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Naive Transatlantiker

Die transatlantischen Meinungsmacher in Medien und Politik konstruieren sich seit Wochen einen künstlichen Konflikt zusammen. Es ist ein gefährlicher Konflikt, auf den wir uns gar nicht erst einlassen sollten. Sich selber sehen die Falken als aufrechte Demokraten, als Kämpfer für das Völkerrecht (auch wenn es wohl früher einmal der Westen gebrochen haben mag) sowie für die bürgerlichen Freiheiten.

Jede Form von Neoimperialismus (rein zufällig kommt er jetzt aus Russland) muss nach Auffassung dieser Leute konsequent bekämpft werden. Argumente oder eine Analyse, wie es zur jetzigen Eskalation in der Ukraine kommen konnte, suchen wir bei diesen Leuten oft vergeblich. Es reicht ja zu sagen, wie sehr Putin der Sowjetunion nachtrauert. Die Falken wissen dafür umso besser, dass wir Russland unbedingt bestrafen müssen: „Nie wieder Völkerrechtsbruch!“ ist das neue „Nie wieder Auschwitz!“ Aus! Basta! Keine Diskussion. Und wer das nicht kapiert, der kann nur ein wirrer Idiot sein, wie zu Zeiten des Kalten Krieges.

Das westliche Bündnis ist tot

Dabei vergessen die Transatlantiker eins: Die Zweckgemeinschaft der westlichen Ländern aus den Zeiten des Kalten Krieges, sie gibt es nicht mehr. Die deutsche Wirtschaft hat es schon lange erkannt, die Amerikaner sehen Europa nur noch als Konkurrenten auf der ganzen Welt. Deutsche Geschäftsleute müssen damit klar kommen, auf den amerikanischen und auf den eurasischen Märkten. Sich hier auf eine Seite zu schlagen, bedeutet den Untergang im globalen Kapitalismus. Schon heute setzten die deutschen DAX-Konzerne mehr in China um, als Deutschland nach Frankreich exportiert – unserem größten Ausfuhrmarkt.

Spätestens im Irak-Krieg 2003 – wenn nicht schon sehr viel früher – wurde die Konkurrenz mit den Amerikanern deutlich sichtbar. Wenn besonders deutsche Journalisten in ihren Leitartikeln oder Moderatoren im Fernsehen diese Tatsache ausblenden und sich als blinde Kämpfer für das Völkerrecht präsentieren, als Strafexpedition gegen die bösen Russen – dann grenzt das schon an Gesinnungsjournalismus. Es erinnert an Kollegen, die sich den journalistischen Ponyhof ihrer Jugend oder der ersten Berufsjahre zurückwünschen. Das kann man nachvollziehen, verstehen muss man es nicht.

Das Gerede von den „Putinverstehern“ ist kindisch und nervt

Es wird ein Feindbild konstruiert, das wie gesagt, an schlimmere Zeiten erinnert. Da soll es dann „Putinversteher“ und „Russlandfreude“ geben, die an die Einkreisungslegende aus Moskau glauben, die besagt, dass Russland von der Nato und feindlichen Mächten eingekreist wird. Jeder aber, der zur Mäßigung aufruft, dem es um Aufklärung geht, der fällt in den Augen der Leitartikel-Falken in diese Kategorie. Mit Journalismus, der aufklären will, hat das alles nichts mehr zu tun. Zuletzt traf es Altkanzler Helmut Schmidt, der sofort von den transatlantischen Falken auf die Mütze bekommen hat.

Leider fiel Schmidt in dem „Zeit“- Interview auch nicht damit auf, dass er etwas zur Aufklärung beiträgt. Auf seine Autorität vertrauend äußert er Verständnis für Putin. Besser konnten es sich die Falken mit ihren holen Phrasen vom Völkerrecht (früher waren es humanitäre Katastrophen) nicht wünschen. Schmidt tappt damit genau in die Falle, die von den Scharfmachern aufgestellt wurde. Was wir aber brauchen: Wir müssen diese konstruierten Konfliktlinien verlassen und uns um Aufklärung bemühen – zumindest wenn wir Journalisten sind.

Kein Krieg vor unserer Haustür

Es geht nicht für oder gegen: Russland und Amerika. Europa braucht beide und erst recht keinen Krieg vor unserer Haustür. Wer sich auf eine Seite schlägt, der entlarvt sich selbst als intellektueller Tiefflieger, wenn nicht sogar Schreibtischtäter. Die Krieggefahr in der Ukraine ist noch lange nicht gebannt. Schön, dass wenigstens die FAS von ihrem Eskalationskurs wieder abgekommen ist, nachdem sie vor zwei Wochen eine regelrechte Kriegsausgabe vorgelegt hat. Langsam kommen sie auch in Frankfurt wieder runter und widmen sich seitdem deutschen Interessen. Nur in Mainz beim ZDF brauchen sie wieder etwas länger.

Schmidt hat recht: Frau Merkel und Herr Steinmeier geben bisher eine recht gute Figur ab – bei allen Fehlern, die früher gemacht wurden. Sie versuchen die Meinungsführerschaft in der EU zu behalten, um die Falken aus Polen und sonst woher im Zaum zu halten. Sie brauchen dabei nicht auch noch Scharfmacher im eigenen Land. Ob sich in nächster Zeit noch einmal ein Bundespräsident, eine Verteidigungs- und ein Außenminister aus Deutschland hinstellen und mehr Verantwortung in der Welt öffentlich einfordern werden, kann allerdings bezweifelt werden.

Eine stärkere Rolle Deutschlands in der Welt – für den Frieden

Dieser Ruf nach einer stärkeren Rolle in der Welt ist vor allem bei Linken und kritischen Menschen mit äußerstem Argwohn aufgenommen worden. Verständlich. Doch wie die Ukraine-Krise zeigt, braucht Europa, braucht vor allem Deutschland eine eigene Stimme in der Welt – eine, die nicht bedingungslos alles nachbetet, was aus Amerika kommt. Vielleicht sollte diese Stimme nach Obamas Besuch in Europa vergangene Woche etwas leiser ertönen – es reicht ja, wenn sie in Moskau und Peking gehört wird.

Unsere transatlantischen Freunde sollten dabei mithelfen, dass sie als Stimme der Vernunft, der Kooperation und Partnerschaft wahrgenommen wird. Es liegt an uns allen, dass es eine Stimme des Friedens wird.

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