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WikiSubjektiv: Was ist der Kreditimpuls?

Ohne Kredite geht nicht viel in modernen Volkswirtschaften. Unternehmen bekommen von der Bank einen Vorschuss, damit sie sich neue Maschinen kaufen können. Verbraucher legen sich Autos oder Möbel zu und strecken die Zahlungen dafür auf mehrere Jahre. Ohne den fortlaufenden Zustrom neuer Darlehen können wir uns das Wirtschaftsleben gar nicht mehr vorstellen. Ein Teil des jährlichen Bruttoinlandsprodukts kann sogar nur dann erzeugt wird, wenn Firmen und Haushalte irgendwoher neuen Kredit bekommen: sei es von Banken oder von Investoren am Kapitalmarkt.

Lange schauten Ökonomen besonders aufmerksam darauf, wie sich die Verschuldung der Firmen und Haushalte veränderte. Doch gerade nach Konjunkturkrisen, so stellten Volkswirte fest, eilt das Bruttoinlandsprodukt dem  Kreditvolumen oftmals voraus. Das hat der argentinische Ökonom Guillermo Calvo bereits 2006 in einer Arbeit dargestellt. Selbst wenn die Volkswirtschaften ihre Krise längst überwunden hatten und schon wieder kräftig wuchsen, lahmte aber noch immer die Kreditvergabe – das Kreditvolumen sank noch eine Weile oder es sprang zumindest nicht an.

Kreditwachstum hinkt dem Wirtschaftswachstum hinterher

Besonders markant war dieses Phänomen in Schwellenländern immer dann zu beobachten, wenn den Krisen einen „Sudden Stop“ vorausging, also mit einem Schlag der Kreditzufluss aus dem In- und Ausland abbrach. Seit Beginn der Finanzkrise sind davon auch die Krisenländer am Rand des Euro-Raums betroffen, wo wie aus dem Nichts immer wieder eine Kapitalflucht einsetzen kann. In Panikattacken stoßen Anleger Staatsanleihen ab oder verwehren Unternehmen und Geldinstituten neuen Kredit.

Seitdem die EZB im Sommer 2012 signalisiert hatte, sie werde alles tun, um den Euro zur Not mit unbegrenzten Staatsanleihekäufen zu bewahren, ließen die plötzlichen Panikattacken allerdings spürbar nach. Also könnte sich jetzt in den Euro-Krisenländer das wiederholen, was früher auch schon in den Schwellenländern passiert ist? Müssen die Krisenländer erst eine Zeit lang eine „kreditlose Erholung“ durchmachen bevor die Kreditvergabe wieder anspringt und sich Unternehmen und Verbraucher mehr verschulden können?

Die zweite Ableitung: Schaut auf die Veränderung der Neuverschuldung!

Das könnte allerdings ein Trugschluss sein, zumindest wenn wir nur auf die Verschuldung schauen. Im Jahr 2009 veröffentlichten die beiden Deutsche Bank-Ökonomen Michael Biggs und Thomas Mayer zusammen mit Andreas Pick, der damals in der Niederländischen Notenbank arbeitete, ein Arbeitspapier. Ihre Aussage war: Schaut nicht darauf, wie sich die gesamte Verschuldung verändert, sondern nur darauf, wie sich die Neuverschuldung – also das, was Unternehmen und Haushalte zusätzlich an neuen Darlehen zum Beispiel in einem Jahr bekommen – ändert.

Ein vereinfachtes Beispiel:

Die Logik dahinter: Angenommen ein Unternehmen habe Betriebsausgaben von 100 000 Euro im Jahr. Es entschließt sich, eine Maschine für 25 000 Euro auf Kredit zu kaufen. Insgesamt gibt es also 125 000 Euro aus. Ein Jahr später kauft die Firmen neue Möbel für 5000 Euro (wieder auf Kredit), während die Betriebsausgaben aber mittlerweile auf 110 000 Euro gestiegen sind.

