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Kiew und Washington verarschen Berlin – es wird Zeit für Plan B

Es ist noch genau eine Woche bis zu den Präsidentschaftswahlen in der Ukraine. Doch wieweit können wir Russland dafür verantwortlich machen, dass diese Wahlen eigentlich so nicht stattfinden können – nach heutigem Stand? Da gibt es mindestens vier gravierende Probleme, die wir Moskau kein bisschen in die Schuhe schieben können:

  1. Das Kiewer Parlament hat noch immer kein Amnestiegesetz beschlossen.
  2. Die Kiewer Übergangsregierung setzt weiterhin seine „Anti-Terror-Operation“ fort.
  3. Die Kiewer Führung will nicht mit den politischen Vertretern der Separatisten und Föderalisten reden.
  4. Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk kämpft mittlerweile gegen den Oligarchen Rinat Achmetow, der seine Position offen gelegt hat.

Eins ist auch wahr: Es gab bisher keinen Aufruf aus Moskau an die militanten Gruppen im Osten und Süden, die Waffen niederzulegen. Doch hier kommen wir zu einem sehr interessanten Zitat, dass die staatliche Nachrichtenagentur „Ria Nowosti“ am Samstag vom Runden Tisch in Charkow aufgeschrieben hat:

„Der ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk bekräftigte ein weiteres Mal die Absicht Kiews, alle Protestteilnehmer im Osten des Landes zu amnestieren, falls sie keine Schwerverbrechen begangen haben und ihre Waffen strecken werden. „Wir werden ein Amnestiegesetz für diese Menschen verabschieden.““

Ja, was hat denn dieses Parlament in Kiew eigentlich in den vergangenen vier Wochen so getrieben – seit die ukrainische Regierung in Genf eine Amnestie versprochen hat? „That bill would be law now if it had not been blocked by the Communists and the Party of Region“, behauptet jedenfalls Victoria Nuland, Assistant Secretary of State for European and Eurasian Affairs, am 6. Mai vor dem Senatsausschuss in Washington.

Die Blockade hat unter anderem einen Grund: Denn die ehemalige Regierungspartei, die „Partei der Regionen“, fordert bereits seit Anfang April eine Amnestie auch für die Leute, die an allen Protestaktionen im Südosten teilgenommen haben. Was die Regierung aber ablehnt, sie will nur denen eine Amnestie gewähren, die ihre Waffen niederlegen. Ein weiterer Grund liegt darin, dass die Regierung sich noch immer weigert, Russisch als zweite Staatssprache zu akzeptieren. Es soll ein „Sonderstatus“ geben, heißt es noch immer.

Können wir hier Moskau einen Vorwurf machen? Wie soll Moskau die Leute zur Niederlegung der Waffen aufrufen, wenn es noch immer kein Amnestiegesetz gibt. Und wie kann die Bundesregierung sich dann noch hinstellen und so etwas sagen: Ein Ende der Gewalt, ein Verlassen der besetzten Häuser, eine Waffenabgabe – das würde es auch der ukrainischen Regierung ermöglichen, ihrerseits die militärische Eindämmung dieser separatistischen Gewalt einzustellen.“ (Zitat des Regierungssprechers Steffen Seibert am Freitag auf der Regierungspressekonferenz in Berlin)

Stopp, stopp, liebe Leute im Auswärtigen Amt und liebe Leute im Bundeskanzleramt. Es mag ja sein, dass John Kerry mit seiner dramatischen Ansprache („From day one, the Government of Ukraine started making good on its commitments – from day one.“) Euch vorübergehend eingelullt hat. Aber bekommt Ihr nicht auch langsam das Gefühl, dass Ihr hier ein wenig verarscht werdet? Gernot Erler, der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, macht sich jedenfalls so seine Gedanken, wie in diesem Interview aus der vorvergangenen Woche:

Geissler: Die Führung in Kiew ist ja weiter auch in den letzten Stunden mit Waffengewalt wieder im Osten vorgerückt. Können Sie sehen, wer eigentlich vom Westen aus mäßigend auf Kiew einwirkt und zu erreichen versucht, dass von dort jetzt nicht möglicherweise was kaputt gemacht wird an neuen Chancen zu einer Lösung?

