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Merkel im Blindflug nach Washington – während sich die Ostukraine auf den Bürgerkrieg vorbereitet

Freitag vor einer Woche hat die Bundesregierung eine bemerkenswerte Wende in ihrer Kommunikationspolitik seit dem Genfer Abkommen zur Ukraine vollzogen. Außenminister Steinmeier veröffentlichte erst eine Pressemitteilung, in der Kiew und (!) Moskau an ihre Verantwortung erinnert wurden, den in Genf beschlossenen Weg einzuleiten (!) und in der er beide Seite zum Verzicht auf Gewalt aufforderte. Wir erinnern uns, Kiew hatte gerade erst seine „Anti-Terror-Operation“ (mit Rückendeckung der USA) wieder aufgenommen, was am Donnerstag erste Todesopfer gefordert hatte.

Für die Kanzlerin war zu dem Zeitpunkt aber schon längst klar: „Selbstverständlich bleibt auch die ukrainische Regierung aufgefordert, ihren Teil der Vereinbarung umzusetzen; aber es ist offensichtlich, dass sie sich von Anfang an die Arbeit gemacht hat“, ließ sie ihren Sprecher Steffen Seibert auf der Regierungspressekonferenz am Freitag sagen. Wenig später äußert sich Merkel selbst dazu: „Russland hätte davon bin ich zutiefst überzeugt die Möglichkeit, die Separatisten in der Ukraine auf einen friedlichen Weg der Verfassungsdiskussion und der Wahlvorbereitung zu bringen. Solche Signale sind bis jetzt leider ausgeblieben. Mit dem letzten Punkt hat Merkel durchaus recht, aber vergessen wir nicht, Kiew hatte einen Tag zuvor mit der Wiederaufnahme der „Anti-Terror-Operation“ das Abkommen bereits klar gebrochen!

Die sehr „eigenartige“ Bewertung der Ereignisse durch die Bundesregierung begann aber so richtig erst in dieser Woche – also wenige Tage bevor die Kanzlerin nach Washington abgereist ist. Am Montag wiederholte Seibert: „Fortschritte bei der Umsetzung der Genfer Vereinbarung sehen wir in der Tat nur aufseiten Kiews“. Kiew habe nichtstaatliche Gruppen entwaffnet und Gebäude seien einvernehmlich geräumt worden. Zudem habe die ukrainische Regierung einen Verfassungsprozess aufgenommen, bei der auch eine Roadshow mit Beteiligung der Regionen geplant sei. Auch hätte die Regierung in Kiew ein Amnestiegesetz auf den Weg gebracht, hieß es einen Tag später aus Berliner Regierungskreisen – nachdem kein einziger der auf Pressekonferenzen anwesenden Journalisten-Kollegen überhaupt einen leisen Zweifel an der Version der Kanzlerin gehegt hatte.

Kerry macht eine Ansage und im Westen folgen sie ihm wie die Lemminge

Was war geschehen? Warum schießt sich die Bundesregierung plötzlich auf Moskau ein, während ihr Außenminister die ganze Woche nach Ostern noch dafür warb, der OSZE mehr Zeit einzuräumen, die Genfer Vereinbarung umzusetzen? Nun, die Antwort ist einfach: John Kerry, der US-Außenminister, hat am Donnerstag die klare Linie vorgegeben, an die sich seitdem alle Regierungschefs der G7-Staaten fast eins-zu-eins halten. Zuvor hatte noch Russlands Außenminister Sergej Lawrow in Englisch ein Interview dem russischen Auslandssender RT gegeben. Es lohnt sich beides genau zu studieren, Lawrows Interview und Kerrys Stellungnahme, um zu sehen, dass vielleicht doch nicht alles so eindeutig aussieht, wie erst Washington und seitdem auch Merkel die Politik Kiews darstellen.

Auf zwei wichtige Punkte möchte ich hier eingehen, die mir sehr wichtig erscheinen. Zum einen beanstandet Lawrow, dass das angekündigte Amnestiegesetz keine Freilassung von politischen Gefangenen vorsieht. Also von Politikern, die genau das fordern, was die Separatisten und Föderalisten (und sonstigen Gestalten in der Ostukraine) mit Waffengewalt durchsetzen wollen: Eine Föderalisierung der Ukraine. Das Gesetz soll nur für die gelten, die Waffen abgeben und Gebäude räumen, wie selbst Kerry einräumt („Prime Minister Yatsenyuk has publicly announced amnesty legislation – once more, in his words – for all those who surrender arms, come out of the premises“).

