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Wer hat Angst vorm Target-Saldo?

Die beiden bloggenden Journalisten-Kollegen Mark Schieritz und Olaf Storbeck atmen auf. Die angebliche Wende der Bundesbank beim Thema Target2 war gar keine. Es bleibt dabei, die Bundesbank erkennt weiterhin kein eigenständiges Risiko in der riesigen Target-Forderung von zuletzt 547 Mrd. Euro in ihrer Bilanz. Auch Kantoos geht darauf ein und möchte endlich eine Debatte anstoßen über die wirklichen Ursachen hinter den Target-Salden – nicht die Salden selbst.

Leider müssen wir uns aber weiterhin mit dem Thema Target beschäftigen. Das liegt daran, dass Hans-Werner Sinn in seiner eigenartigen Verbissenheit nicht aufhören wird, seine Deutung über alle Kanäle zu verbreiten. Schon oft wurde angemerkt dass Sinn bewusst „sehr unscharf formuliert“ oder mit „Wortschöpfungen“ hantiert, die extrem irreführend sind. Angekreidet werden ihm auch seine „willkürlichen und unwissenschaftlichen Definitionen und (…) allenfalls den Stammtisch stimulierenden Metaphern“, die leider ihren Weg viel zu einfach in die Redaktionsstuben oder auf die Schreibtische einiger Bankanalysten finden. Oder es werden sogar „nationalistische Untertöne“ bei Sinn ausgemacht.

Genauso merkwürdig ist es, dass Sinn ein Tag nach diesem Gastbeitrag von Jens Weidmann in der FAZ und den drei Seiten im Geschäftsbericht 2011 der Deutschen Bundesbank noch ernsthaft behaupten kann: „Da der Präsident der Bundesbank Jens Weidmann seine Besorgnis über die ansteigenden Target-Salden jüngst in einem offiziellen Brief an EZB Präsident Mario Draghi geäußert hat, kann das Problem der wachsenden Ungleichgewichte im Target-System nicht weiter ignoriert werden.“ (Auch wenn der englische Originaltext schon ein paar Tage vorher erschienen ist, kann man doch vom Ifo-Institut oder von Hans-Werner Sinn eine redaktionelle Bearbeitung erwarten, finde ich….)

Was Sinn hier behauptet, hat Weidmann aber gar nicht gesagt. Was er gesagt hat, ist dies hier: „Für mich stellen die Target2-Forderungen der Bundesbank auch kein eigenständiges Risiko dar, weil ich ein Auseinanderbrechen der Währungsunion schlichtweg für absurd halte.“ Genauso wenig hat die Bundesbank darüber nachgedacht die angeblichen „Target-Kredite“ zu tilgen. Bei der Bundesbank macht man sich dagegen berechtigerweise Sorgen, wie die Darlehen an die Banken begrenzt werden können.

Schieritz und Storbeck haben die Bundesbank immer wieder für diese klare Haltung in der Debatte gelobt, die allerdings jetzt für kurze Zeit erschüttert wurde, vor allem deswegen, weil die wenigsten wissen, was in jenem Brief tatsächlich geschrieben steht und wer da was hineininterpretiert hat. Überhaupt müssen die beiden Kollegen hier einmal ausdrücklich gelobt werden. Sie waren die ersten Journalisten, die sich vergangenes Jahr kritisch und intensiv in ihren Blogs mit den Thesen von Hans-Werner Sinn auseinandergesetzt haben. (Eine hervorragende Chronik aller Debattenbeträge findet sich hier).

Längst kann Sinn die beiden Kollegen nicht mehr einfach nur als „overly active blogger“ abtun, wie er es in einer frühen Version seines Ifo-Papers einmal getan hatte. Storbeck gilt mittlerweile als feste Referenz in wissenschaftlichen Arbeiten, die sich kritisch mit Sinn auseinandersetzen. Selbstkritisch muss hier hinzugefügt werden: Lange Zeit fand die Auseinandersetzung um Target in unserer Zeitung eigentlich nur auf den Kommentarspalten statt.

Vielleicht erschien auch uns die Materie lange Zeit zu kompliziert, als dass man sie im Blatt hätte verständlich darlegen können. Und außerdem gab es da ja immer noch Schieritz und Storbeck, die eigentlich schon alles dazu aufgeschrieben haben. Allerdings gilt auch: „Dabei sind die Funktionsweise von T2 [Target2] und dessen ökonomische Implikationen tatsächlich nicht sonderlich kompliziert“, wie der Berliner Ökonom Philipp Johann König schreibt.