Erler: Also leider muss man sagen, dass es womöglich verschiedene Kräfte sind vom Westen, die da auf die Kiewer Regierung einreden mit verschiedenen Ratschlägen. (…)

Geissler: Sie sagen, „leider“ sind es verschiedene Kräfte vom Westen aus, die auf Kiew einwirken. Da meinen Sie wahrscheinlich andererseits die USA?

Erler: Ja, ich glaube schon, dass die USA hier eine wichtige Rolle spielen, und dass wir weiter Abstimmungsbedarf haben mit den Vereinigten Staaten. Bisher hat das, was die Reaktionen angeht, eigentlich recht gut funktioniert. Aber ich bin mir jetzt in dieser Frage, also ich wäre mir lieber sicher, dass wir hier an einem Strang ziehen.

Womit wir beim zweiten Punkt wären. Für einen nationalen Dialog wäre es doch absolut hilfreich, wenn wenigstens eine Waffenruhe ausgerufen wird – und zwar von beiden Seiten.

Natürlich ist es äußerst begrüßenswert, wie Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier die „Runden Tische“ auf den Weg gebracht haben. Quasi auf den letzten Drücker bekam Frau Merkel von Barack Obama (der ja nicht unbedingt als Falke gilt) versichert, dass Deutschland es noch einmal mit der OSZE als Vermittlerin versuchen dürfe, die jetzt zusammen mit der Regierung in Kiew die „Runden Tische“ organisiert.

Die Gegenleistung war auch klar: Merkel musste versprechen, dass die EU nach dem 25. Mai harsche Wirtschaftssanktionen (der 3. Stufe) gegen Russland verhängen wird. Und zwar für den Fall, dass der Kreml nichts dafür unternimmt, dass die Präsidentschaftswahlen auch im Osten und Süden des Landes stattfinden können. Vergangenes Wochenende holte sich die Bundeskanzlerin die Zustimmung von François Hollande für diesen Plan.

Doch selbst wenn Wladimir Putin es gewollt und gekonnt hätte, wie soll er auf dieser Grundlage zur Waffenniederlegung aufrufen? Ohne Amnestiegesetz und ohne Waffenruhe? Dabei lassen wir einmal außen vor, dass nach Berichten aus Kiew wohl auch die Familie des Ex-Präsidenten Janukowitsch die militanten Gruppen aus dem Exil in Rostow am Don heraus finanziert.

Eine gewisse Rolle spielt natürlich auch noch Rinat Achmetow, der Oligarch des Donbass, der sich vor wenigen Tagen für eine dezentralisierte – aber einheitliche Ukraine – ausgesprochen hat.

Und was Achmetow unter Dezentralisierung versteht, kann man auf Englisch hier nachlesen, daraus ein Auszug:

„(T)he only right way, in my view – is to amend the Constitution and decentralise government. It is when Kiev gives authority to the regions. It is when regional governments are not appointed but elected. And it is when local authorities are responsible to the people for the present and future.“

Und Jantzenjuk antwortet auf die Forderung nach einer Gouverneurswahl am Samstag beim zweiten „Runden Tisch“ in Charkow – meine Übersetzung folgt darunter:

«Моя позиция как гражданина – я буду этому противиться до последнего. И никогда Украина не будет расчленена. Украина должна быть единой унитарным государством с широкими полномочиями регионов, а не маленькие анклавы, где каждый бизнесмен будет покупать себе местный совет, местный исполком, и иметь маленькие Абхазии, Осетии, Приднестровья на территории Украины»

(„Meine Position als Bürger – ich werde dem Widerstand leisten bis zum Letzten. Niemals wird die Ukraine zerstückelt werden. Die Ukraine sollte ein Einheitsstaat bleiben mit weitreichenden Befugnissen der Regionen und keine kleinen Enklaven, in denen jeder Geschäftsmann sich seinen eigenen Gemeinderat, seine Gemeindeverwaltung kaufen kann, und sich sein kleines Abchasien, Südossetien, Transnistrien auf dem Territorium der Ukraine halten kann“).

Dieses Argument ist mehr als fadenscheinig: «Был один Янукович, сейчас хотят, чтобы было 27 «януковичей» в областях». („Gab es früher einen Janukowitsch, wollen sie jetzt, dass es 27 „Janukowitschs“ in der Oblasten (Regionen) geben soll.“)

Jantzenjuk will also bis zum Letzten den Forderungen Achmetows Widerstand leisten! Klingt das in unseren Ohren nach einem nationalen Dialog? Bislang sind diese Veranstaltungen des „Runden Tisches“ damit also reine Alibi-Runden. Es ist eine Farce – auch ohne dass nur ein politischer Führer der Separatisten oder Föderalisten am Tisch sitzt.