Doch wie bereits erwähnt, wäre die Freilassung der politischen Gefangenen eine Geste des guten Willens gewesen. Dass sie bisher ausgeblieben ist, sollten wir zumindest auch beachten (nicht die Geiselnahmen rechtfertigen), wenn wir an die festgesetzten Militärbeobachter der Bundeswehr und die Journalisten und anderen Gefangenen in den Händen der Separatisten und Föderalisten denken.

Ein wichtiger Unterschied: Dezentralisierung oder Föderalisierung

Der zweite wichtige Punkt betrifft die Verfassungsreform. Am Mittwoch meldete zum Beispiel „Spiegel Online“ (und andere Medien), Übergangsministerpräsident Jazenjuk würde am 25. Mai über eine Föderalisierung des Landes abstimmen lassen wollen: „In der Befragung solle es um die nationale Einheit und eine Föderalisierung gehen“, schreibt SpOn. Doch das ist so nicht richtig. Denn wie Jazenjuk sagte, will er gar nicht über eine Föderalisierung abstimmen lassen, sondern: «Это вопрос единства, территориальной целостности государства и децентрализации власти». („Das ist die Frage der Einheit, der territorialen Ganzheit des Staates und die Dezentralisierung der Macht“). Dazu muss man wissen: Das, was Kiew unter Dezentralisierung der Macht versteht, stimmt eben nicht mit dem überein, was Moskau und die Kräfte im Osten unter einer Föderalisierung verstehen.

Den Föderalisten und Moskau schwebt ein loser Bund der Regionen vor, die auch über ihre außenwirtschaftlichen Beziehungen selbständig entscheiden (z.B. mit wem sie Freihandel führen) – Kiew will dagegen nur etwas von seiner Macht an die Regionen abgeben, wichtige Fragen sollen weiterhin von Kiew aus bestimmt werden – also im Grunde genommen wie in all den Jahren seit der Unabhängigkeit der Ukraine (was dem Land gar nicht gut bekommen ist). Das ist aber genau der Kern des Konflikts. Es geht gar nicht um eine Angliederung an Russland, wenngleich dies bestimmte Gestalten im Osten auch fordern – was Moskau aber gar nicht will.

Hinzu kommt, dass Kiew noch immer nicht bereit ist, Russisch als zweite Staats- oder Amtssprache in die Verfassung schreiben zu lassen, was selbst Kerry zugibt („a special status to the Russian language„). Jazenjuk sprach am Mittwoch von zusätzlichen Garantien („готово к дополнительным гарантиям„). Doch warum will er noch immer nicht Russisch als zweite Amtssprache einführen? Wo liegt das Problem?

Wie Merkel am Kernkonflikt vorbeiredet

Jedenfalls kann man sich nicht hinstellen und so dermaßen am Kern der Konflikts vorbeireden wie die Kanzlerin am Mittwoch und behaupten: „Es ist wichtig, die Verfassungsdiskussion in der Ukraine voranzubringen, auch in Bezug auf Elemente der Dezentralisierung. Ich habe heute mit dem ukrainischen Premierminister Jazenjuk darüber gesprochen. Dieser Verfassungsprozess wird durchgeführt. Es gibt umfassende Diskussionen, und man kann damit rechnen, dass ein Entwurf für eine solche Verfassung in der nächsten Woche auch schon sehr weit gediehen sein wird.

Auch diese Aussagen Merkels meinen etwas völlig anderes, als Steinmeier in seinem Brief an die OSZE gefordert hatte. In dem Schreiben brachte er Runde Tische ins Spiel, die „auf der einen Seite die prorussischen Separatisten und auf der anderen Seite die Vertreter des ukrainischen Staates zusammenbringen sollten. Übrigens wird Steinmeiers Initiative noch immer von Lawrow unterstützt.

