Blog

Die Rezession beginnt in Amerika, nicht in Moskau („Georisiken“ sind die neuen „Gewinnmitnahmen“)

Warum kommt denn nur keiner darauf? Die deutsche Industrie hat in den vergangenen Jahren extrem vom Aufschwung in den USA profitiert, auch wenn der mickrig war. In Europa lag dagegen alles darnieder. Und nun brechen die Neuaufträge in der deutschen Industrie weg und vielen Analysten und Institutsökonomen fallen nur geopolitische Risiken ein, die dahinter stecken könnten.

140806 DE AUFTRAEGE

Jeder, der schon einmal einen Börsenbericht in der Zeitung gelesen oder geschrieben hat, kennt diese Floskel. Da wird ein Händler oder Analyst angerufen, der das Marktgeschehen kommentieren soll. Und wenn der ratlos ist und ihm nichts mehr einfällt, warum gerade an jenem bestimmten Tag die Kurse fallen, heißt es oft lapidar: Das waren Gewinnmitnahmen – irgendwas muss man ja sagen oder schreiben, selbst wenn einem nichts einfällt.

Wer sich in letzter Zeit Konjunkturberichte oder Kommentare zum Aktienmarktgeschehen durchliest, wird dagegen häufig auf die Floskel stoßen, geopolitische Risiken hätten die Unternehmen oder die Anleger an den Börsen verunsichert. Es ist ja auch naheliegend – angesichts dessen, was gerade in der Ukraine und Nahost passiert.

Nur steckt dahinter meist nicht viel mehr, als der übersteigerte Glaube, Psychologie und Stimmungen würden den Lauf der Welt bestimmen. Klar, bei Aktien stimmt es gewiss auch, aber diese Märkte sind auch nie wirklich von der Realwirtschaft und der Gewinnentwicklung in den Unternehmen losgelöst. Darum schauen wir uns jetzt hier die deutschen Güterexporte nach Russland und die USA an.

140806 DE EXPORT RU US

Zunächst fällt auf, dass die Ausfuhren nach Russland bereits seit Ende 2012/Anfang 2013 in der Krise stecken. Ein schwaches Wachstum und die Rubelabwertung erklären diesen Exportabschwung. Deutsche Unternehmen „leiden“ im Prinzip schon lange darunter. Dass die Russen nun plötzlich ihre Bestellungen aus Deutschland so extrem runtergefahren haben sollen, dass sie die gesamte Industrie ins Minus schicken, diese Erklärung überzeugt nicht.

Keine Frage, hat auch die starke Rubel-Abwertung zu Beginn des Jahres die Nachfrage nach deutschen Gütern nochmals belastet. Seit Anfang Juli geht es auch wieder abwärts mit der russischen Währung. Dazwischen lag eine Frühjahrserholung in Russland, als der Kapitalabfluss rapide nachließ und das Wachstum wieder ansprang. Nur, kann die Rubelabwertung auch dazu führen, dass der Rest des Eurolands seine Neubestellungen von deutschen Investitionsgütern im Frühjahr so stark zurückfährt?

Immerhin lag hier das Minus aus dem Rest Eurolands im Quartalsvergleich bei 4 Prozent (ohne Großaufträge) – mehr noch als Auftragsrückgang von außerhalb des Euro-Raums, der 3,4 Prozent ausmachte. Oder schlägt hier bei aller geopolitischen Verunsicherung doch etwas anderes durch, was man nicht sofort auf dem Radar hat? Zum Beispiel, dass in den USA die Neuinvestitionen (Kapazitätsausbau und Modernisierung des alten Kapitalstocks) vielleicht zum Stillstand gekommen sind. (Ein Update dazu folgt hier im Blog in Kürze.)

Bei dem Wachstumsmodell, das weite Teile des Euro-Raums derzeit verfolgen, ist das sogar die plausibelste Erklärung. Wer wenn nicht die deutschen Maschinenbauer sollten denn sonst den beginnenden Abschwung in den USA am ehesten zu spüren bekommen? Das heißt nicht, dass in Amerika sofort eine Rezession ausbricht, wenn die Nettoinvestitionen und Gewinne schrumpfen. Solange zum Beispiel bei Dienstleistern und Konsumgüterherstellern noch neue Jobs entstehen, bricht auch die Nachfrage nicht so schnell weg.

Doch erinnern wir uns, dass diesmal zwei wichtige Entwicklungen wegfallen, die eine Rezession in den USA länger aufhalten könnten: Nach einer neuen Aktienhausse sieht es bislang nicht aus – eher im Gegenteil. Und auch die Neuverschuldung der Privathaushalte dürfte in diesem Zyklus kaum zulegen, womit dem Konsum bei stagnierenden Reallöhnen eine wichtige Stütze fehlt. Daher braucht niemand darauf zu hoffen, dass die US-Rezession erst dann ausbricht, wenn die Leitzinsen der US-Notenbank gestiegen sind. Auch deshalb nicht, weil es auf der Welt zu viel Geldvermögen gibt, das in der Summe nicht mehr verzinst werden kann.

Print Friendly, PDF & Email

Post a comment

%d Bloggern gefällt das: