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Leipziger Target-Allerlei (Speisekarte für ein Münchner Pressegespräch)

In einem sehr lesenswerten und leichtverständlichen Diskussionspapier zeigen vier Ökonomen von der Uni Leipzig (José Abad, Axel Löffler, Prof. Gunther Schnabl and Holger Zemanek; „Fiscal Divergence, Current Account and TARGET2 Imbalances in the EMU“), wie es zu den Ungleichgewichten im Zahlungsverkehr des Euro-Raums kommen konnte. Die Studie macht sehr schön darauf aufmerksam, dass einseitige Schuldzuweisungen an die Krisenstaaten hier am wenigsten bringen. Denn es gehören am Ende, wie so oft, immer zwei Seiten dazu in diesem Streit, wie Target-Salden im Zahlungssystem des Euro-Raums abgebaut werden können.

Die Studie sollte eine Pflichtlektüre für die beiden Herren sein, die am Freitag zusammen mit Hans-Werner Sinn in München vor den Presse treten und erklären wollen, was sie von den angeblichen „Target-Krediten“ der Deutschen Bundesbank halten. Dann könnten sie bei den Leipzigern Volkswirten nachlesen, wie seit der deutschen Einigung über die Jahre hinweg der Euro-Raum bereits auseinander driftete und Deutschland schon frühzeitig immer wieder die anderen Euro-Länder nach unten zog. In den Jahren vor der Krise in diesem Jahrtausend führte dies dann zu zweierlei Entwicklungen:

On the supply side, weak economic activity in Germany combined with historically low ECB interest rates after the burst of the dotcom bubble encouraged the hunt for yield by German financial institutions. They invested in EU periphery countries to participate in real estate, financial market or simply consumption booms. On the demand side, accelerating growth and rising incomes suggested higher future tax revenues of the later crisis countries, which made euro periphery government bonds a valuable and seemingly risk free investment.

Auch klammern die Volkswirte die auseindergehende Lohnpolitik sowie die Wirkung des einheitlichen Zinssatzes im Euro-Raum auf die einzelnen Länder nicht aus. Beachtenswert ist der Punkt, wo sie auf die Abschaffung der Gewährträgerhaftung für Landesbanken seit 2001 (auf Betreiben der EU) eingehen. Dies habe dazu geführt, dass die Zinslast für deutsche Unternehmen gestiegen ist, was wiederum die Sparneigung der Deutschen und somit den Kapitalexport aus Deutschland in die Euro-Randstaaten verstärkt hat. Der Abfluss ist zudem durch die Eigenkapitalregeln für Banken verstärkt worden, wie die Autoren schreiben:

The Basel regulations further accelerated the capital outflow from Germany to other euro area countries, as the financial sector regulatory capital requirements were more closely linked to (visible) risk. The risk was assessed by private ratings agencies, with government bonds not requiring any capital provision. (…)

German banks made easy profits by borrowing at low costs from the ECB while investing in euro area government bonds. This made German banks the most important users of ECB liquidity facilities. Whereas the assets of the German banking sector accounted for around 30 percent of euro area banks in the years before 2007, their share over ECB funding was almost 60 percent (Figure 6). German banks acted as quasi-primary dealers channelling funds throughout the euro area (and beyond).

Da diese Entwicklung sich nun umgehrt hat, die deutschen Banken sich kaum noch etwas von der EZB (über die Bundesbank) leihen, ihre Darlehen an die anderen Euro-Staaten abbauen und die Krisenstaaten ihre Gelder, die sie zum Teil von der EZB geliehen haben, nach Deutschland schleusen, kommt es eben zu den Target-Forderungen der Bundesbank – nicht zu Krediten. Zur Erinnerung: Diese ist eine Verbuchungsgröße, die dann wieder sinkt, wenn die Banken im Süden und Westen des Euro-Raums irgendwann einmal aufhören sollten, soviel Geld bei der EZB nachzufragen wie derzeit. Oder wenn sie im Fall eines Euro-Zusammenbruchs die Kredite wieder begleichen würden.