Merkel fällt Steinmeier in den Rücken

Doch Merkel fällt nicht nur ihrem und dem russischen Außenminister in den Rücken, sie ergreift hier einseitig Partei in einer Verfassungsfrage, die nur die Ukrainer etwas angeht. Sie unterstützt offenkundig die sture Haltung Kiews. Mit ihrem Gerede bricht auch Merkel mit dem Geist des Genfer Abkommens!

Es ist nun einmal so: In den zentralen Verfassungsfragen bleiben Kiew (mit Rückendeckung Washingtons und Merkels) und die Föderalisten (mit Rückdeckung Moskaus) stur. Genau über die Fragen sollte es deswegen einen gesamtgesellschaftlichen Diskussionsprozess geben, so wie in Genf beschlossen! Und der ist bis heute nicht in Gang gekommen und wird kaum bis zum 25. Mai beendet werden können, selbst wenn sie endlich reden würden.

Das will die USA in der Ukraine: „The fact is that our entire model of global leadership is at stake“

Warum stellt sich also Berlin hier auf eine Seite? Es ist einfach nur unbegreiflich. Hinzu kommt, dass die Amerikaner es nach jetzigem Stand nie zulassen werden, dass sich Moskau mit seinen Vorstellungen auch nur einen Millimeter durchsetzen wird. John Kerry hat es am Dienstag deutlich ausgesprochen, worum es den Amerikanern in der Ukraine tatsächlich nur noch geht: „The fact is that our entire model of global leadership is at stake.“ Russlands Motive sollten mittlerweile jedem klar sein: Moskau will sein Einflussgebiet nicht verlieren und verhindern, dass die Ukraine der Nato und der EU beitritt. Was die Amerikaner wollen, das ist spätestens (!) seit dieser Woche auch völlig klar. Niemand darf auf ihrer Nase rumtanzen, auch nicht in der Ukraine. Die Vereinigten Staaten sind da völlig humorlos und zu keinen Kompromissen bereit.

Und damit kann man nur noch deutlich sagen: Wer auch immer das Wort „Neoimperalismus“ im Zusammenhang mit Putin in den Mund nimmt, der ist ein dummdreister Kriegstreiber. Der vertritt nicht die Interessen Europas (Frieden und Handel) und schon gar nicht die Interessen der deutschen Wirtschaft oder einzelner Unternehmen. Der Übergangspräsident der Ukraine setzt bereits auf Freiwilligenmilizen, in Dnjepotrwosk baut der „Rechte Sektor“ bereits das Bataillon „Donbass“ auf (siehe auch Ria Nowosti). Die ARD-Journalistin Golineh Atai hat ähnliche Typen am Wochenende besucht. Einige der prorussischen Gestalten agieren derweil immer brutaler und blutiger – seit dem Donnerstag, als „Anti-Terror-Operation“ wieder aufgenommen wurde und die G7-Staaten Russland einseitig für den Bruch des Genfer Abkommens verantwortlich machen.

Merkel hat noch eine Chance – wenn sie denn überhaupt will

Bald werden wir wohl nur noch von proamerikanischen und prorussischen Truppen in der Ostukraine sprechen können – Merkel ist die einzige, die den Irrsinn vielleicht (!) noch stoppen kann. Bislang fehlt noch immer jedes Bekenntnis zum Dialog aus Washington. Beim  Treffen mit Obama hätte sie jedenfalls wohl noch die letzte Chance dazu, die Amerikaner zu überzeugen. Sollte Merkel aber nach dem Treffen so weiter reden wie bisher, dann sollten sich die Sozialdemokraten sehr gut überlegen, mit wem sie hier eigentlich noch koalieren. Und die deutschen Unternehmen sollten sich sehr gut überlegen, ob sie der CDU noch einen einzigen Euro spenden wollen.

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  • Rob

    Es ist wie im Fußball. Gelegentlich wird eine neue Strategie ausgedacht (z.B. Tiki-Taki), und über Jahre dominiert deshalb spanischer Fußball. Aber diese Zeit neigt sich offensichtlich dem Ende zu. Aus verschiedenen Gründen. Das ist eigentlich auch hier die Hoffnung.
    Putin hat eine neue Art Kriegsführung ausgedacht. Das er übrigens im Osten der Ukraine die Finger im Spiel hat, dafür sind die Indizien recht erdrückend. Also hat er eine neue Art Kriegsführung ausgedacht. In Kombination mit der Propaganda in Russland, die nach neueren Erkenntnissen noch gravierender ist als ich angenommen hatte, komme ich ziemlich eindeutig zum Schluss: Jedes Verständnis für ihn ist eigentlich eine zuviel. Und dieses Verständnis wird durch die Kritik an Deutschand und den USA eigentlich indirekt auch gewährt.

