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Lasst die Ukrainer über ihre Verfassung abstimmen, Ihr Kiewer Hobbydemokraten!

Hinweis: Zu diesem Beitrag gibt es auch eine stark gekürzte Version als Leitartikel im WirtschaftsBlatt.

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Was passiert eigentlich gerade in der Ostukraine? Sehen wir hier tatsächlich schon die „bösen“ Russen am Werk, die gezielt die Ukraine zerschlagen wollen? Wohl eher nicht. Wir erleben stattdessen, wie Wladimir Putin reagiert, wenn er mit seiner ultimativen Forderungen nach einer Förderalisierung der Ukraine nicht weit kommt. Denn bisher lehnt die Kiewer Regierung noch immer alles ab, was in Moskau vorgeschlagen wird.

Natürlich fehlen Beweise, dass Russland hinter den Besetzungen der Verwaltungsgebäude und den Tumulten steckt, die sich derzeit in den großen Städten im Osten des Landes abspielen. Sicher ist nur eins, Moskau verschärft den Wirtschaftskrieg gegen seinen Nachbarn. Erst vorgestern verhängte Russland ein Einfuhrverbot für Milchprodukte aus der Ukraine.

Wie absurd: Feinde wollen Freundschaftspreis aus Moskau

Dies mag zwar wie das russische Schweinefleischembargo gegen Polen und Litauen nicht ganz den WTO-Regeln entsprechen – die EU klagt jetzt auch deswegen. Nur: Wer auf Konfrontationskurs mit Russland geht, der muss auch mit diesen Konsequenzen leben können. Das gilt natürlich auch fürs Gas. Warum soll die zweifelhafte Führung in Kiew denn einen Freundschaftspreis bekommen, wenn sie nichts mehr mit Russland zu tun haben will? Absurder geht es nicht.

Vorvergangenes Wochenende hat US-Außenminister John Kerry den russischen Außenminister Sergej Lawrow in Paris getroffen. Danach sagte er: „Keine Entscheidung über die Ukraine ohne die Ukraine.“ Was soll er auch anderes sagen, ringen doch hier zwei Großmächte um den Einfluss in der Ukraine. Und derzeit hat Washington eben die Nase vorn in Kiew.

Ein zweifelhaftes Parlament in Kiew

Doch wer sitzt dort eigentlich im Parlament in Kiew? Sind es wirklich die richtigen Leute, die über so ernsthafte Dinge wie eine Verfassung eines Landes entscheiden sollten? Welche Legitimation hat dieses Parlament und seine Regierung eigentlich, mit der die EU einen politischen und sogar einen Sicherheitspakt abzuschließt? Sollte eine Regierung im Übergang wirklich über die Austeritätsvorgaben des IWF entscheiden dürfen? Das alles spricht nicht gerade für eine politische Stabilisierung im Land.

Dann finden wir noch immer Parlamentarier, denen nachgesagt wird, sie hätten sich ihr Mandat für die ehemalige Regierungspartei einfach erkauft, wie einige Korrespondenten berichten. Kurz nach dem Umsturz in Kiew haben sie noch schnell die Seiten gewechselt. Bekannt ist auch, dass die Regierung in Kiew von jemandem geführt wird, dessen Stiftung offen von der Nato und der US-Regierung unterstützt wird. Die Seite der Stifung ist wieder einmal im Netz verschwunden, aber wozu gibt es Screenshots (allerdings auf einer  zweifelhaften Seite, wie Rob richtig in den Kommentaren anmerkt), die aber genau dem entsprechen, was ich dort gesehen habe.

Bloß kein peinliches Psychologisieren und Historisieren

Niemand sollte sich also wundern und rumjammern, dass Putin mal schnell die Krim einsammelt. Völkerrecht hin oder her – mit dieser Frage kann sich gern das politische Feuilleton rumschlagen.

Wer aber Frieden will, der darf das alles ruhig einmal beiseite schieben. Schauen wir über unseren Tellerrand hinweg und genau dafür bietet sich diese Friedensvision für Europa an. Und lassen wir all das peinliche Psychologisieren und Historisieren des deutsch-russischen Verhältnisses, nicht wahr liebe Spiegel-Kollegen? Wart Ihr schon einmal im Osten Deutschlands? Egal.

