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Gut so: Frau Merkel reicht Russland die Hand (und was macht Amerika?)

Der EU-Gipfel zur Ukraine ist ohne Sanktionen ausgegangen. („Die EU setzt deshalb in einem ersten Schritt die Verhandlungen über Visa-Erleichterungen sowie über ein neues Grundlagenabkommen der EU mit Russland aus“ – wie gesagt, das sind keine Sanktionen!). Die Krise soll noch immer diplomatisch gelöst werden – doch falls sie noch mehr eskaliert, hat die EU auch weitere Mittel im Köcher.

Die Amerikaner sind schon weiter. Noch vor dem Ende des EU-Gipfels hatte Obama gegen einzelne Regierungsbeamte in Moskau Visabeschränkungen verhängt und Vermögen von „Einzelpersonen und Einheiten“ eingefroren. Wer genau darunter fällt, das ist aber noch immer unklar, Putin ist es nicht. Zuvor hatte das Parlament der Halbinsel Krim angeblich einstimmig für einen Anschluss an Russland gestimmt.

Es bleibt schwierig jede Wendung in der Krise nachzuvollziehen und wer hier wie seine Machtposition ausbaut. Klar ist nur: Es gab eine völkerrechtswidrige Okkupation der Krim durch Russland. Und es gibt jede Menge Propagandalügen – nicht nur von Putin und den Russen. Deswegen könnte es hilfreich sein, sich die großen Linien anzuschauen, die einzelne Akteure hier verfolgen – besonders Deutschland.

Quelle: Bundesregierung

Quelle: Bundesregierung

Da ist zum Beispiel die Äußerung Angela Merkels auf der Pressekonferenz (in Text sowie Bild&Ton) nach dem EU-Gipfel. Sie kündigte an, dass der politische Teil des Assoziierungsabkommens ziemlich schnell unterschrieben werden kann. Dann sagte sie (meine Hervorhebung):

„Wir teilen das [Assoziierungsabkommen] in zwei Teile – zum einen den politischen Teil des Assoziierungsabkommens und andererseits den Handelsteil -, weil wir glauben, dass noch einmal über den Handelsteil gesprochen werden müsste – vielleicht gegebenenfalls in dieser Kontaktgruppe –, da wir vermeiden wollen, dass es dann negative Auswirkungen auf die ukrainischen Exporte nach Russland gibt. Da muss man vorsichtig sein. Deshalb haben wir gesagt: Es ist ein politisches Zeichen, dass wir dieses Assoziierungsabkommen jetzt unterschreiben können, und das ist auch ein Ergebnis der Diskussion mit dem ukrainischen Ministerpräsidenten“

Das heißt nichts anderes, als dass die Deutschen über die Kontaktgruppe Russland ein Mitspracherecht über das Freihandelsabkommen mit der Ukraine einräumen wollen. Ein klares Signal, wie ein Kompromiss mit Russland aussehen könnte, bei dem Moskau Einfluss auf die Ukraine behält. Diese Position Deutschlands ist nicht ganz neu, nachdem, was wir am Montag im „Spiegel“ gelesen haben (und was nach meinem Eindruck in den deutschen Medien eher untergegangen ist). Meine Hervorhebung:

„Merkel will Putin klarmachen, dass Russlands Interessen in der Ukraine von der EU diesmal nicht ignoriert würden – anders als beim Aushandeln des Assoziierungsabkommens zwischen Kiew und den Europäern. ‚Wir müssen versuchen, alles zu verhindern, was Moskau als Provokation auffassen könnte‘, sagt ein Spitzenbeamter. Dazu gehört auch, dass das Assoziierungsabkommen nach dem Willen der Bundesregierung verändert werden soll. Eine beim letzten EU-Russland-Gipfel Ende Januar eingesetzte Arbeitsgruppe soll Möglichkeiten erörtern, das Abkommen so zu gestalten, dass die Ukraine ihm beitreten kann, ohne dass eine Zollunion mit Russland ausgeschlossen wird. Das soll Putin besänftigen.”

Ohne in Verschwörungstheorien über die Rolle der Amerikaner hier abzugleiten: Es stellt sich allerdings schon die Frage, wer seit Ende Januar bei aller Eigendynamik der Proteste in Kiew ein Interesse an der gewaltsamen Eskalation auf dem Maidan und einem überstürzten Machtwechsel gehabt haben könnte? Sicher scheint jedenfalls, dass es die Deutschen nicht waren (bei allen verbalen Machtspielchen auch in den vergangenen Tagen). Und die Russen garantiert wohl auch nicht!