    Für gewöhnlich lese ich keine regierungsseitige Statements. Das gilt auch für Kerry, denn Regierungen sind meistens gut darin, Sachen in ihrem Sinne darzustellen. Der Hinweis auf das Kerry-Statement auf einer .gov-Seite („a special status to the Russian language“) macht mich aber neugierig. Auch hier: einzelne Rosinen aus einem Presseartikel sagt noch nichts über den Rest, z.B. „From day one, the Government of Ukraine started making good on its commitments – from day one. From day one, Prime Minister Yatsenyuk has kept his word.“. Kerry gibt aber in dem Statement gar nichts zu, an dieser Stelle. Wieso steht es dann etwas suggestiv in deinem Beitrag?

    Woher doch die Probleme mit Amerika? Ist es etwa Dieses, dass eine Rolle spielt: „Wer die antiamerikanischen Ressentiments in Deutschland auf die Politik der USA zurückführt, verwechselt Ursache und Wirkung. Es ist der antiamerikanische Zerrspiegel, der dafür sorgt, dass alles, was Amerika macht (oder lässt), als Ausdruck yankeehafter Skrupellosigkeit oder amerikanischen Banausentums wahrgenommen wird – vorzugsweise als Mischung aus beidem.“
    Aus: http://www.cicero.de/weltbuehne/antiamerikanismus-die-usa-muss-unsere-schutzmacht-bleiben/57507

  • André Kühnlenz

    Oh, ich hatte nie Zweifel, dass Putin seine Finger im Osten im Spiel hat. Und noch einmal: Mir geht es nicht um Verständnis für Putin – zumal es immer blutiger und gewalttätiger dort wird!

    Es ist einfach ein Fakt: Putin reagiert so wie reagiert. Dies lässt sich mit bestimmten Entwicklungen der vergangenen Jahr erklären, an denen auch die Nato und die EU nicht ganz unschuldig sind – ob nun bewusst oder unbewusst. (Das ist aber noch kein Verständnis!)

    Alle moralischen Appelle, alle Sanktionen werden Putin nicht davon abhalten, seinen Einfluss im Osten zu sichern. Das ist ein Fakt. Das müssten doch jetzt mittlerweile alles mitbekommen haben! Was wäre die Lösung? Lasst doch endlich alle Seiten miteinander reden. Das ist keine Sache Amerikaner oder der EU.

    Und eben dazu ist Kiew eben gar nicht bereit. Es gibt keinen „From day one…“, wie Kerry behauptet. Das habe ich an wichtigen Punkten dargestellt: Verfassung und Amnestie. Ursprünglich wollte ich beide Text vergleichen und Punkt für Punkt durchgehen. Am Ende habe ich mich dann doch nur für die Kernpunkte entschieden und den Rest verlinkt.

    Seit Wochen sagen Politiker aus dem Osten (also nicht die gewalttätigen Aktivisten), dass völlig unklar ist, was Kiew mit dem „Sonderstatus“ der Sprache meint. Sie fordern stattdessen ein klares Bekenntnis, dass Russisch als zweite Staats- oder Amtssprache eingeführt. Wie kann Kerry sich dann hinstellen und sagen, Jazenjuk würde dem Osten entgegen kommen, wenn er dem Osten eine „Sonderstatus“ der Sprache verspricht.

    Du merkst es hoffentlich langsam selber: Hier findet eine orwellsche Verdrehung der Tatsachen staat, die Kerry hier betreibt. Kerry ist derjenige der suggestiv versucht die Dinge darzustellen. Von meiner Seite aus es eben nicht antiamerikanisch gemeint, sondern die Bewertung eines zweifelhaften Statements der Außenministers. Kerry führt ein Propandaspielchen auf, wie auch Putin aufführt.

