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Die Verfassungsrichter blamieren sich bis auf die Knochen und damit alle Deutschen – Streit ums OMT-Programm (Teil VI)

Man kann die Bundesbank für vieles kritisieren – auch für ihre Haltung gegenüber potenziell unbegrenzten Anleihekäufen der EZB. Aber das, was das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum OMT-Programm von sich gegeben hat, das ist so hanebüchen, dass wir die Bundesbank unbedingt vor diesen Richtern in Schutz nehmen müssen. Die Begründung des Verfassungsgerichts kratzt so erheblich an der ökonomischen Reputation der Bundesbank und vor allem des Jens Weidmann, dass es fast schon weh tut.

Das Bundesverfassungsgericht hat also entschieden und versucht auch gleich noch dem EuGH mit auf dem Weg zu geben, wie der Gerichtshof in Luxemburg am besten zu entscheiden hat. Potenziell unbegrenzte Anleihekäufe der EZB in selektiv ausgewählten Euro-Staaten verstoßen nach Meinung der Mehrheit im Gericht gegen europäisches Recht: Die Notenbank bewege sich nicht im Einklang mit ihrem Mandat, schreiben die Richter. Zudem sei der Beschluss nicht mit dem Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung von Staaten vereinbar – also der Finanzierung über die elektronische Geldruckerpresse der Notenbanken.

Zentral in der Begründung des Gerichts heißt es, die europäischen Verträge beschränkten das Mandat der EZB auf die Währungspolitik: „[Die EZB] ist nicht zu einer eigenständigen Wirtschaftspolitik ermächtigt, sondern darauf beschränkt, die Wirtschaftspolitik in der Union zu unterstützen.“ Da der OMT-Beschluss nach Auffassung der Verfassungsrichter aber als eigenständige wirtschaftspolitische Maßnahme zu qualifizieren sei, verstößt der Beschluss  „offensichtlich“ gegen diese Kompetenzverteilung.

Wie die Richter eine wirtschaftspolitische „Maßnahme“ von einer währungspolitischen trennen und was daran nun „offensichtlich“ sein soll – dazu kommen wir gleich noch. Grundsätzlich gilt: „Soweit das Europäische System der Zentralbanken Finanzhilfen gewährt, betreibt es eine der Europäischen Union untersagte Wirtschaftspolitik.“ Doch diese Unterscheidung kann durchaus schwierig sein.

Michael Gerhardt – Bildquelle: BVerfG

So stimmte Richter Michael Gerhardt zusammen mit der Richterin Gertrude Lübbe-Wolff gegen die Entscheidung. In seiner abweichenden Erklärung greift Gerhardt die vage Formulierung des Richterspruchs an:

„Wie schwierig das Kriterium der Offensichtlichkeit zu handhaben ist, zeigt der Fall überdeutlich. Die Einschätzung des Senats, das OMT-Programm überschreite offensichtlich und strukturverschiebend die der Europäischen Zentralbank zugewiesenen Kompetenzen, kann mit guten Gründen bestritten werden. Währungs- und Wirtschaftspolitik sind aufeinander bezogen und können nicht strikt unterschieden werden.“

In bemerkenswerter Offenheit gibt Gerhardt zu, dass ihm das Verständnis dafür fehlt, ob es der EZB bei dem OMT-Programm tatsächlich um die Wiederherstellung des monetären Transmissionsmechanismus geht. Ob es der EZB also tatsächlich um Folgendes geht: Helfen die Anleihekäufe dabei, dass vor allem Zinserhöhungen und -senkungen bei Banken, anderen Unternehmen und den Privathaushalten im gesamten Euro-Raum ankommen? Gerhardt schreibt:

„Was die Ausgestaltung und erwartbaren Effekte von Ankäufen nach dem OMT-Programm anlangt, spricht zwar einiges dafür, dass sie aufgrund ihrer Selektivität eine unzulässige monetäre Staatsfinanzierung bewirken kann. Nicht zuletzt mangels ausreichenden Verständnisses der Einbettung des Programms in das Gesamthandeln der Europäischen Zentralbank – etwa in Bezug auf die Festsetzung des Leitzinses – erscheint mir indes das Vorbringen, es gehe in erster Linie um die Wiederherstellung des monetären Transmissionsmechanismus, nicht widerlegbar, jedenfalls nicht mit der zu fordernden Eindeutigkeit.“

Wenn wir uns allerdings die Begründung des Bundesverfassungsgerichts durchlesen, kommen wir vielleicht eher darauf, dass dieses „mangels ausreichenden Verständnisses“ vielleicht doch eher bei der Mehrheit des zweiten Senats im Bundesverfassungsgericht zu finden ist als bei Richter Gerhardt. Das Gericht führt vier Punkte an, warum der OMT-Beschluss nicht mehr als „währungspolitische Maßnahme“, sondern als eine „überwiegend wirtschaftspolitische Maßnahme“ zu bewerten sei:

1. seine unmittelbare Zielsetzung

2. seine Selektivität

3. die Parallelität mit Hilfsprogrammen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität beziehungsweise des Europäischen Stabilitätsmechanismus

4. das Risiko, deren Zielsetzung und Auflagen zu unterlaufen.