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Obwohl die betrieblichen Ausgaben noch steigen, gibt das Unternehmen unterm Strich aber weniger aus als noch im Vorjahr. Zunächst waren es mit den Neuanschaffungen 125 000 Euro, ein Jahr später sind es nur noch 115 000 Euro. Würden wir nur auf die Verschuldung schauen, hätten wir nichts davon gemerkt, dass die Firma ihre Ausgaben kürzt.

Hatte sie am Anfang vielleicht 75 000 Euro Schulden, steigen sie erst einmal auf 100 000 Euro (erster Kredit) und ein Jahr später auf 105 000 Euro (zweiter Kredit). Auf diesem Niveau bleiben die Schulden auch erst einmal bis die ersten Darlehen fällig werden, was aber mitunter Jahre dauern kann.

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Das Beispiel zeigt bereits, dass die Gesamtverschuldung zunächst wenig Anhaltspunkte für den Ausgabenverlauf eines Unternehmens liefert. Anders sieht es aus, wenn wir uns nur die Neukredite anschauen: Die sind gesunken von 25 000 Euro auf 5000 Euro – ein Minus von 20 000 Euro. Hier merken wir sofort, dass die Firma weniger Geld ausgibt.

Wenn nun in der Wirtschaft vielleicht gerade Flaute herrscht, und die Einnahmen nicht mehr steigen, nimmt die Firma im dritten Jahr keinen neuen Kredit auf. Nun wird aber einer altes Darlehen für 30 000 Euro fällig. Dann könnte das Unternehmen wegen der schwierigen Auftragslage seine betrieblichen Ausgaben von 110 000 Euro auf 80 000 Euro runterfahren und den Kredit locker zurückzahlen.

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Im vierten Jahr wird wieder ein Kredit für 10 000 Euro fällig, die Ausgaben liegen jetzt wieder bei 110 000 Euro, was wunderbar passt, weil gerade auch die Auftragsbücher sich wieder langsam füllen und es wieder aufwärts geht in der Konjunktur: Die Firma kann 30 000 Euro mehr für den laufenden Betrieb ausgeben als noch im dritten Jahr.

Und auch hier gilt, hätten wir nur auf die Verschuldung des Unternehmens geachtet, hätten wir vom Aufschwung gar nichts gemerkt. Denn die Schulden fielen im dritten und vierten Jahr: erst ein Minus von 30 000 Euro dann ein Minus von 10 000 Euro – insgesamt von 105 000 auf 65 000 Euro.

Da die jährliche Kredittilgung zuletzt immer kleiner wurde, hat die Firma umgekehrt einen größeren Spielraum, die Ausgaben für Personal und Material auszuweiten und somit der neuen Auftragslage anzupassen. Die geringere Kreditrückzahlung wirkte sich quasi so aus, also hätte die Firmen plötzlich ein neues Darlehen bekommen (hat es natürlich nicht, aber es waren mit einem Schlag Mittel frei, die es in die Produktion stecken konnte).

Kreditimpuls treibt Wirtschaftentwicklung

Dieses stark vereinfachte Beispiel macht klar, dass es sich also lohnt, eher darauf zu achten, wie sich die Neuverschuldung (und die Tilgungen) der Unternehmen verändern und nicht so sehr auf die Gesamtverschuldung zu schauen. Und diese Veränderung der Neuverschuldung bezeichnen Thomas Mayer und seine Co-Autoren als Kreditimpuls. Der Kreditimpuls gibt an, wie stark die Kreditexpansion die Wirtschaftsentwicklung treibt oder bremst, definiert Norbert Häring in einem sehr lesenswerten Handelsblatt-Artikel.

Volkswirte schauen für den Kreditimpuls nicht nur auf die Veränderung der Nettokreditneuaufnahme der Unternehmen bei Banken sondern auch auf die Anleiheemissionen auf dem Kapitalmarkt sowie auf die Konsumentenkredite. Das obige Beispiel kann natürlich nicht die ganzen Kreditverflechtungen einer Volkswirtschaft gerecht werden. Und so findet sich in der Realität nicht immer ein enger Gleichklang zwischen dem Kreditimpuls und dem Wirtschaftswachstum – auch gibt es zwischen einzelnen Ländern starke Unterschiede, wie stark beide Größen tatsächlich zusammen hängen.