    Wenn Du meinst ich sei antiamerikanisch, solltest Du auch sagen, ich sei antirussisch. Beide Seite nehmen sich hier nicht mehr viel. USA und Russland tragen ein geostrategisches Spiel auf dem Rücken der Ukraine aus – mit entsprechender Propaganda-Begleitung. Und es ist so absurd, dass die Bundesregierung das Statement Kerrys völlig kritiklos übernimmt. Hoffentlich ändert sich das, wenn Merkel aus Amerika zurück ist!

  • Rob

    Über Kerry sind wir uns einig, glaube ich (ich sagte ja, dass ich sein Statement nur aus Neugier gelesen habe). Ich sehe aber nach wie vor nicht, dass er das mit dem Status des Russischen im Sinne von „zugeben“, dass Ukraine nicht bereit wäre, Russisch in der Verfassung festzuschreiben, gemeint hätte. Das steht so nicht da. Übrigens: Ich habe in einer anderen Reaktion in diesem Blog angedeutet, dass es schade ist, dass es wieder USA-Russland ist, das alte Streithahngespann.

    Sprechen wir von den Sanktionen. Ich weiß jetzt nicht mehr wo, aber es hieß: Russland wird faktisch von etwa 150 Familien „geleitet“. Persönliche Sanktionen können demnach sehr wohl wirksam sein, denn Putin kann genausoschnell wie Janukowitsch fallen, wenn seine eigene Elite sich gegen ihn kehrt.

    Alle miteinander reden… Eine gewisse Tragik besteht darin, dass die Separatisten in Genf nicht dabei waren. Die hatten es dann leicht, sagen zu können: wir machen nicht mit! Ich sehe absolut nicht, dass Kiew den ersten Schritt hätte machen müssen. Und wenn: die haben (wenn ich richtig informiert bin) immerhin in Kiew dazu beigetragen, dass der Umfeld des Maidan sich normalisiert.
    Noch mal Genf: „Pro-russische Separatisten verwarfen als Erste die Genf-Vereinbarung, der von Ukraine, Russland, der EU und den USA getroffen wurde, denn diese Vereinbarung war nicht mit ihnen getroffen worden.“. Das wurde mir heute in Erinnerung gerufen [1]. Hätten die dabei sein sollen? Eine Gruppierung, die – wie es ganz offenkundig erscheint – von Moskau gesteuert wird? Das ist doch eigentlich lächerlich? Weiter von der gleichen Quelle: „Weiterhin erklärte Putin, dass Eingreifen ein humanitäres Ziel dient, nämlich den Schutz bedrohter ethnischer Russen. Aber alsdann zeigt es sich, dass gerade die pro-russische Separatisten sich barbarisch benommen haben.“ Aber deinen Beiträgen hier kann ich eher entnehmen, dass du das Hauptproblem eher in Kiew siehst. Zuletzt las ich in der Papierausgabe der Zeit ein ausführliches Interview mit Jazenjuk (da ging es auch um die Sprache). Am Ende läuft er ohne Kommentar irritiert weg. Einige Fragen wurden ihn zuviel. Ich kann das nachempfinden. An allen Ecken und Enden brennt es, man hat gar keine Zeit, wichtige Sachen in die Wege zu leiten, weil die volle Aufmerksamkeit gerade von diesen blöden Separatisten aufgefressen wird. Ich glaube, ich wäre auch weggelaufen – in einer vergleichbaren Konstellation -, egal ob ich eine gute oder keine gute Intention (allgemein) habe.

    [1] http://www.trouw.nl/tr/nl/6844/Rob-de-Wijk/article/detail/3647000/2014/05/02/Poetin-wordt-geleid-door-rancune-tegen-het-Westen.dhtml
    „Putin wird von Groll gegen den Westen geleitet“ (der Autor, Direktor vom Institute of International Relations Clingendael, glaubt übrigens, dass Moskau nicht offen militärisch eingreifen wird).

