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Und monatlich grüßt die Fata Morgana des deutschen Einzelhandels

Mitte der Woche gab es einiges zu grübeln. Am Dienstag erzählt uns das GfK etwas von einem Sommerhoch in Deutschland, die Kauflaune der Privathaushalte habe sich schön verbessert, hieß es. Und einen Tag später meldet Destatis, dass die Einzelhändler im Juni weniger verkauft haben als im Mai: um 1,5 Prozent sollen die Umsätze gesunken sein. Das wäre für einen Monat schon gewaltig – in etwa so, als ob im Gesamtjahr die Verkäufe um 16 Prozent gesunken wären.

In eher kritischen Ecken des Internets wird hinter dieser Diskrepanz gerne etwas Schlimmes vermutet. Irgendwas mit diesem GfK-Indikator könne da wohl nicht stimmen. Die amtlichen Statistiker würden doch jeden Monat klar beweisen, wie schlecht es den deutschen Haushalten geht und wie wenig sie einkaufen.

Nur die Nürnberger Konsumforscher hätten das noch nicht so richtig kapiert. Monatlich grüßt das Murmeltier, heißt es dann auch gern. (Oftmals folgt dem noch Kritik an den Medienmeldungen, die das GfK-Konsumklima übertrieben hochjubeln würden. Diese Kritik ist allerdings mehr als berechtigt – wie ich als Mitglied der Schreiberlingzunft zugeben muss.)

Die unzuverlässigste Statistik in Deutschland

Klar, eignet sich das GfK-Konsumklima sich nicht gerade, die Stimmung im Volk zuverlässig zu messen. Auch wenn es schon mal in der Tendenz richtig liegen kann. Das zweite Problem ist nur: Auch die monatlichen Einzelhandelszahlen sagen uns gar nichts – zumindest wenn sie das erste Mal veröffentlicht werden. In ihnen steckt keine nützliche Information, wie wir gleich noch sehen werden.

Denn es handelt sich hier um die unzuverlässigste Statistik, die wir in Deutschland aktuell haben. Die Kritik, die sich jeden Monat aufkommt, wirkt deswegen leider wie ein Kampf gegen Windmühlen. Es ist vergebene Mühe, sich jeden Monat mit der Fata Morgana des deutschen Einzelhandels auseinandersetzen. Die Zeit und Energie sollte lieber für andere interessante und kluge Analysen genutzt werden.

Schauen wir zunächst, was Destatis selber zur Qualität seiner Zahlen schreibt, die die Statistikern gern als „vorläufige“ bezeichnen:

„Verspätete Mitteilungen der befragten Unternehmen erfordern Aktualisierungen der ersten nachgewiesenen Ergebnisse. Aufgrund der Aktualisierungen wichen die Veränderungsraten des monatlichen nominalen Einzelhandelsumsatzes in den letzten zwölf Monaten im Intervall (– 0,7/+ 1,0 Prozentpunkte) vom Wert der jeweiligen Pressemitteilung ab.“

Das ist kein schönes Einständnis der Statistiker – wenngleich sie vermutlich am wenigsten dafür verantwortlich gemacht werden können. Oder aber es fehlt das Geld, um ausgefeiltere Schätzmethoden zu entwickeln.

Doch nicht einmal die Richtung stimmt

Real, also nach Abzug der Inflationsrate, sieht es sogar noch schlimmer aus: Da lag die Spanne zwischen -1,5 und 2,1 Prozentpunkten in den zwölf Monaten bis Mai 2013. Die Bundesbank scheut sich sogar, die Erstveröffentlichung als „Vorläufiger Wert“ zu bezeichnen. Sie schreibt dagegen lieber gleich „Geschätzter Wert“ dazu – bis jeweils rund zwei Wochen nach der ersten Veröffentlichung die erste Datenrevision erscheint.