Große Wirtschaftsräume: Kreditimpuls und Binnennachfrage im Gleichklang

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Für sehr große Wirtschaftsräume wie die USA oder die gesamte Euro-Zone haben die Ökonomen allerdings herausgefunden, dass eine sehr starke Korrelation zwischen Kreditimpuls und der privaten Inlandsnachfrage (also Investitionen und Konsum von Unternehmen und Haushalten) gibt:

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Schauen wir auf einzelne Länder gerade im Euro-Raum sieht der Zusammenhang jedoch etwas lockerer aus, wie das Beispiel Italiens zeigt, das die Deutsche Bank-Ökonomen Gilles Moec und Peter Sidorov kürzlich in einer Analyse gezeigt haben. Gleichwohl könnte der Kreditimpuls bei aller Vorsicht wertvolle Hinweise darauf geben, in welche Richtung sich die Wirtschaft gerade entwickelt. Aktuell könnte es also für Italien gar nicht so schlecht aussehen, wie folgende Grafik zeigt:

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In einer Phase, in der Länder wie Italien und Spanien offenbar in einer Kreditklemme stecken, kann der Kreditimpuls daher ein sinnvolles Signal geben, ob der Schuldenabbau sich bereits verlangsamt und sich bereits eine Besserung abzeichnet. Besonders wenn wir in Italien noch unterscheiden können, ob der Kreditimpuls vor allem von Großunternehmen mit Milliarden-Krediten über ein Banksyndikat verschiedner Häuser kommt oder doch aus der gesamten Wirtschaft.

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Linkliste:

Biggs, Michael, Thomas Mayer and Andreas Pick (2009), “Credit and Economic Recovery”, DNB Working Paper No. 218, July.

Biggs, Michael, Thomas Mayer and Andreas Pick (2010a), “Credit and Economic Recovery: Demystifying Phoenix Miracles”, Working Paper Series.

Biggs, Michael, Thomas Mayer and Andreas Pick (2010b), „The myth of the “Phoenix Miracle”“, Voxeu.org

Calvo, Guillermo, Alejandro Izquierdo, and Ernesto Talvi (2006), “Phoenix miracles in emerging markets: Recovery without credit from systemic financial crises”, American Economic Review, 96(2):405-410

Häring, Norbert (2009), „Was hinter dem kreditlosen Aufschwung steckt„, Handelsblatt

Keen, Steve (2011), „Economic growth, asset markets and the credit accelerator„, Real-World Economics Review, Issue No. 57

Hinweis: Der Artikel ist Work-In-Progress. Besserungsvorschläge und Fehlerhinweise bitte in den Kommentaren.

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  • Rob Maris

    Im Grunde genommen ist das doch nicht unlogisch, diese Geschichte. Denn wenn ich Kreditimpuls und Wachstum der Binnennachfrage („private demand growth“) beides mathematisch integriere, erhalte ich die absolute Kreditgröße bzw. absolutes Niveau der Binnennachfrage – Höhe aber nicht festgelegt (Initialzustand wird „gefolgt“). Intuitiv passt das zusammen. Wenn ich noch mal integriere erhalte ich die Gesamtverschuldung und ja, was eigentlich? Akkumulierter Verbrauch & Investition in Sachvermögen? Aber – mal hypothetisch gedacht – wenn die Gesamtverschuldung sich gar nicht ändern würde, würden alle Abgeleiteten 0 sein. Also auch der absolute Verbrauch/Investition. Schwer vorstellbar. Entweder ist da ein Denkfehler, oder es fehlt eine andere Komponente (leistungslose Geldvermehrung?, nicht erbrachte Gegenleistungen?). Eines ist sicher: Sachvermögen (und damit „Binnennachfrage“) kann ohne Kredite entstehen (Tauschwirtschaft), oder auch bei vollständiger Kredittilgung (zeitverschobene Gegenleistungserbringung).