  • Rob

    Nachtrag: heute über einen Hinweis eines Zeitonline-Kommentators einen Taz-Artikel gelesen. Zitat: „Die Ukrainekrise ist ein kolossales Scheitern der US-Außenpolitik. Sie hat uns an den Rand eines Krieges gebracht. Und alle US-Präsidenten seit Clinton sind Komplizen.“ Ein nachdenkenswertes Interview mit einem US-amerikanischen „Putinversteher“: http://www.taz.de/Russland-Forscher-ueber-die-Ukrainekrise/!137733/

  • André Kühnlenz

    Danke für den Link. Genau so scheint es mir auch. Was die Kiewer Führung angeht, so kann ich nur sagen: Ich lese, wie die Politiker aus dem Osten (die sich für eine Föderalisierung aussprechen) darauf reagieren, was aus Kiew kommt. Und es sieht eben nicht danach aus, dass hier beide Seiten überhaupt miteinander reden. Es gibt keine Zugeständnisse – auch wenn Kerry das so darstellen will. Er redet absoluten Unsinn.

    Diesen Politikern im Osten reicht es eben nicht, nur einen Sonderstatus des Russischen zu bekommen. Sie wollen, dass Russisch eine zweite Staats- oder Amtssprache wird. (Das ist nur ein Beispiel aus der Verfassungsreform, über die Kiew eben kategorisch nicht reden will.) Noch einmal: Beide Seiten sollten reden, reden, reden nochmals reden. Was sie aber nicht tun! Kiew zieht nur rote Linien und sagt bis hier hin und nicht weiter – und das mit zweifelhafter Legitimation.

    Es gibt auch keinen Dialog mit dem politischen Kräften aus dem Osten – und der war in Genf auch vereinbart worden. Deswegen verstößt auch Kiew gegen das Genfer Abkommen. Die Übergangsregierung unternimmt praktisch nichts! Abgesehen davon, dass Kiew seine Anti-Terror-Operationen wieder aufgenommen hat, was allein schon ein gravierender Bruch der Abkommens ist, das ja besagt: Keine weitere Eskalation und Gewalt – ausgehend vom Status Quo der damals herrschte.

    Und dafür bekommt Kiew die Rückdeckung aus Washington und wie es scheint auch aus Berlin – da müssen wir jetzt die nächsten Tage abwarten. Wir wissen ja nicht wirklich, was Merkel Obama gesagt hat. Wenn Kerry von Sonderstatus der Sprache spricht, wiederholt er die Haltung Kiews nur. Sorry, das ist pure Demagogie!

  • Hotzenplotz

    @Rob:
    Mich interessieren vor allem folgende Fragen, die Du selbst aufgeworfen hast:
    1.) Welche „neue Taktik“ der Kriegsführung glaubst Du hier zu erkennen?
    „Es ist wie im Fußball. Gelegentlich wird eine neue Strategie ausgedacht (z.B. Tiki-Taki), und über Jahre dominiert deshalb spanischer Fußball. Aber diese Zeit neigt sich offensichtlich dem Ende zu. Aus verschiedenen Gründen. Das ist eigentlich auch hier die Hoffnung.“
    Ich hätte das eher auf die US-amerkanische Gebaren der letzten Jahre bezogen. Stichwort: „Menschenrechte“. Oder genauer, welcher Mensch, gerne auch Gruppe von Menschen, das Recht auf die hier oder dort vorkommenden Bodenschätze oder strategischen wichtigen Absatzmärkte hat und mit welchen Mitteln er/sie das durchsetzt. Das Rußland hier eine sensationell neue Taktik fährt ist für mich nicht erkennbar. Allenfalls Lernen durch Nachahmen, vom großen Vorbild westlich des Atlantiks.
    2.) Was soll der Leser davon halten, dass Du keine Regierungsstatements liest, im gleichen Atemzug aber einen cicereo-Artikel verlinkst, der sich wenig von dem ewig gleichen Propagandabla unterscheidet? Die Ergüsse von Hr. Grau in ihrer Gesamtheit, Objektivität und analytischen Tiefe, können es jedenfalls kaum mit denen von Hr. Kühnlenz aufnehmen. Auch die eigene Analyse und der Versuch einer Obejktivierung sind dort nicht/kaum zu finden. Egal ob man Hr. Graus Artikel bei cicero oder Novo Argumente liest
    .
    Ich zitiere mal aus dem von Ihnen verlinkten Artikel:
    „Wer die antiamerikanischen Ressentiments in Deutschland auf die Politik der USA zurückführt, verwechselt Ursache und Wirkung.“

    Wirklich? Also der Mensch in D ist hier grundsätzlich negativ eingestellt und einfach zu dumm für die Einsicht, dass die USA nur Gutes wollen und bringen und niemals Ihren eigenen Interessen folgt. Soso…

    Hr. Grau ist bei mir bisher nur dadurch aufgefallen, dass er seine Leser regelmäßig für dumm, neurotisch, egoistisch oder sonstwie gestört erklärt, nicht jedoch durch fundierte Analysen und Beleuchtung der Hintergründe.