Deutlich machen die Autoren, was sie von Hans-Werner Sinns Vorschlag halten, die Target-Salden zu begrenzen. Er würde alles noch schlimmer machen:

Restricting TARGET2 balances for a specific crisis country of the European Monetary Union in the face of capital flight from a crisis country would be equivalent to restricting the supply of central bank liquidity to one specific part of the monetary union (Bindseil and König 2011). Limiting central bank liquidity quantitatively would provoke frictions in the payment system and an uncontrolled rise of short-term interest rates in the crisis countries would cause a collapse of the local banking systems with repercussions on the creditor banks in the noncrisis regions. Furthermore, diverging money market rates would not be in line with a monetary union. A ceiling for TARGET2 balances for specific countries would be equivalent to a return towards national monetary policies under the umbrella of a common currency.

Natürlich haben die Target-Salden für die Leipziger Ökonomen auch Nebeneffekte (was auch Sinn selber berechtigterweise immer wieder anführt): Eine Anpassung der Leistungsbilanzen wird dadurch aufgeschoben. Aber wollen wir wirklich in zwei, drei Jahren das aufheben, was sich in Jahrzehnten im Euro-Raum zusammengebraut hat?

Wenn es nach mir geht, sollten wir allerdings überlegen, ob nicht der Weg einer Fiskalunion der bessere wäre, der uns aus der Krise führt. Was früher deutsche Banken, Fonds und Versicherungen quasi privat finanziert haben, sollte auf dem Weg einer Fiskalunion (teilweise) vergemeinschaftet werden – etwa durch ein größeres Budget einer demokratisch legitimierten Euro-Regierung. Dann wären auch Deutschlands Exportüberschüsse wohl weitaus weniger schlimm für den Rest des Eurolands. Überhaupt sollten sich alle im Währungsgebiet endlich eingestehen, dass der Euro-Raum nun mal nur eine Industrie-Export-Power-Maschine wie Deutschland vertragen kann. Nur, wenn wir uns dies eingestehen und nicht von den anderen verlangen, sie sollen so werden wir die Deutschen, führt eigentlich kein Weg an einer Fiskalunion vorbei.

Neben der Gefahr von Blasen in Deutschland sehen die Autoren natürlich auch Risiken für die Steuerzahler:

This implies rising risk for the European Central Bank and its independence (when losses on high risk assets are realized and capital is eroded) as well as rising risk for European tax payers (when the European Central Bank has to be recapitalized or central bank losses lead to lower future seigniorage income).

Zur Erinnerung: Ganz konkret würde dies für die Bundesbank und die deutschen Steuerzahler bedeuten, dass sie derzeit für Verluste in Höhe von rund 325 Mrd. Euro einstehen müssten (27% von gut 1200 Mrd. Euro besicherter Darlehen an die Geschäftsbanken). Aber auch nur in dem Fall, dass alle Banken, die Geschäfte mit der EZB eingegangen sind, pleite gehen und sich die hinterlegten Sicherheiten komplett nicht verwerten lassen. Da kann die Target-Forderung der Bundesbank bei 550, 700 oder 900 Mrd. Euro oder sonst wo liegen. Diese Größe spielt überhaupt keine Rolle, denn sie ist nicht der Kredit.

Als Lösung des Target-Problems sehen die Ökonomen neben den anstehenden Strukturreformen am Ende aber nur einen Weg:

If economic growth picks up in the euro area periphery and investors’ confidence in crisis countries revives, TARGET2 liabilities in periphery central banks will decline as periphery countries’ banks need less central bank refinancing when domestic and foreign savings restock banks’ deposits.

Schön zu lesen, dass die Bundesregierung vertreten durch Herrn Kampeter heute im Handelsblatt (leider nicht online) dies ganz ähnlich sieht. Ich freu mich jedenfalls auf ein spannendes Pressegespräch morgen in München.

http://wirtschaftswunder.ftd.de/2012/03/29/leipziger-target-allerlei/

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