Zu Recht, denn nicht einmal die Richtung der Veränderung geben ersten Meldungen richtig wieder. Da kann aus einem Minus schon einmal ein Plus werden und umgekehrt. Bevor wir uns jetzt gleich noch fragen, wie zuverlässig dann wohl zum Beispiel die Zahlen aus China sind, bleiben wir doch lieber in Deutschland und schauen, wie oft sich das Vorzeichen seit Ende 2008* nach verschiedenen Korrekturen geändert hat:

130801 DE EH ABWEICHUNGEin weiterer Mythos besagt, dass die Statistiker die Zahlen regelmäßig zu groß schätzen, wenn sie das erste Mal ihre Daten vorlegen. Und auch diese Legende stimmt nicht, was allein schon ein Blick auf die vorhergehende Grafik zeigt. Die meisten Korrekturen bringen ein Mehr an Umsatz – nicht ein Weniger. Nehmen wir die monatlichen Veränderungen – vor und nach diversen Nachmeldungen – dann zeigt sich auch so klar: Die Statistiker unterschätzen eher die Umsätze als dass sie die überschätzen. Hier fortgeschrieben mit dem im Oktober 2008 als Ausgangspunkt, der auf 100 normiert wurde:

130801 DE EH INDIZESWer also nicht als Don Quijote oder einsamer Wüstenstürmer dastehen möchte, sollte einmal das GfK-Konsumklima ignorieren und dann auch gleich noch die monatlichen Erstveröffentlichungen aus dem Einzelhandel. Das gilt besonders für alle Journalistenkollegen. Denn über die korrigierten und somit etwas realistischeren Zahlen schreibt leider keiner von uns.

Und selbst die revidierten Zahlen sagen uns auch noch sehr wenig über den tatsächlichen Konsum der Deutschen. So zeigt sich nämlich, dass der Einzelhandel 2008 und 2009 nur für ein Drittel der gesamten Konsumausgaben der Deutschen stand. (Zum einen werden hier die Autoverkäufe nicht mitgezählt und zum anderen dürften auch die Verkäufe im Internet fehlen – da bin ich mir aber nicht so sicher.)

Wollen wir also wissen, wie viel die Haushalte tatsächlich ausgeben, müssen wir schon auf die Daten zum Bruttoinlandsprodukt warten – und die werden nur alle drei Monate veröffentlicht. Oder wir müssen noch tiefer in die Destatis-Datenbanken einsteigen – aber selbst dafür müssen wir auch erst ein paar Korrekturen der Statistiken abwarten.

Klar ist auch: Von einem Boom ist der deutsche Einzelhandel noch immer meilenweit entfernt. Soweit stimmt natürlich alles, was über diese Zahlen kritisch angemerkt wird.

* Die Auswertung beginnt im November 2008, weil die Pressemitteilungen auf der Homepage von Destatis nur so weit zurückreichen.

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  • Querschuss

    Hallo Herr Kühnlenz,
    ihren Artikel kann ich nur bedingt nachvollziehen. Erstens werden in den Medien vor allem Jubel-Artikel zum Gfk Konsumklima veröffentlicht, wenige zu den Einzelhandelsumsätzen, zweitens auch wenn die Erstveröffentlichung oft deutlichen Revisionen unterliegt, wo ist das Problem, in der Datenbank werden auch die Revisionen regelmäßig berücksichtigt und trotzdem zeigt die lange Datenreihe real seit über 20 Jahren Stagnation, was im Übrigen konform geht mit der langen Datenreihe zum Reallohnindex, denn die Reallöhne dümpeln ebenfalls auf einem Niveau wie vor 20 Jahren.
    Selbstverständlich ist gemäß der Systematik der Wirtschaftszweige auch der Versand- und Internethandel (WZ08-4791) in den Einzelhandelsindizes enthalten. Findet sich alles in der Datenbank bei Destatis, hier die isolierte Datenreihe nur für den Versand- und Internethandel:

