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Die dreiste Hobbyökonomin

Irgendwie ist das ja ganz witzig – die Vorstellung, wie sich unsere Kanzlerin auf dem Sparkassentag auf die Bühne stellt und bei einem dialektischen Kurzvortrag mal eben die Interessenkonflikte in der aktuellen Euro-Geldpolitik erklärt. Und im Publikum mit Mario Draghi der in Europa dafür zuständige Fachmann andächtig lauscht. In Wahrheit ist dieser Vorstoß aber unverfroren. Und die Aussagen von Merkel in Dresden noch nicht einmal richtig.

Die EZB „müsste für Deutschland im Augenblick die Zinsen im Grunde wahrscheinlich etwas erhöhen“, wird sie in verschiedenen Medien zitiert (etwa hier). Gleichzeitig, so Merkel demnach, müsse die EZB für andere Länder aber eigentlich noch mehr tun, dass noch mehr Liquidität zur Verfügung gestellt werde und dass diese vor allem für die Unternehmensfinanzierung ankomme.

Wie kommt Merkel auf die Idee zu behaupten, dass Deutschland höhere Zinsen brauchen könnte? Jetzt mal abgesehen davon, dass sich die im Saal sitzende 2600-köpfige Sparkassentruppe eine solche Zinswende von der EZB sehnlich wünscht.

Deutschlands Wirtschaft ist keine Insel der Glückseligen. Daimler hat eben eine Gewinnwarnung rausgegeben, VW kämpft ebenfalls mit sinkenden Erträgen. Das Ifo-Geschäftsklima ist zum zweiten Mal hintereinander gesunken, die Kapazitätsauslastung nach einem Mini-Anstieg wieder rückläufig; lässt man mal den heftigen Einbruch 2009 und die anschließende Erholung weg, steht die Auslastung im verarbeitenden Gewerbe aktuell mit 82 Prozent auf dem niedrigsten Stand seit 2003.

Und die Wirtschaftsleistung insgesamt dürfte in den ersten drei Monaten 2013 – nach dem riesigen Minus Ende 2012 – nur minimal gewachsen sein. Auch für die kommenden Monate werden allenfalls kleine Zuwächse erwartet. Ich kenne keine ernstzunehmende Vorhersage, die auf mittlere Sicht Preissteigerungen von mehr als zwei Prozent veranschlagt. Im Gegenteil: Der Internationale Währungsfonds rechnet in seiner Frühjahrsprognose für Deutschland selbst 2014 nur mit um 1,7 Prozent steigenden Lebenshaltungskosten.

Und was könnte die EZB nach Ansicht von Merkel für andere Länder eigentlich „mehr tun“? Mehr Anleihen kaufen, um die Refinanzierung von Unternehmen in Südeuropa zu erleichtern? Von deutscher Seite wird das seit jeher öffentlich geächtet. Dabei ist Merkel insgeheim – nach allem, was man so hört – ganz froh über die im vergangenen Sommer abgegebene Euro-Garantie der EZB. Denn erst dieses Mittel hatte für eine mehrmonatige Ruhe und so etwas wie Rückkehr zur Normalität in Brüssel gesorgt – nachdem alle deutschen Mittelchen nicht gewirkt hatten. Bis dann wieder einmal ein deutscher Vorstoß die Krise eskalieren ließ: Die geplante Beteiligung von Kleinstsparern an der Zypern-„Rettung“ wurde wohl vor allem vom Bundesfinanzministerium unterstützt.

Da wundert es nicht, dass Merkels Vortrag in Dresden den Anwesenden wie Hohn erscheinen musste. „Merkel bemitleidet Draghi“ – die Zeile im Text bei sz-online kommt nicht von ungefähr. Und klar ist Draghi zu bemitleiden: Weil er in der Euro-Krise laufend den Müll aufkehren muss, den die Bundesregierung fabriziert.

So schallt denn auch der Kanzlerin Mitgefühl für Draghi wie eine Ohrfeige: Die EZB befinde sich in einer „ganz schwierigen Situation.“ Na klar! Weil Europas Volkswirtschaften sich heute ungleichmäßiger entwickeln als je zuvor in der Geschichte des Euro. Und dabei war doch immer schon klar: In einem gemeinsamen Währungsraum gibst du deine eigene Geldpolitik an der Garderobe ab und musst zusehen, dass du mit deinen Partnern gleichmäßig wächst. Sonst läuft das nämlich nicht, mit nur einem Zinssatz für alle.

Tatsächlich schien der Bundesregierung das aber ziemlich egal, als sie ab Frühjahr 2010 jede Finanzhilfe für Griechenland und Co. an Sparmaßnahmen knüpfte, die im historischen Vergleich in einem solchen Umfang von noch keiner Ökonomie weltweit gestemmt werden konnten. Es ist ja nicht so, dass niemand gewarnt hätte.

Bloß hörte die Kanzlerin auf jene Berater, die angesichts steigender Schuldenstände auf wissenschaftliche Arbeiten setzten, die eindringlich vor hohen staatlichen Verbindlichkeiten warnten und heute teils diskreditiert sind (Rogoff). Und Merkel hoffte auf die Forschungsergebnisse von Alesina, dass sich mit einem klaren Konsolidierungsplan schon bald nicht-keynesianische Effekte entfalteten – also dass das Vertrauen der Wirtschaftakteure dank Sparpaket (trotz Rezession) steige und Investitionen und Konsum zulegten. Davon ist jedoch Jahre nach dem Beginn der Konsolidierungsprogramme nichts zu sehen. Selbst in Irland, der vermeintlichen Spar-Erfolgsstory, liegen Investitionen und privater Verbrauch noch immer am Boden (siehe hier).

Eigentlich hätte Merkel sich gestern hinstellen müssen und als Hobbyökonomin frei aussprechen müssen: „Wir haben an Rogoff geglaubt und wir haben an Alesina geglaubt – und beide lagen falsch. Wir lagen falsch. Und dass die Euro-Krise im vergangenen Sommer nicht eskaliert ist und wir überhaupt noch eine gemeinsame Währung und einen gemeinsamen Zins haben, haben wir Mario Draghi zu verdanken. Und ich bin froh, dass ich ihn an meiner Seite weiß – denn ansonsten wäre ich ziemlich verloren. Weil von VWL habe ich nämlich keine Ahnung.“

Mathias Ohanian auf Twitter: @mathiasohanian

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