König vermutet sogar, dass einige Journalisten von den Warnungen Sinns, „das Thema sei so kompliziert, keiner wisse vollständig darüber Bescheid“, abgeschreckt wurden, sich selbst damit auseinander zu setzen. Diesen Eindruck könnte man tatsächlich gewinnen, wenn man allein folgende Panik-Überschriften der vergangenen Wochen sich ansieht:

„Die Plünderung der Deutschen Bundesbank“ (krisenvorsorge.com)
„Target2-Saldo erreicht 500 Milliarden EUR: Der stille Staatsbankrott“ (bankingportal24.de)
„Eurokrise: Die Lunte glimmt und keiner tritt sie aus“ (diepresse.com)
„Die Zeitbombe der Bundesbank“ (FAZ)
„Target-Salden drängen Deutschland an den Abgrund“ (Wirtschaftswoche)

Die Wirtschaftwoche, ohnehin sehr anfällig dafür, die Thesen von Sinn unkritisch zu verbreiten, war es auch, die die schönste Horror-Rechnungen aufmacht, wonach Deutschland ein Staatsbankrott drohen würde, sollte die Währungsunion auseinanderbrechen:

„Derzeit steigen sie [Target-Forderungen] um 200 Milliarden Euro pro Jahr; in fünf Jahren könnten sie also schon die horrende Summe von 1500 Milliarden Euro erreichen. Bräche die Währungsunion dann auseinander, könnte auch der Staat das Loch in der Bilanz der Bundesbank nicht mehr schließen, ohne selbst Bankrott anzumelden.“

Abgesehen davon, dass eine Notenbank nicht zahlungsunfähig werden kann (sie könnte eventuell über Jahre mit negativem Eigenkapital arbeiten, ohne auch nur ein Cent von der Regierung zu bekommen) hier zur kurzen Erinnerung, wo die wahren Risiken im Euro-System liegen: in der Kreditvergabe der Euro-Notenbanken an die Geschäftsbanken (der Bereitstellung von Zentralbankgeld gegen Sicherheiten). Diese Geschäfte machen aktuell rund 1200 Mrd. Euro aus. Davon drohen der Bundesbank Verluste von maximal knapp 325 Mrd. Euro (27%). Die Parallele zu Target ergibt sich wie folgt:

Target2-Positionen gegenüber der EZB entstehen also letztlich infolge des dezentral aufgebauten Eurosystems, wobei ihre absolute Höhe durch die Menge des insgesamt bereitgestellten Zentralbankgelds begrenzt wird.

Die Verluste entstehen nur in dem Fall, wenn die Notenbanken die Sicherheitspfände, großteils Wertpapiere, die die Banken hinterlegt haben, nicht mehr zu Geld machen können. Die Verwertung der Sicherheiten der Pleitebank Lehman Brothers zeigt übrigens (es waren alles im Jahre 2008 unveräußerbare Immobiliendarlehen aus Europa), dass den Euro-Notenbanken dabei durchaus nur minimale Verluste entstehen müssen, wenn nicht sogar gar keine. Verständlicherweise kann eine Notenbank wie die Bundesbank öffentlich keine detaillierten Szenarien aufstellen, was passieren würde, sollte der Euro-Raum einmal zusammenbrechen.

Interessanterweise äußerte sich jetzt die Bundesbank dennoch zum dem Fall, den sie für allerdings hochgradig hypothetisch hält, dass ein Land mit Target-Verbindlichkeiten wie Griechenland aus dem Euro austritt.

„Sollte es jedoch dazu kommen, dass ein Land mit TARGET2-Verbindlichkeiten die EWU verlässt, so bestehen die Forderungen der EZB gegenüber dessen nationaler Zentralbank zunächst in unveränderter Höhe fort. Kann die ausscheidende Zentralbank ihre Verbindlichkeiten trotz etwaigem Verlustausgleich innerhalb des Eurosystems und vorhandener Sicherheiten nicht tilgen, müsste für die verbliebene Differenz eine Regelung gefunden werden.“

Darüber, wie diese Regelung aussehen könnte, darüber ist es eigentlich müßig zu spekulieren. Man kann jedoch davon ausgehen, dass ähnlich wie im Fall der Lehman-Sicherheiten zunächst die Wertpapiere veräußert würden, die griechische Banken bei ihrer Notenbank hinterlegt haben. Per Ende Januar hatte die Bank of Greece gegenüber den Banken Forderungen von 75 Mrd. Euro ausstehen. Dieser Verwertungsprozess kann durchaus Jahre dauern bis sich wieder vernünftige Preise erzielen lassen – in der Zwischenzeit kann die EZB schon einmal ordentlich Zinsen kassieren.