    https://www-genesis.destatis.de/genesis/online/data;jsessionid=22002A02FF6FDF4500E11B5100A9AAB3.tomcat_GO_1_1?operation=abruftabelleBearbeiten&levelindex=2&levelid=1375453156627&auswahloperation=abruftabelleAuspraegungAuswaehlen&auswahlverzeichnis=ordnungsstruktur&auswahlziel=werteabruf&selectionname=45212-0005&auswahltext=%23SWZ08E7-WZ08-4791%23Z-01.01.2013%2C01.01.2012%2C01.01.2011%2C01.01.2010%2C01.01.2009%2C01.01.2008%2C01.01.2007%2C01.01.2006%2C01.01.2005%2C01.01.2004%2C01.01.2003%2C01.01.2002%2C01.01.2001%2C01.01.2000%2C01.01.1999%2C01.01.1998%2C01.01.1997%2C01.01.1996%2C01.01.1995%2C01.01.1994&werteabruf=Werteabruf

    Wenn Deutschland eine ordentliche Binnennachfrage, Konsum und Investitionen hätte, dann wären der Handelsbilanzüberschuss respektive der Leistungsbilanzüberschuss nicht so hoch, ergo schlappe reale Lohnsteigerungen und träge reale Einzelhandelsumsätze sind schlüssig, da Bestandteil des einseitig exportorientierten deutschen Geschäftsmodells.
    Also kann man nur zurückgeben: „Die Zeit und Energie sollte lieber für andere interessante und kluge Analysen genutzt werden“, als die Zeit mit dem Suchen alter Presseerklärungen bis November 2008 zu vertrödeln, denn dies ist ziemlich irrelevant, da die Datenbank seitdem X-Mal mit revidierten Daten gefüttert wurde, was der grundlegenden Einschätzung schwacher realer Umsätze in Deutschland keinen Abbruch tat.
    Gruß Steffen

  • André Kühnlenz

    @Steffen

    Erst einmal vielen Dank für den Hinweis mit dem Internet- und Versandhandel.

    Das Problem an den Erstveröffentlichungen ist aus meiner Sicht, dass sie keine Aussagekraft haben. Deswegen sollte man sie auch nicht benutzen, um zum Beispiel das GfK-Konsumklima zu entkräften: Man kann einem Gagaindikator nicht einen anderen Gagaindikator entgegenhalten. Das machen aber einige, die sonst recht kluge und interessante Analysen schreiben. Und da mir das immer wieder auffällt, wollte ich darauf einmal hinweisen. Wenn man sich schon mit den Einzelhandelszahlen beschäftigt, sollte man doch ruhig die zwei Wochen mindestens abwarten bis die Daten zum ersten Mal revidiert werden. Das ist mein Punkt.

    Zum letzten Punkt sind in diesem Blog wohl genug Artikel erschienen, die komplett mit dem übereinstimmen, was Du/Sie schreibst/en. Darauf ist dann auch deutlich mehr Zeit draufgegangen. Und das steht sogar hier im Beitrag. :) Keine Sorge, ich werde das jetzt nicht Monat wiederholen mit den Pressemitteilungen… Eine andere Motivation, die alten Pressemitteilungen rauszusuchen, war auch: Ich wollte nachschauen, ob sich die Qualität der Erstveröffentlichungen mittlerweile verbessert hat. Ob man die Zahlen vielleicht doch nutzen kann, um abzuschätzen wie sich der Konsum entwickelt haben könnte. Und ich denke, wir alle sollten sie nicht nutzen bis Destatis die Qualität der Daten deutlich verbessert hat.

  • Querschuss

    die unscharfe Erstveröffentlichung, ändert nicht an der Aussagekraft der langen Datenreihe, so ist dies eben mit Stichprobenstatistiken, wo immer noch Ergebnisse nachtrudeln und zu Revisionen führen. Aber ok., jedem seine Sicht.

    Ich schaue immer gerne hier vorbei :)

    Gruß Steffen

  • André Kühnlenz

    Absolut. Du analysierst ja auch die langen Zeitreihen in Deinem Beitrag sehr ausführlich und gut. So ist das auch richtig. Nur auf kurze Sicht muss man halt aufpassen…

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