zeigen, dass Unternehmen und Privathaushalte in Deutschland sich enorm verschuldeten. Machte ihre Kreditaufnahme 1950 nur rund 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, waren es 1958 bereits 60 Prozent und 1975 fast 100 Prozent. Eine Entwicklung, die auch in anderen Ländern zu beobachten war. Damit kommen wir zu einem Phänomen, das seit Anfang der 1990er-Jahre ebenfalls deflationäre Tendenzen in einer Volkswirtschaft verstärken kann und es den Notenbanken erheblich erschwert, eine geringe Inflation zu sichern: Bilanzrezessionen, die normalerweise länger dauern als Konjunkturkrisen.

Bilanzrezession

Der Begriff geht auf Richard Koo zurück, der als Chefvolkswirt beim Nomura Research Institute arbeitet und die Folgen der Finanzkrise in Japan Anfang der 1990er-Jahre untersucht hat. In Japan waren die privaten Schulden in den 1980er-Jahren von rund 150 Prozent des BIP auf ungefähr 225 Prozent gestiegen. Nachdem 1990 eine Immobilienblase geplatzt und Aktien gecrasht hatten, fingen die Japaner an, ihre Schulden zurückzuzahlen. Geld, das Unternehmen und Haushalte verdienten, floss nicht in Investitionen oder Konsum, sondern an die Gläubiger zurück.

Wuchs Japans Wirtschaft in den 1980ern im Schnitt um 4,5 Prozent pro Jahr, so waren es zwischen 1991 und 1997 nur noch 1,6. In der folgenden Konjunkturkrise begannen die Preise zu fallen, sechs Jahre lang – insgesamt aber nur um drei Prozent. Dank stark steigender Staatsschulden und der Anleihekäufe der Notenbank wurde vermutlich eine übermäßige Deflation verhindert.

In einer Bilanzrezession stecken auch viele der südlichen Länder im Euroraum, wo sich Unternehmen und Haushalte vor der Krise 2008 ebenfalls kräftig verschuldet haben. Doch im Gegensatz zu Japan versuchen Europas Regierungen gleichzeitig mit Privatsektor ebenfalls, ihre Schulden abzubauen. Dies entzieht den Volkswirtschaften aber Nachfrage, was wiederum das Wachstum abwürgt.

In Japan begann die milde Deflation übrigens erst neun Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise – die Gefahr ist in Europa noch nicht gebannt.

Aus dem WirtschaftsBlatt vom 2. Februar 2014

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