    Ich möchte zur aktuellen Lage in Kiew und ihrer, meiner Ansicht nach, nicht gewollten Deeskalation noch einige Zitate aus Zbigniew Brezinkis Buch „Amerika – Die einzige Weltmacht“ zum Thema Ukraine bringen:

    Dort steht im Kapitel Das eurasische Schachbrett:
    „Eine Politik für ein geeintes Europa wird sich außerdem — wenn auch gemeinsam mit den Europäern — der hochsensiblen Frage nach Europas geographischer Ausdehnung stellen müssen. Wie weit sollte sich die Europäische Union nach Osten erstrecken? Und sollten die Ostgrenzen der EU zu-gleich die östliche Frontlinie der NATO sein? Ersteres ist mehr eine europäische Entscheidung, wird sich aber unmittelbar auf eine NATO-Entscheidung auswirken. Diese allerdings betrifft auch die Vereinigten Staaten, und die Stimme der USA ist in der NATO noch immer maßgebend. [Anm: sprich, die einzig gültige] Da zunehmend Konsens darüber besteht, dass die Nationen Mitteleuropas sowohl in die EU als auch in die NATO aufgenommen werden sollten, richtet sich die Aufmerksamkeit auf den zukünftigen Status der baltischen Republiken und vielleicht bald auf den der Ukraine.“

    … und weiter im Kapitel Amerikas zentrales Ziel:
    „Dies erfordert ein energisches, konzentriertes und entschlossenes Einwirken Amerikas besonders auf die Deutschen, um die Ausdehnung Europas zu bestimmen und um mit — vor allem für Russland — derart heiklen Angelegenheiten wie dem etwaigen Status der baltischen Staaten und der Ukraine innerhalb des europäischen Staatenbundes fertig zu werden.“

    …und noch weiter im Kapitel Der eurasische Balkan
    „Die Staaten, die Amerikas stärkste geopolitische Unterstützung verdienen, sind Aserbaidschan, Usbekistan und (außerhalb dieser Region) die Ukraine, da alle drei geopolitische Dreh- und Angelpunkte darstellen [und rohstoffreich sind oder durch diese eine fette Pipieline geht und zufällig auch direkt/indirekt (KAZ) an Russland angrenzen]. Die Rolle Kiews bestätigt fraglos die These, daß die Ukraine der kritische Punkt ist, wenn es um Rußlands eigene künftige Entwicklung geht.“

    Was wir derzeit in der Ukraine erleben, ist der Versuch der regiemäßigen Umsetzung dieser Hegemonialmachtspläne. Alle anderen sind ja bereits weitestgehend abgearbeitet worden. Und in diesem Zusammenahng sehe ich die Aussage Hr. Kerrys „Dass [für die USA] die Rolle der globalen Führung [und Vorherrschaft]“ auf dem Spiel steht mit äußerster Sorge. Denn bis dato ist noch nie jemand freiwillig und ohne Blut vergießen von seinem Thron herabgestiegen.

    Relativismus ist an dieser Stelle fehl am Platz.

    Und wenn Sie und Hr. Grau einmal wissen wollen, was in den Köpfen vieler Leute da draussen vo sich geht, dann empfehle ich dieses kurze Video: https://www.youtube.com/watch?v=KK-zGrqIXac

    Es geht hier mitnichten um irgendwelche Ressentiments, sondern um eine aufrichtige Haltung, die ehrliche Akzeptanz verschiedener Standpunkte, ein friedliches und auf Gegenseitigkeit beruhendes Miteinander und menschliche Größe und zwar nach den Maßstäben der einfachen Menschen auf der Straße und nicht nach den degenerierten und teilweise bis zur Unkenntlichkeit verzerrten Maßstäben unserer gesellschaftlichen und politischen Eliten.

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