Nun glauben einige, die griechische Notenbank könnte die Papiere nicht herausrücken oder nicht verwerten. Dabei muss aber beachtet werden, dass das Land wohl immer noch in der EU bleiben wird und der hellenische Staat weiterhin völkerrechtliche Verträge einhalten muss. Wem das zu unsicher ist, der sollte nur einmal daran denken, dass Griechenland auch nach einem Euro-Austritt wohl weiterhin von Hilfen der EU abhängig sein wird. Weitere Verluste könnte wohl auch Griechenlands Notenbank teilweise ausgleichen.

Hier sei jedoch betont, dass Griechenland bei einem Euro-Austritt viel größere Probleme als Target haben dürfte, von denen im gesamten verbliebenen Euro-Raum etwas zu spüren sein dürfte. Es ist jedoch davon auszugehen, dass am Ende die EZB im schlimmsten Fall wohl nur auf einem Bruchteil ihrer Target-Forderungen gegenüber Griechenland von aktuell 107 Mrd. Euro (per Ende Januar 2012) sitzen bleiben dürfte.

Dazu weiter die Bundesbank:

„Erst wenn man eine Restforderung für uneinbringlich hielte, entstünde bei der EZB durch deren Abschreibung ein bilanzwirksamer Verlust. Über einen Ausgleich möglicher Verluste der EZB entscheiden die nationalen Zentralbanken als Kapitaleigner im EZB-Rat mit Kapitalmehrheit. Eine Verlustbeteiligung würde sich bei den nationalen Notenbanken gewinnmindernd auswirken (und etwa im deutschen Fall die TARGET2-Forderungen der Bundesbank gegenüber der EZB reduzieren). Die Bundesbank geht allerdings vom Fortbestand der Währungsunion in ihrer jetzigen Form aus.“

Ähnliches gilt für den hypothetischen Fall eines Euro-Zusammenbruchs. Vorstellbar wäre auch hier, dass die EZB als Abwicklungsanstalt noch über Jahre bestehen bleiben könnte und ihre Forderungen eintreiben würde. Die Bundesbank wiederum könnte über Jahre Forderungen gegenüber der Anstalt aufrecht erhalten, ohne dass auch nur ein Cent vom Bund zugeschossen werden müsste. Wie schon gesagt, kann die Bundesbank nie illiquide werden.

Dazu der Berliner Ökonom König:

„Es ist wahrscheinlich, dass in so einem Fall langwierige politische Verhandlungen zwischen den beteiligten Ländern stattfinden würden, an deren Ende eine europäische Einigung über die gesamten Verluste eines solchen Zusammenbruchs stehen würde.“

Die in der Wirtschaftswoche skizzierten Kosten für den deutschen Staat dürften somit maßlos übertrieben sein. Und auch gilt hier: Bei einem Euro-Zusammenbruch drohen den Staaten ganz andere Probleme, die Rückabwicklung der Target-Salden wäre sicherlich nicht das größte davon.

Wer auch immer davon redet, die Target-Salden seien ein Faustpfand, der uns daran hindert, die Währungsunion aufzulösen oder auch nur ein Land herauszudrängen, der verbirgt damit sehr schlecht seine eigentlichen Motive: Diejenigen wollen den Euro abschaffen. Dann sollten diejenigen jedoch auch offen darlegen, welche Konsequenzen ein Aus für die heutigen Euro-Länder haben wird.

Am Ende noch einmal König:

Um den deutschen Steuerzahler vor möglichen Verlusten zu schützen, schlägt Sinn eine jährliche Glattstellung der T2-Positionen durch Transfer von Gold oder marktfähigen Vermögenswerten vor. Ihm ist offenbar nicht bewusst, dass dies die Währungsunion zu einem System fester Wechselkurse degradieren würde. Die innereuropäische Zahlungsfähigkeit eines Landes wäre durch die Reserven seiner Notenbank bestimmt (und nicht durch den Bestand an zentralbankfähigen Sicherheiten in den Händen des privaten Sektors).

Die Folge wäre wohl eine Zahlungsunfähigkeit der zwölf Länder mit T2-Verbindlichkeiten, ein Auseinanderbrechen der Eurozone und das Eintreten genau der Situation, vor der Sinn so eindringlich warnt.

http://wirtschaftswunder.ftd.de/2012/03/15/wer-hat-angst-vorm-target-saldo/

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