Die Punkte 3 und 4 sind in der Tat umstritten, sie besagen, dass mögliche Anleihekäufe immer mit einem EU-Rettungsprogramm verknüpft werden müssen. Damit rückt die EZB tatsächlich sehr nah an wirtschaftspolitische Aufgaben der Europäischen Union. Deshalb wäre dazu eine ausführliche Erklärung des Gerichts schön gewesen. Ein Erklärung, die auch auf die Bedenken von Richter Gerhardt eingeht, dass eine strikte Trennung von Währungspolitik und Wirtschaftspolitik nicht immer möglich sei. Das Gericht aber geht darauf leider gar nicht weiter ein. Es erkennt darin nur weitere Anhaltspunkte dafür, dass die EZB unerlaubterweise Wirtschaftspolitik betreibt.

Gleichwohl geht es hier noch nicht um die Hauptziele der Anleihekäufe, denn die Auflagen und die Konditionalität sollen das Programm nur begleiten. Also schauen wir uns an, was die Richter zur Zielsetzung des Programms zu sagen haben, was in ihrem Verständnis diese Anleihekäufe bezwecken sollen. (Die selektive Auswahl von Staaten – also Punkt 2 – lässt sich dann aus den Zielen des OMT-Programms ableiten. Darauf bin ich bereits im ersten Teil zur OMT-Serie hier im Blog eingegangen, im nächsten und abschließenden Serienteil wird es noch um die Risiken der selektiven Auswahl von Staaten gehen.)

Bleiben wir zunächst also bei Zielsetzung der Anleihekäufe und hier wird es schon einmal sehr interessant. Die Richter schreiben:

„Mit dem OMT-Beschluss sollen Zinsaufschläge auf Staatsanleihen einzelner Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes neutralisiert werden, die sich an den Märkten herausgebildet haben und die die Refinanzierung dieser Mitgliedstaaten belasten (so EZB, Monatsbericht September 2012, S.7; EZB, Monatsbericht Oktober 2012, S. 7 f.).“

So absolut gilt dieser Satz natürlich nicht, er steht auch nicht in den zitierten Stellen der EZB Monatsberichte. Denn die EZB will die Zinsaufschläge nicht komplett neutralisieren. Immerhin erkennt das Gericht dies auch an:

„Nach Auffassung der Europäischen Zentralbank beruhen diese Zinsaufschläge teilweise auf einer – als irrational bezeichneten – Furcht der Anleger vor einer Reversibilität des Euro.“

Es gibt, so denke ich, einen Konsens unter Ökonomen: Sollte ein Mitgliedsland aus dem Euro-Raum austreten, würde eine enorme Verunsicherung aufkommen über die weitere Zukunft dieser Volkswirtschaft. Eine vorübergehende schwere Stockung der wirtschaftlichen Abläufe ist nicht auszuschließen. Fraglich ist zudem, ob und wie das Land seine alten Euro-Schulden begleichen kann. Allein in der Vorwegnahme eines solchen (auch ungewollten) Szenarios eines Euro-Austritts, können verunsicherte Anleger daher Anleihen und andere Wertpapiere eines Landes verkaufen, neue Käufer finden sich nur noch zu sehr hohen Zinsen (und damit zu einem rapide steigenden Zinsaufschlag im Vergleich zu deutschen Bundesanleihen).

Dabei müssen am Anfang überhaupt keine neuen Zweifel an der Kreditwürdigkeit eines Staates aufgekommen sein. Angesteckt von Entwicklungen in Nachbarländern kann eine Volkswirtschaft urplötzlich in den Sog einer Krise geraten. Und dann kann sich die Dynamik an den Märkten soweit verselbständigen, dass daraus eine (absolut irrationale) Panik erwächst. Diese Panik kann zugleich aber auf subjektiv-rationalen Einschätzungen der Marktteilnehmer beruhen – nach dem Moto: Wer als erster das sinkende Schiff verlässt, bleibt am Ende auf den geringsten Verlusten sitzen.

