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Auf zur nächsten Krisenklippe – das 7500 Mrd. Dollar-Problem der Weltwirtschaft

Die Anzeichen der kommenden Krise sind für einige Fachleute nicht mehr zu übersehen: Immobilienblasen in Kanada und Skandinavien; Brasilien erlebt einen Konsumboom auf Pump. Seit 2007 hat der Schweizer Franken rund 30 Prozent und der japanische Yen knapp 50 Prozent an Wert gewonnen. Getreidepreise schwanken an den Terminbörsen wie wild hin und her. Die Aktienindizes in Deutschland und den USA fiebern längst wieder den Höchstständen aus den Tagen vor der Finanzkrise entgegen.

Wer regelmäßig auf die Entwicklung an den globalen Finanzmärkten schaut, dem kann schon sehr mulmig werden. Manch einer blickt sich verwundert um, wo nur die Konjunkturüberhitzung bleibt, die man in früheren Zeiten mit nahenden Übertreibungen an den Märkten verbinden konnte.

Ein oft gehörtes und sehr beliebtes Märchen, das diese unguten Gefühle erklären soll, geht so: Die Notenbanken in den USA, Euroland, Großbritannien und Japan lassen sich vor den Karren der Regierungen spannen und überschwemmen die Märkte mit billigem Geld. Weil die Amerikaner (deren Währung ebenfalls aufgewertet hat) und ganz besonders die Japaner jetzt noch einmal nachlegen, könne doch eigentlich nur noch alles schlimmer werden. Weil die Strategie bereits dazu geführt hat, dass der Yen einen kleinen Teil seiner Aufwertung wieder wettgemacht hat, überfluten lustige Wörter wie „Abwertungswettlauf“ und „Währungskrieg“ seit Wochen die Internet- und Zeitungsseiten – fast schon so, wie das billige Zentralbankgeld angeblich die Märkte überschwemmt haben soll.

Doch so beliebt diese Erklärung ist, so wenig stimmt sie auch. Sie drückt höchstens einen Teil dessen aus, was sich gerade in der Welt abspielt. Den Teil, dass die Notenbanken versuchen, mit niedrigen Zinsen ihre Wirtschaft anzukurbeln. Was sie tatsächlich fluten, das sind die Guthabenkonten der Geschäftsbanken, die die Institute bei den Zentralbanken unterhalten. Das passiert dadurch, indem die Währungshüter den Geldhäusern über kurz oder lang Anleihen abkaufen. Dies reduziert die Menge an umlaufenden Anleihen, erhöht somit deren Preise und senkt die Verzinsung der Papiere. Wie stark allerdings die Anleihekäufe die Zinsen tatsächlich drücken, ist eine heiß diskutierte Frage – nicht nur unter Notenbankern. Doch das ist ein anderes Thema.

Durchaus möglich, dass von diesen Billionen an geparkten Geldreserven in Euro, Yen, Dollar oder Pfund etwas auch in das Finanzsystem durchsickert. Die umlaufende Geldmenge, die Kreditvolumina bzw. die Teuerung in den großen Wirtschaftsräumen selbst – den „Kriegsgebieten“ also – spricht jedenfalls nicht dafür, dass da irgendwas überflutet wird. Am Ende des Tages landen die Reserven doch wieder nur bei der Zentralbank: Wenn eine Bank einer anderen ein Wertpapier abkauft, fließt das Geld  – also die Geldreserven – doch nur von einem Bankkonto zum anderen und das alles passiert nur innerhalb der Notenbanken.

Wie kommt es also, dass Marktbeobachter überall Übertreibungen ausmachen? Die Marktberichte lügen ja nicht, genau so wenig wie die unguten Gefühle trügen können, die so viele befallen?

Die Antwort: Es sind nicht die Notenbanken, die die Welt mit Geld fluten. Sondern es sind vor allem ein paar wenige Volkswirtschaften, die sich darauf spezialisiert haben, mehr Güter oder Rohstoffe auszuführen, als sie aus dem Ausland beziehen. Mitunter kommt noch hinzu, dass die Länder auch mehr mit Dienstleistungen sowie an Dividenden und Zinsen im Ausland verdienen, als Ausländer aus den jeweiligen Ländern überwiesen bekommen. Und: Es sind die Länder, die diese Einnahmeüberschüsse aus dem Ausland gleich wieder im Ausland anlegen – sie exportieren quasi ihre Ersparnis als Darlehen in fremde Regionen, die wiederum Güter und Dienstleistung auf Pump bezahlen können und somit ein Einnahmedefizit ausweisen.

Hätten die Überschussländer ihre Auslandserlöse unterm Strich lieber stärker im Inland angelegt (was normalerweise auch der Staat organisieren kann, indem er zum Beispiel die Steuern erhöht), würden Unternehmen und Haushalte im Inland mehr verdienen und sie würden auch mehr Güter und Dienstleistungen aus dem Ausland erwerben. Dann würde der Überschuss mit der Zeit kleiner werden – global ist davon aber kaum etwas zu spüren. Schauen wir uns also diese Überschüsse an, die einige Volkswirtschaften im Ausland verdienen und gleich wieder als Ersparnis ins Ausland schleusen. Der IWF sammelt in seinen Statistiken diese Salden, die in der Leistungsbilanz eines Landes verbucht werden, mittlerweile aus 185 Staaten.

