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Euro-Zone erzielt Handelsrekord dank deutscher Exportexzesse

An deutschen Stammtischen (und unter einigen orthodoxen Ökonomen) gehört es ja zum guten Ton, unseren südeuropäischen Nachbarn mangelnden Reformwillen zu attestieren. Die FTD hat immer gegen ungerechtfertigte Ressentiments angeschrieben. Und mit neuen Daten von Eurostat wird einmal mehr deutlich, welcher Radikalkur sich die Volkswirtschaften Südeuropas unterziehen.

Die damit einhergehenden menschlichen Opfer (Agenda 2010 und Hartz IV scheinen ein schlechter Witz gegen die Verarmung großer Bevölkerungsschichten in Griechenland, Spanien, Portugal und Italien; von der grassierenden Perspektivlosigkeit unter den Jungen ganz zu schweigen) soll dieser Text nicht behandeln. Vielmehr wird aber immer klarer: Die Umwälzungen in Südeuropa sind entscheidend mitverantwortlich, dass die Euro-Zone strukturell wieder obenauf ist – als ganzes erwirtschaftete der Währungsraum im Februar den höchsten Handelsüberschuss jemals, wie Eurostat nun meldete.

Dank des Plus von knapp 12 Mrd. Euro rechnen die Ökonomen des Londoner Researchhauses Capital Economics, dass der Überschuss in der Handelsbilanz im ersten Quartal bei rund 1,2 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung notieren dürfte – ebenfalls Rekord. Noch vor einem Jahr lag dieser Wert nur bei rund 0,4 Prozent.

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Und die heute von Eurostat veröffentlichten Zahlen zu den Leistungsbilanzen (also dem Verkehr von Waren- und Dienstleistungen) fürs vierte Quartal stützen in beeindruckender Weise diesen Trend: Sowohl Spanien als auch Italien erzielten Ende 2012 einen leichten, jedoch ebenfalls rekordverdächtigen Überschuss (siehe Grafik).

Das heißt: Per Saldo müssen sich diese Länder also nicht mehr verschulden, um ihre Ausgaben für Konsum und Investitionen zu finanzieren. Eigentlich müsste man meinen, dass damit auch die dramatischen deutschen Überschüsse zurückgehen – verkaufte Deutschland doch vor der Krise vor allem nach Südeuropa.

Doch Fehlanzeige: Die Schieflage der hiesigen Wirtschaft ist heute mindestens ebenso hoch wie vor der Finanzkrise, wie die heutigen Eurostat-Daten zeigen. Ende 2012 lag der Überschuss mit knapp 54 Mio. Euro auf dem Niveau des absoluten Rekordwerts von Ende 2007.

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Und zieht man die saisonbereinigten Daten der Bundesbank heran, wird klar: Bereits im Herbst vergangenen Jahres erreichte der Überschuss mit 50,3 Mrd. Euro erstmals ein neues Allzeithoch. Es scheint, als könne die deutsche Wirtschaft nicht anders, als immer wieder neue Exportexzesse anzusteuern – zu schlecht sind hierzulande noch immer Konsum- und Investitionsumfeld und damit die Binnenwirtschaft.

Mathias Ohanian auf Twitter: @mathiasohanian

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  • Mario

    Die Aussagefähigkeit der Leistungsbilanzsalden im Falle der Südländer ist m.E. recht eingeschränkt, da es sich um (wie der Name schon sagt) um Salden handelt. Das heißt, der Überschuss im Süden könnte auch auf einen dramatischen Rückgang der Importe zurückgehen. Das wäre zwar rekordverdächtig, aber ließe keinen weiteren Rückschluss zu…außer, dass jetzt wieder mehr gespart als investiert wird. Die Frage ist doch, ob das in den Konsum geht?

    Oder habe ich etwas übersehen?

  • mathias ohanian

    @mario: Klar, die Importe in den Südländern leiden massiv unter dem Einbruch der Binnenwirtschaft. Gleichzeitig steigen die Exporte aber, besonders beeindruckend ist die Entwicklung in Spanien. Seit Anfang 2009, also kurz nach der Lehman-Pleite, haben die nominalen Ausfuhren der viertrößten Euro-Ökonomie sogar stärker zugelegt als jene der deutschen Wirtschaft.

    Immerhin haben die deutschen Forschungsinstitute in ihrer Gemeinschaftsdiagnose in dieser Woche nun auch die Fortschritte honoriert, siehe Seite 73: „Immerhin signalisiert der reale effektive Wechselkurs inzwischen in allen Ländern (gemeint sind Irland, Griechenland, Portugal, Spanien und Italien) eine Verbesserung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit, und die Leistungsbilanzdefizite haben sich deutlich verringert, Dies geschah nicht allein wegen rezessionsbedingt sinkender Importe, sondern auch aufgrund kräftig zunehmender Ausfuhren.“

    Das klingt inzwischen schon ganz anders als noch vor wenigen Monaten. Bis zuletzt ist Sinn, der die Gemeinschaftsdiagnose als Ifo-Chef mitverantwortet, ja vor allem mit seinem immergleichen Mantra durch die Lande gezogen, dass sich in den Euro-Südländern kaum etwas bewegt. Bzw. wenn, dann vor allem deshalb, weil die Importe wegen der Anpassung einbrechen…

  • TrooperCooper

    Wenn man die Agenda 2010 (in verschärfter Form) über ganz Europa ausbreitet, dann geht die Leistunsbilanz des Währungsraumes natürlich zunächst einmal nach oben. Insbesondere dann, wenn Deutschland nachfragetechnisch keinen Ausgleich zum Sparkurs Südeuropas darstellt.

    Es stellt sich allerdings die Frage ob dieser Kurs 1.) politisch durchgehalten werden kann und 2.) ob der Rest der Welt das Spiel mitmacht und bereit ist die sich aus den EWU-Überschüssen zwangsläufig ergebenden Defizite hinzunehmen.

    1.) Dass die politischen Fliehkräfte im System angesichts der Kürzungsmaßnahmen und Lohnsenkungen immer größer werden können wir ja bereits tagtäglich beobachten. Das Erstarken der radikalen Rechten und Linken in Griechenland, das Aufkommen der kompromisslosen MoVimento 5 – Bewegung in Italien sowie die Massenproteste und beginnender Separatismus in Spanien fallen ja nicht so vom Himmel. Und das, wo noch nichteinmal die Hälfte der preislichen Anpassung Südeuropas erreicht wurde (um mit Deutschland gleichziehen zu können). Wenn diese Länder diesen brutalen Kurs nochmal zehn, fünfzehn Jahre weiterfahren müssen um sich preislich Deutschland anzunähern, dann ist es nur eine Frage der Zeit wann die Währungsunion an den Wahlurnen abgewählt wird oder wieder Panzer rollen…

    2.) Wenn die EWU-Zone dauerhaft Überschüsse im Außenhandel macht (und das soll sie ja scheinbar nach den Vorstellungen unserer Bundesmutti) wird früher oder später der Euro aufwerten (bzw. andere Währungen abwerten – vor diesem Hintergrund ist auch das Gekeife von Schäuble und Co bei Weltbank / IWF in den letzten Tagen bezüglich lockerer Geldpolitik zu sehen) . Wenn das passiert verliert zwar auch Deutschland einen Teil seiner Überschüsse,… aber als erstes drehen sich die Leistungsbilanzen Südeuropas wieder ins Minus, da diese Länder eben bei den Lohnstückkosten bei weitem noch nicht auf deutschem Niveau sind. Dann kommen diese Volkswirtschaften aber nicht aus der Position der Netto-Schuldner heraus.

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