Und vergessen wir auch eins nicht: Die Absetzung des alten Präsidenten durch das Kiewer Parlament verstieß gegen die alte Verfassung der Ukraine, die ein ähnlich langes Verfahren wie in den USA für den Rauswurf aus Amt und Würden vorsah. (Von getürkten Abstimmungsergebnissen und Doppelzählungen wollen wir gar nicht erst anfangen…) Es ist einfach nur noch ein schöner Baustein, den Putin mit größtem Vergnügen in seine Propagandareden einbaut.

Der verfassungswidrige Umsturz in Kiew

Natürlich mögen viele Gründe für den Umsturz gesprochen haben. Dazu zählen auch die Misswirtschaft und ausufernde Korruption unter Janukowitsch. Seine Ablehnung der Assoziierungsabkommens mit der EU zählt nicht dazu. Und ob er für die Toten des Maidan verantwortlich war, das bleibt noch immer ungeklärt. Dem ach so demokratischen Westen reicht das eigenartigerweise schon aus, um die neue Führung anzuerkennen und mit ihr weitreichende Abkommen zu unterschreiben.

Aber genau wie beim (wahrscheinlichen) Völkerrechtsbruch auf der Krim – gegenseitige Anschuldigung und Vorwürfe helfen uns nicht weiter, wenn wir Frieden wollen. Zumindest kann man sich aber fragen, ob die Ukraine am 25. Mai nicht besser ein neues Parlament wählen sollte, wo dort schon fleißig an einer neuen Verfassung gebastelt wird. Es ist doch gerade die Legislative, die so dringend eine frische Legitimation benötigt.

 Das Wahlvolk soll abstimmen

Solange aber Zweifel an dieser Volksversammlung bestehen, kann man allen Seiten nur zurufen: Lasst das Wahlvolk der Ukraine über die Verfassung direkt abstimmen!

Und dabei könnten die Bürger gleich mit entscheiden, ob sie lieber eine Föderalisierung der Ukraine wollen (wie es Putin vorschlägt) oder den bisherigen Zentralstaat. Am Ende ist es die demokratische Entscheidung der restlichen Ukraine – der jetzt ein paar russische Bewohner fehlen. Wir können davon ausgehen, dass die Ukrainer sich dabei wenig von den russischen Truppen an der Grenze beindrucken lassen, von wirtschaftlichen Embargos allerdings schon. Warum auch nicht?

Geht es nach Moskaus Vorstellungen von Föderalisierung, soll jede Region selber entscheiden können, ob sie der eurasischen Zollunion (Russland, Weißrussland und Kasachstan) beitreten will oder nicht. Die Alternative wäre die Freihandelszone mit der EU. Auf Freundschaftsdienste oder günstige Gaspreise braucht dann natürlich keiner mehr hoffen in der Ukraine. Auf halbwegs bedingungslose Hilfsmilliarden aus Moskau schon lange nicht mehr.

Ein tragbarer Kompromiss

Mit einem Verfassungsreferendum besteht zumindest die Chance, dass Moskau seine Provokationen und Schlimmeres im Osten des Landes unterlässt – zumindest vorerst. Gut, dass sich jetzt immerhin alle Seiten an einen Tisch setzen wollen: die Ukraine, Russland, EU und die USA. Sollen sich doch alle bis dahin den Teufel an den Hals wünschen, sollen sie doch mit den Säbeln rasseln, dass es noch in Wien, Berlin, Brüssel oder London in den Ohren klingelt. Wenn nur dabei am Ende ein für alle tragbarer Kompromiss herauskommt.

Für die EU wäre die Verfassung Putins dabei gar nicht einmal das Schlimmste, was passieren könnte. Sollte Putin mit seinem Entwurf durchkommen – es wäre für die EU kein Beinbruch, für Amerika vielleicht aber schon? Hat nicht gerade Österreichs Regierung den Vorschlag Putins aus dem Jahr 2010 aufgegriffen? (Siehe den Vier-Punkte-Plan aus Wien und das jüngste Interview mit Außenminister Kurz.)