  • Rob

    In einem Artikel von Steve Keen, https://rwer.wordpress.com/2014/06/24/why-europes-austerity-experiment-is-doomed-to-fail-7-graphs , fand ich einige interessante Grafiken, die die private Neuverschuldung in Bezug zur Arbeitslosigkeit setzen. Und daraus ergibt sich eine erstaunliche Korrelation.

    Es dämmerte mir, dass die Geschichte ähnlich ist mit der Kreditimpuls-Geschichte. Und als ich mir das genau überlegt habe, passt es tatsächlich zusammen.

    Der Kreditimpuls ist die Ableitung der Neuverschuldung. Die Änderung der Nachfrage, der mit dem Kreditimpuls korreliert, ist die Ableitung der absoluten Nachfrage. Der Betrag der Nachfrage ist selbstverständlich proportional mit der Beschäftigung. Da Beschäftigung schön als Prozentsatz zur arbeitsfähigen Bevölkerung benannt werden kann, während „absolute Nachfrage“ nicht sinnvoll darstellbar ist, sind Keens Grafiken in Gegensatz zu den Kreditimpuls-Grafiken gar nicht abstrakt (das ist der Schwierigkeit mit dem Kreditimpuls).

    Die Beschäftigung ändert sich also proportional mit der Neuverschuldung. Vom Effekt auf die Beschäftigung her kann ich drei Äquivalenten nennen:
    – Neuverschuldung (wie dargestellt);
    – Geldgeschenk;
    – Lohnerhöhung.
    Alle drei sind an sich auswechselbare Stromgrößen. Man kann also anhand der gezeigten Korrelationen genausogut sagen, dass Lohnerhöhungen im Aggregat die gleiche Wirkung hat als Neuverschuldung. Bei Neuverschuldung steigt die Verschuldung stetig an, wie spiegelbildlich die Forderungen (Geldvermögen) der Unternehmen ansteigen.
    Man kann es auch so sagen: wenn der Verteilungsspielraum konsequent ausgenutzt würde, wäre auch mehr Beschäftigung da, ohne höhere Neuverschuldung.

    Auf diese Weise ist ein Nachweis erbracht, dass monetäre Akkumulation von Gewinnen ziemlich direkt Arbeitslosigkeit verursacht, die ja nur mit Hilfe von Neuverschuldung begegnet werden kann

  • Rob

    Eine weitere Überlegung aus Vorstehendem ist Folgendes. Die vereinfachte Gewinngleichung lautet ja

    P = I + Ck

    Ck = Konsum der Kapitalisten (kein Staat, kein Ausland, Arbeitnehmer sparen nicht).

    Die Gesamtheit der Unternehmer findet seine Gewinne in Form des materiellen Konsums und der Investitionen (bzw. darüber zu verfügen) wieder.
    Eine etwaige Sättigung beim Konsum der Unternehmer (die man irgendwann sowieso zu erwarten hat, wenn das Geschäft gut läuft), wurde zwangsläufig den Gewinn absinken lassen. Die Gleichung sagt es ja.
    Das will kein Unternehmer hinnehmen, also wird angestrebt, Gewinne monetär zu akkumulieren. Das ist aber rein logisch nur möglich, wenn diese Mittel zwecks Konsum oder Investition ausgeliehen werden.

    Was aus der Gleichung unter dieser Annahme des Ausleihens von Gewinnen nicht unmittelbar hervorgeht, ist Folgendes: dass dieses Akkumulieren von Geldforderungen nur möglich ist, wenn Löhne im Aggregat abgesenkt werden.
    Insoweit betrachte ich diese Gedanken – sofern sie an sich korrekt sind – als Anstoß zu einer näheren Formalisierung der Zusammenhänge.

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