Genau das meint die EZB mit der irrationalen Furcht der Anleger vor einer Reversibilität oder auch Umkehrbarkeit des Euro, die sie bis in den Sommer 2012 hinein beobachtet hat. Kapitalflucht und Zinsanstieg finden aber in der Währungsunion oft kein Ende, solange kein glaubwürdiger Akteur die Verunsicherung der Marktteilnehmer zerstreut. Denn keine nationale Notenbank kann – wie zuletzt in vielen Schwellenländern gesehen – am Devisenmarkt eingreifen oder auf anderem Weg versuchen, den Kapitalabfluss zu stoppen. Deshalb sah sich die EZB als einzig glaubwürdiger Akteur des Euro-Raums im Sommer 2012 zur Ankündigung des OMT-Programms gezwungen. Sie sah die Gefahr, dass diese Panikattacken der Anleger, den Währungsraum auseinanderreißen – obwohl kein einziges Land aus dem Euro austreten wollte.

Nachdem alle erdenklichen Rettungsschirme der EU mit ihren hunderten Milliarden an Bürgschaften und Kapitaleinzahlungen, die Panikattacken an den Märkten nicht unterbunden hatten, konnte die EZB nur noch mit dem OMT-Beschluss die Anleger beruhigen (wie sich zeigte: erfolgreich). Sie sah sich gezwungen, potenziell unbegrenzte Stützungskäufe am Anleihemarkt anzukündigen, was dann auch die Panik langsam schwinden ließ. Ein Verfassungsgericht, das hier eine „überwiegend wirtschaftspolitische“ (und keine währungspolitische) Maßnahme entdecken will, muss das schon sehr gut begründen. Denn ganz so eindeutig und klar ist das auf den ersten Blick keinesfalls.

Zum Beispiel könnten das Gericht uns erklären, wie stark und ob überhaupt diese irrationale Furcht vor der Umkehrbarkeit des Euro sich in Zinsaufschlägen einzelner Länder wiederfinden. Und hier kommt das Gericht in seiner Entscheidung zu einem bemerkenswerten Urteil (meine Hervorhebung):

„Nach der überzeugenden Expertise der Bundesbank spiegeln solche Zinsaufschläge allerdings nur die Skepsis der Marktteilnehmer wider, dass einzelne Mitgliedstaaten eine hinreichende Haushaltsdisziplin einhalten können, um dauerhaft zahlungsfähig zu bleiben.“

Die Richter wagen sich hier sehr weit hinaus auf das finanzmarktökonomische Glatteis. Denn in der Realität der Finanzmärkte spiegeln Zinsaufschläge sogar sehr viel mehr Einflüsse wider: Zum Beispiel wie leicht sich ein Wertpapier am Markt kaufen und verkaufen lässt (also wie liquide die Märkte sind) oder auch die „Wachstums- und Inflationserwartungen der Marktteilnehmer“, wie die Bundesbank (!) zuletzt ausführlich in ihrem Monatsbericht vom Juli 2013 schreibt.

Doch wo das Gericht die „überzeugende Expertise“ der Bundesbank gefunden hat, bleibt ihr größtes Geheimnis. In dem 29-seitigen Gutachten des Bundesbankchefs Jens Weidemann vom Dezember 2012 und im Redetext seiner Stellungnahme bei der mündlichen Anhörung vom Juni 2013 steht kein Wort davon, dass die Zinsaufschläge „nur“ die Skepsis der Marktteilnehmer mit Blick auf die Zahlungsfähigkeit einzelner Staaten widerspiegelt. Ganz im Gegenteil: Weidmann räumt sogar ein, dass ein Teil der Zinsaufschläge auf der Furcht der Anleger vor einer Umkehrbarkeit des Euro beruhen. Bei seiner mündlichen Anhörung im Juni 2013 sagte er in seinem Eingangsstatement (meine Hervorhebung):

„Die Antwort auf die Frage, ob Anleger den Risikogehalt der Anleihen bestimmter Mitgliedstaaten zutreffend bewerten, ist in hohem Maße subjektiv. Sie basiert auch auf vorhandenen Daten, hängt aber ebenso maßgeblich von der Beurteilung künftiger politischer Entwicklungen in einem Land ab. Entscheidende Fragen sind hierbei: Werden die für den Schuldendienst notwendigen Mittel am Ende als Ergebnis eines politischen Entscheidungsprozesses tatsächlich aufgebracht? Werden die Anforderungen eines Hilfsprogramms erfüllt? Oder wird im Extremfall an den Finanzmärkten sogar das Risiko gesehen, ein Mitgliedsland treffe die souveräne Entscheidung, nicht in der Währungsunion zu verbleiben?“