130215 LB IWF

Wir kommen zu der alarmierenden Erkenntnis, dass sich im Vergleich zu den Jahren vor der Finanzkrise erschreckend wenig getan hat, wie meine Berechnungen zeigen. Damals in den fünf Jahren von 2003 bis 2007 – dem Beginn der Finanzkrise – flossen Darlehen im Wert von 6000 Mrd. Dollar aus den Überschussregionen (allen voran China, Deutschland, Japan und die Ölexporteure) in die Defizitländer. Also vor allem in die USA und die südlichen Euroländer. In den fünf darauf folgenden Jahren von 2008 bis 2012 waren es bereits rund 7500 Mrd. Dollar. Vergleichen wir diese Transfersummen mit den zehn Jahren bis einschließlich 2002, dann stellen wir fest, wie heftig die Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft auch nach Ausbruch der Finanzkrise wieder gewachsen sind.

1993 bis 2002:   3700 Mrd. Dollar Leistungsbilanzüberschuss
2003 bis 2012: 13500 Mrd. Dollar Leistungsbilanzüberschuss

Macht einen Anstieg um 10 000 Mrd. oder 10 Billion Dollar – das ist knapp ein Drittel des weltweiten jährlichen Bruttoinlandsprodukts um die Jahrtausendwende herum. Da die Weltwirtschaft auch in den vergangenen fünf Jahren gewachsen ist, müssen wir uns die Leistungsbilanzüberschüsse auch noch im Verhältnis zum Weltbruttoinlandsprodukts anschauen. Auch wenn wir hier das Niveau von 2007 noch nicht erreicht haben, sieht doch alles nicht wirklich erfreulich aus.

130215 LB IWF GDP

Zumindest bekommen wir jetzt eine Vorstellung davon, woher das Geld kommt, das die ganze Welt seit Jahren überflutet. Darlehen in Maßen haben noch nie geschadet, doch irgendwann ist zu viel, was zu viel ist. Das führt dann wie in den Jahren vor der Finanzkrise dazu, dass die USA sich zwischen 2000 und 2007 um 5000 Mrd. Dollar im Ausland verschulden konnten – zeitgleich die Hypothekenschulden der amerikanischen Haushalte um eben diese 5000 Mrd. Dollar wachsen konnten, was wiederum allen Amerikanern half, Unmengen an Gütern und Dienstleistungen auf Kredit aus dem Ausland zu beziehen.

Klar ist, dass die Banken in den USA seit der Finanzkrise nur noch wenige der hochriskanten Hypothekenanleihen ausgeben, die über dunkle Kanäle erst den außergewöhnlichen Immobilienboom auf den Weg gebracht hatten, dessen Platzen die Finanzwelt ab 2007 an den Abgrund trieb. Im Gegensatz dazu verschuldet sich in den USA jetzt natürlich nur noch die Regierung. Übrig bleibt aber immer noch genug, dass man die Geldflut auch noch in letzten den Winkeln Indiens, Großbritanniens, Frankreichs, der Türkei, Australiens, Brasiliens, Kanadas, Polens, Südafrikas oder Mexikos zu spüren bekommt. Auch wenn es nicht immer durchsichtig ist, auf welchen verschlungenen Wegen und über welche Finanzmärkte, obskure Finanzprodukte oder Hedge-Fonds das Geld am Ende dort ankommt, wo es ankommt. Darüber reden wir dann wahrscheinlich auch erst wieder nach dem nächsten Knall.

Klar ist auch: Dank der Niedrigzinsen in den „Kriegsgebieten“ können die Überschussländer ihre Ersparnisse auf die ganze Welt sehr viel leichter verteilen als früher. Aber kann man den Notenbanken in den USA oder Japan dafür wirklich einen Vorwurf machen, eigentlich wollen die nur ihre Wirtschaft ankurbeln? Einseitige Schuldzuweisungen sind auf jeden Fall unangebracht. Denn es tragen natürlich immer beide Seiten zu dem Dilemma bei: Überschussländer als Kreditgeber und Defizitländer als Kreditnehmer. Nicht zu vergessen, dass ein Land mit wachsenden Einfuhrüberschüssen wie die USA oder mit schrumpfenden Ausfuhrüberschüssen wie Japan immer sein Wachstum schwächt, was die Notenbank dann via Geldpolitik zu bekämpfen versucht. Ganz schön verzwickt das alles.

Was die Fliehkräfte in der Weltwirtschaft auch noch verstärkt: Deutschland zieht sich immer stärker aus der Finanzierung der kriselnden Euro-Peripherieländer zurück und weicht dafür auf andere Teile der Welt aus – genau deswegen „dürfen“ die Krisenstaaten alle sparen wie die Weltmeister. Die Schrumpfdiät im Süden Eurolands hat die Deutschen jedoch 2012 nicht daran gehindert, zusammen mit den Chinesen den Weltmeistertitel bei den  Leistungsbilanzen einzuheimsen: Beide sammelten Überschüsse im Wert von  jeweils 214 Mrd. Dollar an. Wobei Chinas Wirtschaftsleistung allerdings knapp zweieinhalbmal so groß ist wie die Deutschlands.

Der einzige Ausweg, um den nächsten großen Knall zu verhindern:  Wenn es noch nicht zu spät ist, sollten die großen Wirtschaftsräume und die Ölexporteure schleunigst enger kooperieren – angefangen bei der Leitzinsen, über die Staatsausgaben bis zur Währungspolitik sowie zur Überwachung und Regulierung des Schattenbankensektors. Was nicht heißen soll, dass in Deutschland endlich einmal die Reallöhne so stark steigen dürfen, dass zumindest das Niveau des Jahres 2000 wieder erreicht wird. Hallo Tarifparteien, Ihr könnt jetzt bitte einmal aufwachen! Klingt alles unrealistisch? Stimmt. Dann knallt es eben wieder und immer wieder…

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