Von Lissabon bis Wladiwostok

Damals, 2010, da träumte Putin von einem gemeinsamen Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok. Eine Horrorvorstellung für Amerikas Hardliner. Deutsche und österreichische Geschäftsleute träumen sogar noch heute davon. Sollte die EU diese Idee tatsächlich verfolgen, dann kann Russlands bisherige Zollunion (mit Kasachstan und Weißrussland und dann wohl auch ein paar Provinzen in der Ostukraine) als der strategische Vorteil für Moskau gelten und zwar in möglichen Verhandlungen mit der EU.

Es wäre der Preis, den die EU dafür bezahlen müsste, dass sich ihr nordamerikanischer Nato-„Verbündeter“ immer wieder so dummdreist in europäische Angelegenheiten einmischt. Aber da sind wir leider auch nichts anderes gewöhnt. Diesen Preis kann die EU aber verkraften. Wenn sie ihn zahlt, kann sie nur dabei gewinnen. Falls Putin aber mit seinem Verfassungsentwurf bei den Ukrainern durchfällt, dann wäre die Einbindung Russlands in eine wirtschaftliche Gemeinschaft mit der EU umso dringender geboten – ganz einfach um des Friedens willen.

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  • Rob

    Zur Jazenjuk-Stiftung: die Seite SchallundRauch muss man mit etwas Vorsicht genießen, laut http://www.psiram.com/ge/index.php/Alles_Schall_und_Rauch .
    Ansonsten ist die Seite, inkl. „About“ soweit erkennbar praktisch unverändert wieder online.

    Zu der Regierung in Kiew: in einem anderen Kommentar habe ich geschrieben, dass die Interimsregierung eigentlich nur in kommissarischem Sinne arbeiten sollte. Hilfsprogramm IWF erscheint mir aber unumgänglich. Die Ukraine befindet sich finanzmäßig wohl in ähnlich desolater Zustand wie damals die DDR kurz vorm Zusammenbruch. Und wenn der IWF Zugeständnisse von den Oligarchen verlangt hat (was ich hoffe), dürfte dieses Programm nicht nur der Bevölkerung weh tun. Ansonsten habe ich aus der Berichterstattung den Eindruck gewonnen, dass die Auflagen nicht so streng sind als z.B. bei Griechenland. Schließlich geht es um viel, auch darum, dass von Putin möglicherweise herbeigeführte Verbesserungen auf der Krim (aus wohlüberlegtem Interesse) natürlich sehr wohl wahrgenommen werden in der ukrainer Bevölkerung.

    Nochmal Interimsregierung: nicht unproblematisch ja, aber wirklich problematisch eher nein. Der Zweifel steckt in der Rolle der Oligarchen. Ich hatte diesbezüglich ein sehr guter Hintergrundartikel in einer niederländischen Zeitung gelesen, dessen wesentliche Punkte ich ins Deutsche in einem politischen Forum übersetzt habe: http://oedp-forum.de/bb/showthread.php?tid=356. Titel des Originalartikels: Ukraine, It’s the economy, stupid!

  • André Kühnlenz

    Ich habe einen Hinweis zum Screenshot-Link eingefügt. Danke dafür Rob. Beim IWF hab ich auch am wenigsten Bauchschmerzen – auch angesichts der Finanznot. Allerdings glaube ich nicht, dass das Programm richtig sein wird. Die Bevölkerung muss ab Mai 50 Prozent mehr für Gas zahlen – das ist kein Vergnügen bei dem Energieverbrauch in der Ukraine, der praktisch nicht reguliert werden kann, weil die Heizungen in den Neubaublöcken von Oktober bis April durchlaufen, ohne dass man da etwas einstellen kann. Wobei mir schon klar ist, dass das alles nicht auf ewig subventioniert werden kann. Aber vielleicht werden ja jetzt im Sommer überall die Heizungen ausgewechselt…

  • Rob

    Thema Heizung: In einem Interview hat Mark Schieritz dazu gemeint: wenn die Leute wenigstens eine Geldsubvention zwecks Kompensation der gestiegenen Kosten bekommen würden, hätten die einen Anreiz zur Verbesserung der Heizung. Das ist schon ein sinnvoller Gedanke. http://blog.zeit.de/herdentrieb/2014/03/31/hilfe-wir-werden-gerettet_7218

    Ob die Menschen tatsächlich eine monetäre Kompensation bekommen, weiß ich nicht.

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