Weidmann geht zwar in seiner mündlichen Stellungnahme nicht ausführlich darauf ein, dass ein Staat auch aus irrationalen Übertreibungen an den Staatsanleihemärkten sich gezwungen sehen könnte, den Euro zu verlassen. In seinem 29-seitigen Gutachten vom Dezember 2012 erwähnt er es jedoch. Was Weidmann allerdings von der Mehrheit im EZB-Rat unterscheidet, das ist die Ansicht, dass man dagegen nicht unternehmen sollte. Doch statt sich mit den Argumenten Weidmanns (über die man streiten kann und die den eigentlichen Kern der Debatte um das OMT-Programm ausmachen) auseinander zusetzen, behauptet das Bundesverfassungsgericht einfach, es gäbe diese Übertreibungen gar nicht – und das entgegen der „überzeugenden Expertise“ der Bundesbank! Unfassbar!

Mehr noch: Das Bundesverfassungsgericht legt sogar nah, die Bundesbank würde das Wesen von Zinsaufschlägen nicht verstehen – wahrscheinlich deshalb, weil es sie selber nicht versteht. Und das geht einfach zu weit. Die Bundesbanker werden hier als dumme Schuljungen und -mädchen dargestellt, die keine Ahnung von den Finanzmärkten haben. Und das ist ein Skandal! Das Bundesverfassungsgericht müsste sich dafür eigentlich bei der Bundesbank entschuldigen!

Das Bundesverfassungsgericht hat selbst nach einem Jahr Beratung die Zielsetzung des OMT-Programms einfach noch nicht verstanden. Wenn die Richter Zinsaufschläge allein aus der Skepsis der Marktteilnehmer mit Blick auf die Zahlungsfähigkeit von einzelnen Staaten (auf sehr fragwürdige Weise) definieren, dann muss natürlich vieles was von Seiten der EU und EZB diese Zinsaufschläge beeinflusst als monetäre Staatsfinanzierung und wirtschaftpolitische Maßnahme gelten. Die Entscheidung des Gerichts nimmt somit aber die Züge eines peinlichen Zirkelschlusses an.

Dieser gravierende Trugschluss vernebelt somit auch den Blick darauf, was die Bundesbank tatsächlich sagt. Weidmann schreibt in seiner Stellungnahme, dass man die mehr oder weniger irrational und rational zustande gekommenen Bestandteile eines Zinsaufschlages (im richtigen Sinne der Bundesbank definiert) nie objektiv messen kann. Und da hat die Bundesbank natürlich zweifelsfrei recht. Im Dezember 2012 schreibt Weidmann (Seite 6 des Gutachtens der Bundesbank):

„Jedoch lassen sich die in jüngster Zeit zu beobachtenden Entwicklungen auf dem Markt für Staatsanleihen nicht zweifelsfrei als Begründung für eine Störung der geldpolitischen Transmission heranziehen, weil sich nicht feststellen lässt, ob eine „Störung“ bei der Renditeentwicklung für Staatsanleihen auf fundamental gerechtfertigte Ursachen zurückgeht oder ob etwaige Übertreibungen, Irrationalitäten oder andere Formen von Ineffizienzen vorliegen. Dies würde den Nachweis sowohl fehlerhafter Marktbewertungen staatlicher Anleihen einzelner Mitgliedstaaten als auch Übertragungen dieser Fehlbewertung auf die Finanzierungsbedingungen des Privatsektors erfordern. Um so eine Fehlbewertung festzustellen, kann zwar auch auf beobachtbare Fundamentaldaten, wie beispielsweise staatliche oder gesamtwirtschaftliche Schulden- oder Defizitquoten zurückgegriffen werden. Bereits diesbezüglich können aber je nach Modellausgestattung sehr unterschiedliche Ergebnisse ermittelt werden.“

Hier stellt sich allerdings die Frage, ob das Bundesverfassungsgericht darüber zu entscheiden hat, wie zuverlässig und über jeden Zweifel erhaben die Analysen der EZB sind, mit denen sie ihre Entscheidungen begründet. Da kann Herr Weidmann, als ein Mitglied im EZB-Rat natürlich seine Zweifel haben. Aber wer sagt uns denn, dass sich hier das Bundesverfassungsgericht einmischen sollte, wenn das Gericht schon die Möglichkeit verneint, dass „etwaige Übertreibungen, Irrationalitäten“ (O-Ton Weidmann) auftreten können und sich damit ein ökonomisches Armutszeugnis sondergleichen ausstellt. Und wir wissen alle, dass keine einzige Entscheidung einer Notenbank über Zweifel erhaben ist.