Dabei sollte klar sein, dass die Verfassungsfrage nicht Jantzenjuk, auch nicht Achmetow zu entscheiden haben und schon gar nicht Washington mit seiner scheinheiligen Forderung nach Korruptionsbekämpfung. Die Frage hat einzig und allein das Wahlvolk zu entscheiden – genau wie es Moskau bereits am 17. März (!) vorgeschlagen hatte. Auch das sei hier bemerkt, Moskau hat doch völlig recht, wenn es immer wieder sagt, dass es hier in erster Linie auch um einen innerukrainischen Konflikt geht. Klingelt es endlich bei Euch transatlantischen Banausen (zum Beispiel bei den Grünen)?

Selbst Putin hatte die „Runden Tische“ durchaus begrüßt und angedeutet, dass die Wahlen am Sonntag ein Schritt zur Lösung des Konflikts sein können. Auch erkannte er bislang noch keine, der nach fragenwürdigen Referenden ausgerufenen, Republiken im Osten an. Zuvor hatte Putin bekanntlich zur Verschiebung der Abstimmungen aufgerufen.

Was Moskau gerne möchte, das sind Garantien dafür, dass die Regionen zur Not einen Nato-Beitritt der Ukraine verhindern können – egal wer da gerade in Kiew regiert. Und das alles abgesegnet in einer Volksabstimmung. Den Rest der Ukraine braucht Putin nicht – das hat er mehrmals erklärt. Aber unsere naiven Transatlantiker in Medien und Politik haben es ihm ja nie geglaubt: „Neoimperialismus hier und Neoimperialismus da… blablabla. Sollen wir etwa Russland wieder zuhören, das machen wir ja doch schon seit mindestens 2007/2008 nicht mehr,…blablabla! Reden wir doch lieber von Sanktionen und Nato in Osteuropa!“

Außenminister Sergej Lawrow hat übrigens auch schon vor Wochen signalisiert, dass es eine Art von Dezentralisierung in einem Einheitsstaat geben kann, die einer Föderalisierung schon sehr nahe kommt, wie im regierungsunabhängigen Wirtschaftsblatt „Wedomosti“ zu lesen war. Auch von der Seite hat Moskau also schon länger Kompromissbereitschaft gezeigt, wenngleich die gewaltsamen Besetzungen im Osten „natürlich“ weitergingen – aber darüber dürfen wir uns nicht wirklich wundern.

Es bleibt noch eine Woche bis zu den Wahlen. Wir wollen nicht ausschließen, dass es in den nächsten Tagen tatsächlich zu einem Amnestiegesetz kommt und es irgendwie einen Durchbruch in der Verfassungsfrage gibt. Ein Durchbruch, der auch Oligarchen im Osten, der die politischen Vertreter der Separatisten und Föderalisten (sowie Moskau) zufrieden stellt:

Es muss ein echtes und ehrliches Verfassungsreferendum geben. Dann beruhigt sich die Lage auch im Osten wieder, jede Wette!

Es wäre tatsächlich ein Erfolg von Merkel und Steinmeier. Doch so richtig mag man heute gar nicht daran glauben. Denn dafür müssen beide ihren Ton und den Druck gegenüber Kiew deutlich verschärfen. Für scharfe Wirtschaftssanktionen wiederum gegen Russland fehlt nach jetzigem Stand der Dinge jede Grundlage – daran sollte es keine Zweifel geben!

Es wird wohl Zeit für Plan B, Frau Merkel. Zypern und Österreich müssen im Rat der EU-Staats- und Regierungschefs (nächste Woche?) mit ihrem Veto die nächste Sanktionsstufe blockieren. Denn Russland (und rückwirkend die EU) haben diese Strafen gar nicht verdient – egal was Sie Obama versprochen haben, Frau Merkel.

Sie haben doch wohl hoffentlich für diesen Fall vorgesorgt, Frau Bundeskanzlerin: „Wir entscheiden im Europäischen Rat immer einstimmig. Das heißt, jedes Land bestimmt mit und keiner kann überstimmt werden, sondern das würde gegebenenfalls ein einstimmiger Beschluss der Staats- und Regierungschefs sein“. So klug sind Sie doch, Frau Merkel, oder?

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