Bereits bei seinem Amtsantritt am 17. Dezember hat Frank-Walter Steinmeier Fehler im Umgang mit der Ukraine und Russland eingestanden. Das war schon bemerkenswert. Was die Bundesregierung seitdem verfolgt, entspricht genau dem Wunsch der deutschen Wirtschaft – zumindest dem, was der Ost-Ausschuss seit Scheitern des Abkommens mit der Ukraine immer wieder fordert. „Auch Russland muss Teil einer Europäischen Freihandelszone werden!

Quelle: Kremlin.ru

Quelle: Kremlin.ru

Und Russland? Viele, die das Interview von Wladimir Putin am Dienstag gesehen haben, waren beindruckt von all der Propaganda und offensichtlichen Lügen des russischen Präsidenten. Dabei war das Interessanteste in dem Interview die Passage, in der Putin erklärt, wie es mit den weiteren Finanzhilfen an Kiew weitergehen könnte. Er spricht hier (russisch, englisch, Video) über den Kauf ukrainischer Staatsanleihen für eine zugesagte Summe von 15 Mrd. Dollar, wobei im Dezember bereits 2 Mrd. Dollar geflossen sind. Hier meine Übersetzung:

„Im Prinzip waren wir dazu bereit, weitere Schritte zu erwägen, um die anderen Tranchen für den zusätzlichen Aufkauf von Anleihen bereitzustellen. Doch unsere westlichen Partner haben uns gebeten, dies nicht zu tun. Sie baten uns im Rahmen des IWF zusammenzuarbeiten, um die ukrainischen Behörden zu ermutigen, die notwendigen Reformen für die wirtschaftliche Erholung der Ukraine durchzuführen. Genau in diese Richtung werden wir weiter arbeiten.“

Meine Recherchen bei Pressestellen in Berlin, Moskau und beim IWF waren bislang ergebnislos. Niemand konnte mir bestätigen, welche westlichen Partner dahinter stehen könnten. Wenn es stimmt, was Putin da sagte, zeichnet sich auch hier eine Linie ab, über die Russland seinen Einfluss in der Ukraine sichern könnte – wovon auch die Urkaine profitieren könnte. Eine neue Troika der Hilfsgeber würde entstehen: Die EU mit 15 Mrd. Dollar (11 Mrd. Euro), Russland mit 15 Mrd. Dollar und wieviel gibt der IWF? Die EU hat jedenfalls gestern eine internationale Plattform der Kreditgeber ins Spiel gebracht, die für IWF, der Weltbank, der EBWE, der EIB und interessierten Drittländern (!) offen sein soll.

Damit wird klar, dass sich schon lange Kompromisslinien zwischen Deutschland und Russland abzeichnen. Zu fürchten ist nur, dass wichtige Kräfte in den USA und der Ukraine (vor allem Timoschenko, vielleicht auch Klitschko) das aber gar nicht wollen. Und wer weiß, ob Russland noch daran glaubt, seinen Einfluss in der Ukraine allein in Verhandlungen mit Deutschland zu sichern. Einen Krieg mit der Ukraine können sie jedenfalls nicht wirklich wollen.

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  • Eric B.

    Spannender Hintergrund. Dennoch sollte man Merkels Einfluss in dieser Krise nicht überbewerten. Zum einen sind die Polen am Drücker, zum anderen hat Frankreich die diplomatischen Bemühungen angeführt (bei den Treffen in Paris). Merkel hat viele Fehler gemacht, z.B. indem sie den Fall Timoschenko zu hoch gespielt hat und Klitschko pushte, u.a. über die KAS. Und seit der Vermittlung der EU-Außenminister in Kiew, an der Steinmeier beteiligt war, hat auch Berlin sich die Wut Russlands zugezogen, denn die Absprachen wurden nie eingehalten. Merkel ist immer nu da stark, wo es um dt. Wirtschaftsinteressen geht; strategisch hat auch sie in der Ukraine versagt.

  • popper

    Gelogen wird auf allen Seiten. Insoweit sind die Lügen Putins graduell.
    Allerdings, und das kommt in der Berichterstattung der hiesigen Medien wieder einmal zu kurz, sind von den Lügen, die die USA Putin marktschreierisch unterstellten, einige nachweislich ebenso unverschämt gelogen.
    Es bringt also wenig, wenn Lügner über Lügner Lügen verbreiten.
    Hättendie Akteure im Westen mehr Geschick und Diplomatie bewiesen und nicht die falschen „Pferde“ gesattelt, bräuchte man jetzt viel weniger Schaum vorm Mund. Ebenso blöd ist diese Schwarz-weis-Denke im Westen. Die Art und Weise wie exhibitionistisch im Westen ihre leeren Synapsen präsentieren ist schon mehr als peinlich.

  • André Kühnlenz

    @Eric B.