Paul De Grauwe – Bildquelle: CEPS

Vielleicht hätte es gereicht, wenn sich die Verfassungsrichter die Untersuchungen von Paul de Grauwe, dem belgischen Ökonom, angeschaut hätten (zum Beispiel bereits aus Januar 2012, dem Juni 2012 oder vom Februar 2013.) Dann hätten sie zumindest geahnt, dass man durchaus plausibel unterscheiden kann, ob Risikoaufschläge nur die Skepsis der Marktteilnehmer widerspiegeln, dass einzelne Mitgliedstaaten dauerhaft zahlungsfähig bleiben. Oder ob nicht vielleicht doch ein Teil der Zinsaufschläge mit Panik und Überreibungen zu tun hat. Bei aller grundsätzlichen Kritik der Bundesbank an solchen Analysen, wäre die Mehrheit der Richter vielleicht darauf gekommen, dass es immer wieder eine erdrückende „Offensichtlichkeit“ für Übertreibungen zu erkennen gab.

Der folgende Satz der Richter wirkt dabei nur noch unfreiwillig komisch. Nachdem sie also sagen, die Zinsaufschläge würden allein die Skepsis der Marktteilnehmer mit Blick auf die Zahlungsfähigkeit eines Staates ausdrücken, schreiben sie:

„Jedenfalls lassen sich nach den Ausführungen der Bundesbank Zinsaufschläge in der Praxis nicht in einen rationalen und einen irrationalen Teil trennen (vgl. auch Jahresgutachten 2013/2014 des Sachverständigenrates, Rn. 200, zur Bedeutung fundamentaler Faktoren für die Renditedifferenzen auf Staatsanleihen).“

Natürlich, liebe Richter, lässt sich das in der Praxis nicht trennen. In der Praxis steht da nämlich am Ende eines jeden Handelstages eine Zahl: die Rendite für eine konkrete Anleihe. Dieser Rendite sieht man natürlich nicht auf den ersten Blick an, was an ihr rationale Skepsis der Marktteilnehmer ausdrückt und was irrationale Übertreibung sein kann. Auch wenn von zehn Ökonomen oder Analysten jeder zu einem unterschiedlichen Ergebnis kommt, dann heißt das aber immernoch, dass die Rendite eine irrationale Komponente haben kann, die eben nicht mit der Bonitätseinschätzung eines Staates durch die Marktteilnehmer zu tun hat. Wie gesagt, das würde nicht einmal die Bundesbank verneinen. Und auch die Bundesbank untersucht laufend anhand ihrer Modelle die Zusammensetzung von Renditen, wie zuletzt ausführlich im Bundesbank-Monatsbericht vom Juli 2013 geschehen.

Da das Bundesverfassungsgericht aber das Wesen der Zinsaufschläge nicht begreift, kann es gar nicht bewerten, ob es sich bei den angekündigten Anleihekäufen um Währungspolitik oder überwiegend um Wirtschaftspolitik handelt. Dabei gäbe es, wie bereits erwähnt, tatsächlich Überschneidungen sowie Risiken, dass das OMT tatsächlich monetäre Staatsfinanzierung bewirken könnte. Hätte das Gericht aber den Charakter der Anleihekäufe überhaupt erst einmal begriffen, hätte es zum Beispiel den Gesetzgeber auch anhalten können, bessere Vorkehrungen zu treffen, um in einem gewissen Graubereich währungspolitische Ziele besser von wirtschaftspolitischen Zielen abzugrenzen oder besser einer (möglichen) monetären Staatsfinanzierung vorzubeugen.

Das Fehlurteil der Richter verbaut leider diese Möglichkeit. Am Ende schämt man sich ein bisschen für dieses deutsche Verfassungsgericht. Gut, dass jetzt der Europäische Gerichtshof in Luxemburg entscheiden wird. Die Vorlage der überforderten Karlsruher Richter wird ihnen dabei leider gar nicht helfen. Am besten wäre es, das Bundesverfassungsgericht äußert sich einfach nie wieder zu diesem Thema!

Teil I – Ein starkes Pro-Argument von Lorenzo Bini Smaghi
Teil II – Was kritisieren denn eigentlich die Deutschen?
Teil III – Planungsphantasien wie aus dem Politbüro
Teil IV – „Nur nach Hause, nur nach Hause, nur nach Hause gehn wir nicht“
Teil V – Bockenheimer Ampelmännchen springen im Quadrat
Teil VI – Die Verfassungsrichter blamieren sich bis auf die Knochen
Teil VII (Schluss) –
Ein salomonisches Urteil muss her: Mehr Demokratie in der Rettungspolitik!

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