    Merkel hat im Juni 2013 signalisiert (laut ukr. Medien: http://interfax.com.ua/news/economic/164528.html), dass es für ein Abkommen mit der Ukraine reicht, wenn Timoschenko zur Behandlung nach Deutschland ausreisen darf. Dies hätte politische Aktivitäten Timoschenkos noch immer ausgeschlossen, weil sie ja dann nicht offiziell freigesprochen worden wäre.

    Das Signal aus Berlin hat im Sommer die Alarmglocken in Moskau schrillen lassen. Denn lange waren die Russen davon überzeugt, dass Deutschland eine Freilassung Timoschenkos als Bedingung für das Abkommen aufrecht erhalten würde, deshalb haben sie sich in Moskau bis dahin nicht groß um die Ukraine gesorgt.

    Das änderte sich im Sommer schlagartig, als absehbar wurde, dass die EU und Deutschland ernsthaft unterschreiben wollen und die Führung in Kiew ebenfalls in Richtung EU rückt. Die Ukraine hat nur gehofft, die EU würde sich das was kosten lassen. Bereits im Sommer war ja klar, dass die Ukraine kurz vor der Pleite steht. Ein IWF/EU-Paket hätte aber mit Sicherheit bedeutet, dass Janukowitsch die Wahlen 2015 verlieren würde (denn dafür hätte er die Gaspreise anheben müssen)…

    Jedenfalls hat Russland nach dem Signal Merkels im Sommer einen Handels- und Zollkrieg gegen die Ukraine begonnen. Janukowitsch hat zugleich noch bis in den Dezember hinein versucht, Hilfsgelder zu organisieren, die ihn nicht in die Hände Russland betrieben hätten, nachdem klar wurde, dass er nicht auf die EU zählen kann.

    Als Janukowitsch auch in Peking kein Geld bekommen hatte, sah er nur noch einen Ausweg: Ihm blieb nur noch Russland übrig, das ihm bedingungslos Hilfsgelder geben wollte. Wahrscheinlich aber gegen die Willen der Oligarchen im Osten der Ukraine, die Janukowitsch zuvor groß gemacht hatten, aber längst ihre Interessen in Richtung EU ausgerichtet haben. So begannen die Proteste auf dem Maidan, die irgendwann eskaliert sind.

    Die Frage ist, warum hat man in Brüssel und Berlin die Reaktion Russlands eigentlich unterschätzt? So naiv kann man doch eigentlich nicht gewesen sein. Hat man darauf gesetzt, dass die Oligarchen im Osten das schon regeln werden? Oder hat man Janukowitsch bewusst in die Hände Moskaus getrieben, um damit die Proteste auf dem Maidan zu provozieren?

    Bei allem bleibt dann auch die Frage, wer einen größeren Anteil an der Eskalation auf dem Maidan hatte: Berlin/Brüssel auf der einen Seite – mit Unterstützung Frankreichs und UK? Wohl eher nicht. Deutschland wollte mit Klitschko die Wahlen 2015 gewinnen und auch Russland wollte einen eigenen Kandidaten aufbauen, wäre Janukowitsch doch noch in Richtung Westen gerückt.

    Oder waren es die Polen und die Balten, die die Nato und die USA als Schutzmacht gegen Russland empfinden und sich gerne in die geopolitischen Strategien der Amerikaner einbinden lassen und dabei auch auf rechtsradikale Gruppen setzten?

    Entweder hat Merkel die Russen bis zuletzt unterschätzt und auch die Rolle der Amerikaner/Osteuropäer. Oder es gibt hier eine Arbeitsteilung: Good Cop Deutschland auf der einen Seite, Bad Cop Amerika auf der anderen. Ich glaube eher an die erste Variante, nachdem Deutschland im Euro-Raum durch regieren kann, wie es will, hat man sich in Berlin wohl einfach übernommen.

    Und jetzt will Merkel irgendwie die Kurve kriegen, sie muss aber weiterhin zwischen Amerika und Russland rum lavieren. Und das führt dann auch zu den (Nicht-)Reaktionen Steinmeiers, wie wir sie nach dem Scheitern des Pakts zwischen Janukowitsch und der Oppostion erleben.

  • Eric B.

    Man kann es auch böser formulieren. Timoschenko war Westerwelles Steckenpferd, Merkel geht es um Geschäfte. Die Ukraine ist ein äußerst interessanter Markt, und das Assoziierungsabkommen bedient vor allem westliche / deutsche Interessen…

  • Rob

    Danke für die Tiefe (auch und gerade historisch, gemeint sind die Ereignisse ab etwa Sommer 2013), die hier zum Thema zutage kommt, die obige Kommentaren eingeschlossen.
    Passende Ergänzung ist m.E. ein Interview auf tageschau.de mit einem Russlandexperte, der eine sehr differenzierte und plausible Sicht auf die Geschehnisse bietet.
    http://www.tagesschau.de/ausland/interview-krim100.html

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